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Foto: Lars Klingbeil hält im Willy-Brandt-Haus eine Rede
photothek
19.03.2024 | Rede von Lars Klingbeil

Nord-Süd – Neu denken

Wenige Tage nach seiner Reise nach Namibia, Südafrika und Ghana hat der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil auf der Veranstaltung „Nord-Süd – Neu denken“ eine programmatische Rede zu einer modernen Nord-Süd-Politik gehalten. Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.

Heute vor zwei Wochen saß ich im „Constitutional Room“ des Namibischen Parlaments in Windhoek. Dort wurde 1990 die namibische Verfassung unterzeichnet und die Republik Namibia begründet. Nach jahrzehntelangem Befreiungskampf gegen die südafrikanische Besatzungsmacht. Die SPD hatte den Befreiungskampf unserer Schwesterpartei, der SWAPO, über viele Jahre politisch unterstützt. Wir wurden in Windhoek deshalb als Freunde empfangen.

Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Da, wo heute das namibische Parlament tagt, war früher der Sitz der deutschen Kolonialverwaltung während der dreißigjährigen Kolonialherrschaft. Und es war die deutsche Schutztruppe, die zwischen 1904 und 1908 einen Genozid an den Herero und Nama verübte. Deutschland hat erhebliches Leid über das Land gebracht.

Die Bundesregierung verhandelt derzeit ein Versöhnungsabkommen mit Namibia. Das wird die Verbrechen nicht ungeschehen machen, aber es ist wichtig, dass wir uns unserer Verantwortung stellen.

Aus meiner Sicht ist ein solcher Versöhnungsprozess und die Anerkennung unserer kolonialen Schuld, nicht nur in Namibia, eine wichtige Grundlage für eine neue Nord-Süd-Politik, die es heute, die es in diesen Zeiten, dringend braucht.

Das Vermächtnis von Willy Brandt

Die SPD genießt im Globalen Süden großes Vertrauen. Das hängt mit dem entschiedenen Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen das NS-Regime und den Faschismus zusammen. Und das hängt auch ganz besonders mit Willy Brandt zusammen. Auf vielen meiner Termine ist mir das begegnet.

Ich habe in den letzten beiden Jahren viel Zeit investiert, die Beziehungen zu unseren Schwesterparteien im Globalen Süden wieder zu beleben. Und dabei ist mir die stolze Geschichte unserer Partei noch einmal ganz anders bewusst geworden.
Wir haben die chilenischen Sozialisten während der Militärdiktatur unter Pinochet unterstützt, die brasilianischen Sozialisten während der Militärherrschaft, die Befreiungskämpfe des ANC in Südafrika und der SWAPO in Namibia. Es war Willy Brandt, der schon in den 1970er Jahren einen anderen, respektvollen Umgang mit dem Globalen Süden gefordert und den Dialog mit Parteien und Regierungen weltweit vorangetrieben hat. Er war seiner Zeit voraus, wie ein Beispiel aus seinen Memoiren zeigt. Dort schreibt er: „Als mich ein früherer Präsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Sommer 1978 fragte, was mich so häufig nach Genf führe, und ich ihm sagte, dort sitze das Sekretariat meiner Nord-Süd-Kommission, quittierte er die Erklärung mit einem verständnisvollen: ‚Ja, ja, immer die Italiener…‘“

Die Beschlüsse, die Willy Brandt mit seiner 18-köpfigen Nord-Süd-Kommission 1980 und 1983 vorgelegt hat, lesen sich auch aus heutiger Sicht visionär. Sie sind eine Handlungsanleitung für das gemeinsame Überleben in einer globalisierten Welt. Der Bericht forderte etwa eine stärkere Integration der ärmeren Länder in die Weltwirtschaft oder auch Reformen der internationalen Organisationen. Er warnte zudem vor den Auswirkungen globaler Herausforderungen wie der Klimakrise, Fluchtbewegungen, Armut, Hunger und Ungleichheit. Viele dieser Krisen haben sich heute verschärft und viele seiner wichtigsten Forderungen warten bis heute noch auf ihre Umsetzung.

