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TV-Duell Faktencheck
TV-Duell Faktencheck
Was Merz behauptet – und was wirklich stimmt.
Olaf Scholz hat das TV-Duell gegen Friedrich Merz gewonnen. In einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF sagten das die meisten Befragten – 37 Prozent – kurz nach der Ausstrahlung der Debatte. Vor allem bei Frauen und bei Jüngeren führt Scholz: 43 Prozent der Zuschauerinnen sahen ihn als Sieger, 47 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen. Zudem fanden Mehrheiten von 42 bzw. 46 Prozent ihn glaubwürdiger und sympathischer. Laut einer Auswertung der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität sahen sogar 46 % aller Teilnehmer*innen Olaf Scholz als Debattensieger. Friedrich Merz fiel im TV-Duell hingegen nicht zuletzt durch falsche oder verzerrte Fakten in den großen Themenbereichen auf – Migration, Wirtschaft, Sozial- und Steuerpolitik.
Merz wirft eine hohe Zahl zur irregulären Migration in den Raum: „Wir haben in den drei Jahren Ihrer Amtszeit in Deutschland weit über zwei Millionen irreguläre Migranten nach Deutschland gesehen.“
Was wirklich stimmt: Auf Merz‘ Zahl kommt man höchstens dann annähernd, wenn man die Ukrainerinnen und Ukrainer mitzählt – die aber visumsfrei einreisen und daher keine irregulären Migranten sind. Auch die Zahl der Asylgesuche lag insgesamt nur bei 805.000. Die Zahl ist grob falsch.
Merz meint, seine Vorschläge seien durch das Grundgesetz gedeckt: „Es geht. Das Grundgesetz ist im Jahr 1993 geändert worden und seitdem hat niemand mehr, der auf dem Landweg eine deutsche Grenze erreicht, einen Anspruch darauf, ein Asylverfahren zu bekommen, auch wenn er Asyl sagt.“
Was wirklich stimmt: Man muss Normen auch bis zum Ende lesen: In Artikel 16a Abs. 5 GG steht ausdrücklich, dass EU-Recht oder internationale Verträge hier etwas anderes regeln dürfen. So gilt natürlich die Dublin-Verordnung, die genau diese Zurückweisung verbietet. Das hat der EuGH auch gerade (gegen Frankreich) so noch einmal bekräftigt. Das hätte Friedrich Merz als Jurist wissen müssen.
Merz sagt, die von ihm vorgeschlagenen Praktiken zur Zurückweisung an den Grenzen würden in vielen europäischen Staaten schon umgesetzt: „Frankreich macht es, Spanien macht es, Dänemark macht es, Schweden macht es, Finnland macht es.“
Was wirklich stimmt: Diese Staaten verfolgen aktuell das gleiche Modell wie Deutschland. Das bedeutet, sie kontrollieren ihre Grenzen und weisen zurück bei irregulärer Einreise ohne Asylgesuch. So wurden seit Beginn der Grenzkontrollen über 40.000 Personen an deutschen Grenzen zurückgewiesen. Aber: Niemand weist Asylsuchende an den Grenzen ab, denn das wäre anderswo genauso europarechtswidrig wie bei uns.
„Wir haben eine Insolvenzwelle wie nie in den letzten 15 Jahren. 50.000 Unternehmen sind in ihrer Amtszeit in Deutschland in die Insolvenz gegangen.“
Was wirklich stimmt: Zwischen den Jahren 2010 und 2019 gab es in jedem Jahr mehr Unternehmensinsolvenzen als im Jahr 2023. Sie lagen zwischen 31.998 (2010) und 18.749 (2019). 2023 gab es 17.814 Unternehmensinsolvenzen. Auch wenn die Zahl der Unternehmensinsolvenzen von 2021 bis 2023 tatsächlich bei insgesamt knapp unter 50.000 lagen, stimmt Merz‘ Aussage also nicht, dass die aktuellen Zahlen in den vergangenen 15 Jahren noch nie so hoch gewesen seien wie heute oder in den vergangenen drei Jahren.
