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1878 | Sozialistengesetz

Zeichnung: „Huldigung der Freiheit. Zur Erinnerung an die Reichstagswahl 1893.“
Hans Gabriel Jentzsch, in: Der Wahre Jacob 1893

19. Oktober 1878
Bismarcks größte Niederlage

1878 wird die deutsche Sozialdemokratie verboten. Reichskanzler Otto von Bismarck will deren "gemeingefährliche Bestrebungen" ein für alle Mal unterbinden. Zwölf Jahre lang gilt das Ausnahmegesetz. Die Bewegung ist danach stärker als zuvor. Bismarck muss abtreten.

"Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gewerkschaftsordnung bezwecken, sind zu verbieten. Dasselbe gilt von Vereinen, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise zu Tage treten. Den Vereinen stehen gleich Verbindungen jeder Art."

Sozialdemokrat*innen als "Reichsfeinde"

Am 19. Oktober 1878 beschließt der Deutsche Reichstag mit 221 gegen 149 Stimmen das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie". Alle Organisationen der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), ihre Presse und die von ihr aufgebauten Gewerkschaften sind fortan verboten. Nur die sozialdemokratische Reichstagsfraktion darf weiter bestehen - denn die Wahlgesetzgebung sieht die reine Personenwahl vor.

Dem Verbot vorausgegangen ist bereits eine jahrelange Verfolgung und Verteufelung der Sozialdemokraten. Seit Mitte der 1870er Jahre gelten die Sozialdemokrat*innen als neue "Reichsfeinde". Sie lösen in dieser Rolle den politischen Katholizismus ab, dem Bismarck zuvor im so genannten "Kulturkampf" entgegengetreten war.

Bismarck nutzt zwei gescheiterte Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni 1878, um das Gesetz durchzusetzen - auch wenn eine Beteiligung der SAP an beiden Mordanschlägen trotz intensiver Bemühungen der Polizeibehörden nicht nachzuweisen ist.

"Kleiner Belagerungszustand"

Mehrfach wird die Dauer des "Sozialistengesetzes" verlängert. Reichsweit fallen 1300 Druckschriften und mehr als 330 Arbeiterorganisationen unter das Verbot. Zusätzlich wird in mehreren Städten, darunter Berlin, Hamburg und Leipzig, der "Kleine Belagerungszustand" verhängt. Mehr als 800 Sozialdemokraten müssen daraufhin ihre Heimat verlassen. Berliner Reichstagsabgeordnete dürfen in dieser Zeit nur an Sitzungstagen in ihre Stadt zurückkehren.

Auch August Bebel muss Leipzig verlassen. Seine Frau Julie führt die Geschäfte des gemeinsamen Betriebes allein weiter. In seiner Autobiografie "Aus meinem Leben" erinnert sich August Bebel:

"Kein Prozess, keine Verurteilung hat je bei mir ähnliche Gefühle des Hasses, der Er- und Verbitterung hervorgerufen als jene sich von Jahr zu Jahr erneuernden Ausweisungen, bis endlich der Fall des unhaltbar gewordenen Gesetzes dem grausamen Spiel mit menschlichen Existenzen ein Ende machte."

Bismarck will die Sozialdemokratie vernichten. Er erreicht das Gegenteil: Bei den Reichstagswahlen 1884 können die Sozialdemokrat*innen ihre Stimmenzahl um 50 Prozent gegenüber der letzten Wahl steigern. 1890 werden sie mit 1,4 Millionen Wählern, einem Anteil von knapp 20 Prozent der abgegebenen Stimmen, zur stimmkräftigsten Partei. Das Gesetz wird nicht abermals verlängert. Bismarck muss abtreten. Der neue Kaiser, Wilhelm II., behauptet, auf die Sozialdemokratie zugehen zu wollen.

Hitler lernt aus Bismarcks Niederlage

Dennoch endet die Unterdrückung und Beschimpfung der Sozialdemokraten nicht. Der Historiker Willy Albrecht schreibt:

"Kein Sozialdemokrat konnte im Kaiserreich Staatsbeamter werden, ja die ehrenamtlichen Funktionäre der SPD und der Gewerkschaften verloren oftmals ihren Arbeitsplatz, wenn ihre politische und gewerkschaftliche Tätigkeit bekannt wurde."

Aber der Erfolg im Verbot verführt viele Sozialdemokrat*innen 1933 dazu, zunächst auf eine Wiederholung der Geschichte zu vertrauen, als die SPD ein weiteres Mal verboten wird. Doch Hitler belässt es dabei nicht. Mit brutalem Terror unterdrücken seine Schergen jede oppositionelle Regung. Freie Wahlen finden nicht mehr statt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die wiedererstandene SPD ein drittes Mal verboten: in der DDR. Wieder verstecken treue Genossinnen und Genossen ihre Parteibücher - und holen sie 1989 wieder hervor.

Seit ihrer Gründung setzt sich die SPD für Demokratie in einer offenen Gesellschaft ein; für die Beteiligung aller, auch der Schwachen und Ausgegrenzten. "Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität" sind ihre Leitwerte. Dass nie wieder eine Bevölkerungsgruppe unterdrückt und keine Diktatur mehr möglich wird, ist ihr vorrangiges Ziel. Dafür setzt sie sich nicht nur in Deutschland ein, sondern weltweit.