Es war die Art und Weise, mit der Willy Brandt auf den Globalen Süden zugegangen ist. Bis heute bringt sie ihm großen Respekt ein. Statt Staaten in Afrika, Lateinamerika oder Asien von oben herab zu behandeln, sah Willy in ihnen wichtige Partner für die Lösung gemeinsamer Herausforderungen. In seinen Memoiren schreibt er dazu: „Es liege, so rechnete ich mir aus, in unserem eigenen Interesse, das Elend in anderen Teilen der Welt überwinden zu helfen. Daß ein Ausgleich zwischen Nord und Süd auch mit Frieden zu tun hat, bedurfte keiner eigenen Erklärung.“

Moderne Entwicklungspolitik ist auch Friedenspolitik. Wenn wir als Partner im Globalen Süden respektiert werden, können wir Einfluss auf Krisen und Konflikte nehmen.

Egal, ob bei meinen Besuchen in Chile, Brasilien, Südafrika, Namibia oder auch China: Überall erzählen mir meine Gesprächspartner begeistert und voller Hochachtung von Begegnungen mit Willy Brandt. Ich bin da jedes Mal ein bisschen neidisch, weil ich ihn nie persönlich kennenlernen konnte.

Er hat uns ein Vermächtnis hinterlassen, auf dem wir heute aufbauen können. Die offenen Türen, die wir als Sozialdemokratie heute vorfinden, verdanken wir ihm. Sie sind eine große Chance, für Verständigung und Kooperation einzutreten. Das ist dringender denn je in einer Welt, die heute unübersichtlicher geworden ist, in der Konflikte zugenommen haben.

Willy Brandt hat viele wichtige Debatten angestoßen, auch wenn viele seiner Ideen noch auf Umsetzung warten.

Während der bipolaren Ära des Kalten Krieges gab es wenig Interesse bei den Supermächten, an den Strukturen der internationalen Ordnung etwas zu ändern. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gerieten Debatten über eine neue Nord-Süd-Politik weiter in den Hintergrund. Für viele war es eine Frage der Zeit, bis die ganze Welt nur noch aus marktliberalen Demokratien besteht. Samuel Huntington schrieb über die Wellen der Demokratisierung; Francis Fukuyama rief sogar das Ende der Geschichte aus. Was für ein überheblicher Irrglaube. Die Geschichte war nie zu Ende.

Die politischen und wirtschaftlichen Verheißungen des westlichen Entwicklungsmodells haben aus heutiger Sicht für viele Staaten des Globalen Südens nicht funktioniert. Das, was viele von uns als Zeit des Wohlstands, Friedens und Sicherheit erlebt haben, war in großen Teilen des Globalen Südens oftmals eine Fortsetzung von Krisen. Dazu gehörten die wirtschaftlichen Strukturanpassungen genauso wie Militärinterventionen oder auch der Einsatz von Kleinwaffen, die nach dem Ende des Kalten Krieges auf einmal in großen Mengen verfügbar waren.

Diese Ehrlichkeit gehört dazu, wenn wir heute die Grundlage für eine neue Nord-Süd-Politik legen wollen.

Nord-Süd-Politik in einer multipolaren Welt

Wir leben heute in einem multipolaren Zeitalter. Vor knapp zwei Jahren habe ich auf der Tiergartenkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung davon gesprochen, dass sich die Welt nicht mehr in Polen, sondern in Zentren organisiert. Diese Machtzentren sind attraktiv, sie schaffen Bindungen, Abhängigkeiten und Kooperationen. Diese Zentren sind dynamisch, sich ihnen anzuschließen, erfolgt im eigenen Interesse. Macht wird heute also anders ausgeübt. Diese Weltordnung hat für viele Staaten große Vorteile, weil sie sich nicht mehr einem Block zuordnen müssen. Sie können sich aussuchen, bei welchen Themen sie mit wem zusammenarbeiten. Verhandlungen zwischen Staaten werden noch wichtiger, aber genauso belastbare und vertrauensvolle Beziehungen.

Für viele Menschen und Regierungen vor allem in Ländern des Globalen Südens ist die multipolare Welt sogar ein emanzipatorisches Versprechen. Das wird mir in meinen Gesprächen so auch offen kommuniziert. Wo es lange Zeit Abhängigkeiten vom Westen gab, gibt es jetzt neue und mehr Möglichkeiten der Kooperation oder der Finanzierung. Initiativen wie die BRICS geben einigen Staaten des Globalen Südens eine Stimme in einer internationalen Ordnung, deren Institutionen stark von den westlichen Industriestaaten dominiert werden. Chinesische Investitionen in Infrastruktur sind ein attraktives Angebot, dass wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit zu lange nicht gemacht haben.