In der deutschen Industrie finde eine Deindustrialisierung statt, meint Merz, und fragt polemisch: „Was ist denn der Verlust von 300.000 Arbeitsplätzen in der Industrie anderes [als Deindustrialisierung]?“
Was wirklich stimmt: Im produzierenden Gewerbe ist die Zahl der Beschäftigten seit Amtsantritt von Olaf Scholz laut Daten des statistischen Bundesamts ungefähr gleich geblieben (8,087 Millionen Beschäftigte im produzierenden Gewerbe im Jahr 2021 vs. 8,095 Millionen im Jahr 2024). Auch wenn Einigkeit darüber besteht, dass die Wirtschaft sich in einer schwierigen Lage befindet, gibt Merz‘ Zahl lediglich Prognosen von Arbeitgeberverbänden wieder. Es ist nicht zu Arbeitsplatzverlusten in dieser Größenordnung gekommen.
Merz sagt, der Vorschlag der SPD für einen Made-in-Germany-Bonus bedeute neue Schulden: „Höhere Schulden, höhere Steuern und höhere Staatsausgaben. So, und jetzt soll das Ganze ‚Made in Germany-Bonus‘ heißen.“
Was wirklich stimmt: Der Made-in-Germany-Bonus senkt die Kostenbelastung für Unternehmen, da 10 Prozent der Anschaffungskosten für Ausrüstungsinvestitionen bezuschusst werden – von einer Steuererhöhung kann nicht die Rede sein. Wir haben Ausgaben und Einnahmen, die aus unseren Vorschlägen resultieren, geschätzt und das Programm insgesamt „durchgerechnet“. Den Ausgaben stehen Einnahmen gegenüber, z.B. aus vermögensbezogener Besteuerung, Bekämpfung von Steuerbetrug oder Eindämmung von Steuervermeidung. Hinzu kommen sogenannte Zweitrundeneffekte durch Wirtschaftswachstum. Es ist hingegen gerade das Programm der Union, welches nicht durchgerechnet ist. Würden die Vorschläge der Union umgesetzt, würde dies ein Loch in den öffentlichen Haushalt von ca. 100 Milliarden Euro pro Jahr reißen.
Merz wirft der SPD ohne Beleg vor, dass sie den Spitzensteuersatz auf 60 Prozent erhöhen müsse, um 95% der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu entlasten.
Was wirklich stimmt: Einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent sieht das SPD-Steuerkonzept nicht vor. Der Spitzensteuersatz soll von 42 Prozent auf 45 Prozent steigen und deutlich später einsetzen, was bei einem Single bis zu einem Einkommen von 142.000 Euro im Jahr für Steuersenkungen sorgt, bei Paaren 284.000 Euro. Der sogenannte Reichensteuersatz würde 47 Prozent betragen und früher einsetzen. Darüber werden Spitzenverdiener etwas mehr Steuern bezahlen. Die Analyse verschiedener Institute (z.B. DIW) zeigt: Der CDU-Einkommensteuertarif ist mit 38 Mrd. Euro Steuerausfall pro Jahr quasi unbezahlbar. Das SPD-Konzept hingegen ist finanzierbar. Und fair. Damit wäre eine Finanzierung für eine Entlastung von 95% der Einkommen gewährleistet.
„Meine Vermutung ist, sie [die Mietpreisbremse] bremst eher den Neubau, als dass sie ihn befördert.“
Was wirklich stimmt: Neubauten sind von der Mietpreisbremse ausgenommen. Die Ausnahme von der Mietpreisbremse gilt auch bei umfassend modernisierten Wohnungen. Merz Aussage ist also nicht haltbar.
Wenn man 100.000 Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld in den Arbeitsmarkt integriere, würde der Staat damit 1,5 Milliarden Euro sparen, meint Merz.