Gleichzeitig wollen gesellschaftliche Mehrheiten in den meisten Ländern des Globalen Südens politische und soziale Teilhabe, wie Umfragen regelmäßig beweisen. Wer sich also in einer multipolaren Welt für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, tut das oftmals auf der Basis von Werten, die wir gemeinsam teilen.

Die Welt hat sich geändert, das zeigt auch ein Blick auf die wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Während die EU und die USA 1990 mit zusammen über 44 Prozent der globalen Wirtschaftskraft noch das wirtschaftliche Zentrum der Welt waren, ist der Anteil heute auf knapp ein Drittel gesunken. Tendenz fallend. China hat im gleichen Zeitraum seine Wirtschaftskraft von vier auf 19 Prozent der globalen Wirtschaftskraft fast verfünffacht. Tendenz steigend. Fast 60 Prozent der globalen Wirtschaftskraft und Bevölkerung entfällt heute auf Asien. Auch hier Tendenz steigend. Ab 2050 wird zudem ein Viertel der Weltbevölkerung in Afrika leben.

Wenn wir auf die Fakten schauen, stellen wir fest: Die westliche Hegemonie ist lange vorbei. Wir werden auch weiterhin wirtschaftlich und politisch einflussreich bleiben. Aber es gibt keine globale Krise, die wir im Westen noch alleine lösen können. Und um unsere Interessen wahren zu können, brauchen wir neue Partnerschaften.

Das erfordert ein Umdenken von uns. Die Krisen, die wir priorisieren sind nicht zwangsläufig die, die andere priorisieren. Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar brachte die Erwartung des Globalen Südens an uns Europäer auf den Punkt: „Europa muss aus dem Denkmuster herauswachsen, dass Europas Probleme die Probleme der Welt sind, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas."

Vor diesem Hintergrund waren die letzten Krisenjahre eine erhebliche Belastungsprobe für die Beziehungen zwischen Europa und dem Globalen Süden. Die Verteilung von Impfstoffen während der Corona-Pandemie haben viele Staaten des Globalen Südens als unsolidarisch empfunden.

Als Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine losbrach, haben viele westliche Politiker die Länder des Globalen Südens aufgefordert, sich an den Sanktionen zu beteiligen. Die verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen für diese Länder wollten sie zunächst nicht sehen.

Der moralische Unterton, der dabei häufig mitschwang, hat für Verärgerung gesorgt. Die Mehrheit der Staaten im Globalen Süden verurteilt den russischen Angriffskrieg und den Bruch des Völkerrechts, ist aber nicht bereit, die Kosten für einen Krieg in Europa zu tragen.

Die noch kompliziertere Belastungsprobe erleben wir aktuell mit der Eskalation im Nahen Osten. Die brutalen Terrorakte der Hamas auf unschuldige Israelis haben weltweit für großes Entsetzen gesorgt. Nach diesen feigen Attacken haben wir richtigerweise unsere Solidarität mit dem Staat Israel und seinen Menschen zum Ausdruck gebracht. Es gibt keine Rechtfertigung für diese brutalen Morde.

Das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza hat jedoch gerade im Globalen Süden schnell für Empörung gesorgt und der Vorwurf westlicher Doppelstandards wurde laut. Das ist mir in den Diskussionen auf meiner Afrika-Reise vor zwei Wochen in aller Deutlichkeit begegnet. Warum verurteilt der Westen die Zerstörung ziviler Infrastruktur in der Ukraine, nicht aber in Gaza? Warum rückt Deutschland nicht stärker von Israel ab, bei über 25.000 toten Zivilisten in Gaza, darunter viele Frauen und Kinder?

Israel hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Das geht mit der Verantwortung einher, selbst das Völkerrecht zu achten und die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes in Gaza sicherzustellen. Daran gibt es erhebliche Zweifel, die auch wir klar benennen müssen, wenn wir uns glaubhaft für eine Achtung des Völkerrechts einsetzen wollen.

In Johannesburg habe ich mit der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor über die dramatische Lage in Gaza gesprochen. Südafrika ist eine der lautesten Stimmen, wenn es darum geht, das Vorgehen der israelischen Regierung zu kritisieren.
Wir haben da unterschiedliche Standpunkte und Blickwinkel. Wir haben über unsere unterschiedlichen Perspektiven gesprochen. Über die deutsche Geschichte, aus der wir eine große Verantwortung für die Sicherheit Israels ableiten, die uns auch heute prägt. Über den südafrikanischen Befreiungskampf und die historisch gewachsene Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern.

Und wir haben am Ende aber vor allem über gemeinsame Interessen gesprochen: Dass das Sterben ein Ende hat und viel mehr humanitäre Unterstützung in Gaza ankommen muss, dass es zügig zu einer Freilassung der israelischen Geiseln und einem nachhaltigen Waffenstillstand kommt und dass Frieden und Sicherheit in der Region dauerhaft nur mit einer Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen sind. Und dass wir uns dafür engagieren müssen.

Wir müssen nicht in allen Punkten übereinstimmen, wir können harte Debatten führen. Aber die Konflikte unserer Zeit lassen sich nur lösen, wenn wir der Perspektive unserer Partner mit Respekt begegnen. Nicht mit moralischer Überhöhung. Es ist wichtig, Unterschiedlichkeit zuzulassen und gleichzeitig in der Lage zu sein, gemeinsame Interessen zu identifizieren. In solchen Momenten kommt es auf Dialog an. Daher war es mir so wichtig, gerade jetzt nach Südafrika zu reisen und das Gespräch zu suchen.
Die Welt von heute ist nicht schwarz-weiß, sie hat viele Graustufen. Wir müssen lernen, in dieser neuen Welt zu navigieren. Die multipolare Welt erfordert mehr Dialog, mehr Diplomatie, mehr Kooperation.

Das ist etwas sehr Grundsätzliches. Wir müssen unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik auf diese neue Welt ausrichten. Wir müssen viel stärker in strategische Partnerschaften investieren, um unsere Werte und Interessen zu verteidigen. Das ist auch für uns ein Lernprozess, den wir offen angehen werden.

Ich bin Bundeskanzler Olaf Scholz sehr dankbar, dass er aus der Zeitenwende wichtige Schlüsse gezogen hat. Kein Bundeskanzler war in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit so oft in Afrika, Asien und Lateinamerika. Olaf Scholz hat Staaten des Globalen Südens zu den G7-Treffen eingeladen und sich dafür stark gemacht, dass die Afrikanische Union Mitglied der G20 wird. Das ist ein wichtiger Schritt, um eine neue Nord-Süd-Politik zu begründen.

Wir brauchen einen langen Atem. Vertrauen bauen wir nicht von heute auf morgen auf. Es wird immer Widersprüche und unterschiedliche Interessen geben, die Kommunikation und Erklärung erfordern.

Aus meiner Sicht braucht es daher eine Demokratisierung der internationalen Ordnung, um eine neue Nord-Süd-Politik auch strukturell zu verankern. Wir können eine regelbasierte Ordnung nur verteidigen, wenn wir bereit sind sie zu reformieren.

Meine Reisen und Gespräche der letzten Jahre zeigen mir, dass wir große Schnittmengen mit Ländern des Globalen Südens haben. Das wir Partner erster Wahl sind. Damit sind wir aber auch in der Verantwortung, faire Angebote zu machen, die zum beidseitigen Vorteil sind. Denn anders als in der Vergangenheit, haben diese Länder längst Alternativen. Russland und China waren über viele Jahre präsent, als wir uns wenig für den Globalen Süden interessiert haben. Das können wir uns nicht länger leisten, wenn wir unsere Interessen und Werte in einer multipolaren Welt langfristig sichern wollen.

Eine neue Nord-Süd-Politik ist für unseren Wohlstand und unsere Sicherheit von zentraler Bedeutung.

Eine neue Nord-Süd-Politik

Ich möchte ein paar Handlungsfelder skizzieren, die aus meiner Sicht zentral sind, wenn wir über Eckpfeiler einer neuen Nord-Süd-Politik sprechen.

Politik für eine globale sozial-ökologische Transformation

Das erste Thema ist der Kampf gegen die Klimakrise. Das Thema ist auf all meinen Reisen allgegenwärtig und es ist völlig klar, dass es hier nur eine globale Antwort geben kann. Aber es braucht eine Antwort, die für alle Seiten funktioniert. Die Gespräche, die ich in Südafrika, Brasilien oder Indien hierzu geführt habe, haben mich oft an unsere innenpolitischen Debatten der letzten Jahre in Deutschland erinnert.

Viele Staaten des Globalen Südens empfinden die Debatte über Klimaschutz, die wir anstoßen, als Aufforderung, auf Wachstum und Wohlstand zu verzichten. Da weisen sie völlig zurecht darauf hin, dass wir in Europa unseren Wohlstand mit Kolonialismus, Kohle, Öl und Gas aufgebaut haben, häufig durch Ausbeutung der Ressourcen im Globalen Süden.