Was wirklich stimmt: Die Summe ist bedeutend kleiner. Pro 100.000 Bürgergeldbeziehende weniger ergeben sich für den Bund rund 730 Millionen Euro weniger Ausgaben. Das ist also maximal die Hälfte der Zahl, die Merz behauptet hat.
„Es sollten 200 Euro im Monat sein, die ausgezahlt werden an diejenigen, die die CO₂-Bepreisung zu bezahlen haben.“
Was wirklich stimmt: Merz hat sich vermutlich vertan: Würden alle Einnahmen aus der CO2-Abgabe wieder ausgeschüttet, ergäbe das nicht einmal 200 € pro Person im Jahr. Davon kann sich niemand ein E-Auto kaufen oder sein Haus sanieren. Die CO2-Preise mit der Gießkanne zurückzugeben, ist zudem unsozial. Reiche brauchen das nicht, für viele andere ist es bei weitem zu wenig. Wir haben mittlerweile alle technischen Voraussetzungen geschaffen, um überhaupt Geld an die Bürgerinnen und Bürger auszuzahlen. Jetzt wollen wir es sozial gerecht tun. Würde Merz es ernst meinen mit den 200 Euro pro Monat, würde er ein weiteres Loch von ca. 190 Milliarden in den Haushalt reißen, für das die Union keine Gegenfinanzierung hat.
Ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke hätte unsere Strompreise gesenkt und der Wirtschaft geholfen.
Was wirklich stimmt: Die Abschaltung der letzten verbliebenen Atomkraftwerke im Frühling 2023 hatte keine sichtbaren Auswirkungen auf die Strompreise. Abgesehen davon ist Atom-Strom deutlich teurer als Sonnen- oder Windstrom. Selbst die Betreiber ehemaliger Atomkraftwerke wollen keinen Wiedereinstieg, weil er extrem aufwendig und vor allem unrentabel wäre.
Die aktuelle Rekordbeschäftigung gehe allein auf das Konto der zunehmenden Teilzeitbeschäftigung: „Dieser hohe Beschäftigungsstand ist zu einem ganz, ganz wesentlichen Teil durch Teilzeit entstanden.“
Was wirklich stimmt: Die Zahl der Erwerbstätigen ist von 2020 mit 44.966.000 auf heute 46.083.000 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Teilzeitquote nur moderat von 30,0 auf 30,9 % (2023) gestiegen. Damit lässt sich die Rekordbeschäftigung also schon rechnerisch nicht erklären.
Merz meint, das Sondervermögen für die Bundeswehr kommt auf das 2-Prozent-Ziel der NATO drauf: „Sie haben in Ihrer Regierungserklärung […] versprochen, 100 Milliarden für die Bundeswehr an Sondervermögen und ab sofort mindestens zwei Prozent für die Bundeswehr auszugeben [...] Und da stand ein UND dazwischen.
Was wirklich stimmt: Scholz hat in seiner Zeitenwenderede am 27. Februar 2022 angekündigt: Es wird ein Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro sofort eingerichtet und im Grundgesetz abgesichert. Bis 2024 sollen die Ausgaben für Verteidigung zudem auf 2 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Dieses Versprechen hat er gehalten: 2024 hat Deutschland zum ersten Mal seit 1990 mehr als 2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben (genau: 2,12 Prozent).
Was die Union für die Bundeswehr ausgeben will, könne allein durch Wachstum finanziert werden, sagt Merz.
Was wirklich stimmt: Die Kosten für das Programm der Union liegen bei ca. 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das haben zahlreiche unabhängige Expertinnen und Experten ermittelt. Da sind zusätzliche Ausgaben für die Bundeswehr aber noch nicht einmal drin. Ein Prozentpunkt zusätzliches Wirtschaftswachstum würde im Jahr etwa 10 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen bringen. Es bräuchte also ein Wachstum von 10 Prozent, um die Pläne der Union zu finanzieren. Das ist völlig illusorisch und bedeutet: Merz‘ Vorschläge müssten durch Streichungen an anderer Stelle finanziert werden.