Auch die Länder des Globalen Südens haben ein Interesse und auch ein Recht, Wohlstand und Wachstum anzustreben und die Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Die Verzichtsdebatte verringert die Akzeptanz für Klimapolitik. Das haben wir auch bei uns in Deutschland erlebt. Im letzten Wahlkampf ist es uns als Sozialdemokratie erfolgreich gelungen, die Verbindung von Klimaschutz und Wirtschaftspolitik herzustellen. Eine klimafreundliche Modernisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft fördert Innovationen, schafft neue Jobs und neues Wachstum. Genau diesen Diskurs müssen wir auch auf internationaler Ebene führen. Da haben wir als Sozialdemokratie eine große Glaubwürdigkeit.

Hinzu kommt die soziale Dimension der Klimapolitik, auf die wir Sozialdemokraten auch immer wieder hinweisen. In Südafrika wird heute über 80 Prozent des Stroms aus Kohle gewonnen. Auf meiner Reise bemerkte jemand scherzhaft, Südafrika sei wie unsere Lausitz.

Wenn wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit also auf Klimaschutz drängen, dann müssen wir auch immer Strukturpolitik und sozialen Ausgleich mitdenken. Die Bundesregierung hat mit Ländern des Globalen Südens – darunter Vietnam, Indonesien und Südafrika – sogenannte „Just Energy Transition Partnerships“ (JETP) verhandelt, um sie bei der Umstellung ihrer Energieerzeugung zu unterstützen.

Das Abkommen mit Südafrika hat dort für große Kritik gesorgt, insbesondere bei den Gewerkschaften. Weil die soziale Dimension nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Ich bin unser Entwicklungsministerin Svenja Schulze sehr dankbar, dass sie diese Kritik ernst nimmt und dem Austausch mit den Gewerkschaften intensiviert hat. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass die soziale Dimension und der Dialog mit den Sozialpartnern beim Abkommen, das derzeit mit dem Senegal verhandelt wird, von Anfang an mitgedacht werden. Aus meiner Sicht ist das ein gutes Beispiel, das zeigt, wie eine moderne Nord-Süd-Politik aussehen kann.

Ein weiterer Punkt, der in den Gesprächen immer aufkommt, ist die Wertschöpfung vor Ort. Wenn wir neue Klima- und Ressourcenpartnerschaften mit Staaten des Globalen Südes eingehen, fordern unsere Partner zurecht, dass es auch Jobs und Wachstum bei ihnen gibt. Unsere Entwicklungszusammenarbeit wird in Zukunft stärker auf soziale und ökologische Entwicklungen vor Ort setzen müssen. Dazu gehört, dass wir beispielsweise nicht nur grünen Wasserstoff aus dem Globalen Süden importieren, sondern auch in die Herstellung der Anlagen vor Ort und damit in neue Jobs investieren.

Oder dass dem Abbau von seltenen Erden auch eine erste Verarbeitung vor Ort entlang transparenter und resilienter Lieferketten folgt. Das sind faire Angebote, die uns auch von Staaten wie China oder Russland unterscheiden, die oftmals ohne Rücksicht auf Sozial- und Umweltstandards Rohstoffe aus dem Land bringen, ohne in nachhaltige Entwicklungsperspektiven vor Ort zu investieren. Dazu gehört auch, dass internationale Unternehmen und Privatinvestoren dort ihre Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Die globale Mindeststeuer von 15 Prozent ist dafür eine erste, wichtige Weichenstellung.

Das sind Ansätze, die wir in unserer bilateralen Zusammenarbeit als Deutschland, Europäische Union oder mit weiteren Partnern effektiv angehen können. Solche Ansätze tragen auch dazu bei, die Ziele der Nachhaltigkeitsagenda 2030 der Vereinten Nationen zu erreichen, die für uns zentral bleiben.

Der zweite große Bereich, den wir aus meiner Sicht angehen müssen, ist die Demokratisierung der internationalen Ordnung.

Demokratisierung der internationalen Ordnung

Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von einer regelbasierten internationalen Ordnung. Jeder vierte Job hängt hierzulande vom Export ab. Steigende Preise, instabile Lieferketten: Die Krisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, welche Auswirkungen Krisen und Konflikte auf der Welt auf unser Leben haben. Staaten wie Russland greifen die regelbasierte Ordnung an oder versuchen sie wie China, nach ihren Interessen auszurichten. Daher muss unser Fokus darauf liegen, die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen, aber sie auch zu reformieren. Nur so können wir langfristig Frieden, Sicherheit und nachhaltiges Wachstum garantieren.

Ein Fokus liegt dabei auf den Vereinten Nationen. Sie spiegeln die Machtverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Die Welt hat sich aber geändert. Staaten des Globalen Südens haben berechtigterweise das Interesse, die globale Ordnung mitzugestalten. Damit die Vereinten Nationen als Hüter einer regelbasierten internationalen Ordnung eine Zukunft haben, braucht es Reformen, die die Machtverhältnisse einer multipolaren Welt von heute besser abbilden. Ein Fokus liegt hier auf der Reform des Sicherheitsrates. In der sogenannten G4-Initiative haben Deutschland, Brasilien, Indien und Japan bereits vor fast 20 Jahren erklärt, sich gegenseitig im Bemühen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu unterstützen. Auch sollten wir Initiativen unterstützen, die für eine bessere afrikanische Repräsentation sorgen.

Ein weiterer Fokus muss auf der Reform der internationalen Finanzinstitutionen liegen. Svenja Schulze treibt bei der Weltbank wichtige Verbesserungen voran, ohne dabei den Kernauftrag der Armutsbekämpfung zu vernachlässigen. Es ist richtig, dass Investitionen in öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Klimaschutz oder Biodiversität die Arbeit der Weltbank und regionaler Entwicklungsbanken viel stärker prägen.

Die in Folge der Pandemie dramatisch gewachsene Staatsverschuldung verhindert in vielen Ländern Investitionen in die Zukunft. Für diese Schuldenkrisen brauchen wir eine nachhaltige Lösung innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Dabei müssen wir sicherstellen, dass Programme des Internationalen Währungsfonds in Schuldenkrisen soziale Teilhabe schützen, Ungleichheit vorbeugen und wir Fehler der neoliberalen Strukturanpassungsprogramme der Vergangenheit nicht wiederholen.

Ich glaube es lohnt sich, an diesen Punkten weiter intensiv zu arbeiten, auch wenn Veränderungen Zeit brauchen. Es wird der Moment kommen, in dem sich ein Fenster öffnet, diese Reformen anzugehen. Das eine wird schneller gehen, das andere wird länger dauern.

Als internationale Bewegung haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den großen Vorteil, eng mit progressiven Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen überall auf der Welt zusammenarbeiten zu können. Wenn wir diese Allianzen stärken, können wir auch die Welt zum Besseren verändern.

Als Parteivorsitzender habe ich im letzten Jahr ein Kooperationsabkommen mit der brasilianischen Arbeiterpartei von Präsident Lula unterzeichnet und einen Parteiendialog ins Leben gerufen. Derzeit erarbeiten deutsche und brasilianische Abgeordnete ein gemeinsames Positionspapier zur nächsten Klimakonferenz. Mit der Mongolischen Volkspartei haben wir ein Abkommen geschlossen, um unsere Zusammenarbeit für eine resiliente Demokratie zu stärken. Mit dem Südafrikanischen ANC erarbeiten wir nun ein Kooperationsabkommen wie wir gemeinsam die regelbasierte Ordnung stärken können. Darüber hinaus haben wir den Dialog mit Partnern überall auf der Welt intensiviert.

Ich finde, dass ist das, was sozialdemokratische Politik in ihrer Geschichte und auch heute stark macht. Uns eint das Bewusstsein und die Überzeugung, dass wir globale Herausforderungen nur gemeinsam werden lösen können. Die sozialdemokratischen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität wurden von unserer Partei immer international gelebt.

Es braucht mehr Miteinander und Kooperation statt Konfrontation. Auch wenn wir unterschiedliche Perspektiven auf Konflikte und Krisen haben, gibt es immer Interessen und Werte, die uns zusammenbringen. Diese herauszuarbeiten, ist heute wichtiger denn je. Gerade in Zeiten, in denen rechtsextreme und populistische Kräfte sich global vernetzen, um ihre zerstörerische, völkische Ideologie zu verbreiten. Sie haben keine Antworten, um die Welt besser zu machen. Wir hingegen schon.

Die Grundlage dafür ist eine neue Nord-Süd-Politik, die wir als deutsche Sozialdemokratie in den nächsten Jahren prägen wollen. Das werde ich als Parteivorsitzender vorantreiben und lade dazu zur Diskussion ein. Heute Abend und in Zukunft.