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1913 | Geburtstag von Willy Brandt

Foto: Alt-Bundeskanzler Willy Brandt lächelt, während der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, bei der zentralen Kundgebung nach der Öffnung der Mauer am 10.11.1989 vor dem Schöneberger Rathaus in West-Berlin durch ein Megafon spricht.
dpa

18. Dezember 1913
"Links und frei" - Der Geburtstag Willy Brandts

Die Verkäuferin Martha Frahm bringt am 18. Dezember 1913 in einem Vorort von Lübeck einen Sohn zur Welt. Unehelich. Herbert Frahm wird erst 1947 erfahren, wer sein Vater war. Inzwischen hat er, im Widerstand gegen das Hitler-Regime, einen anderen Namen gefunden: Willy Brandt.

Im Sommer vor Herbert Karls Frahms Geburt hat die Sozialdemokratie ihren Gründer, ihren Übervater verloren: August Bebel, den "Arbeiterkaiser". In seinen Erinnerungen "Links und frei" schreibt Willy Brandt über die von Bebel geprägte Partei: "Nicht selten hatte ich die Empfindung, ihn noch selber zu treffen." Und:

"Ich weiß, was Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie in Deutschland bewirkten: Sie brachten es zuwege, dass aus den Nachkommen von Millionen rechtloser Proletarier und unmündiger Frauen ebenbürtige und selbstbewusste Staatsbürger werden konnten".

Früh übt sich

Der junge Herbert Frahm spricht seinen Großvater Ludwig als "Papa" an. Ludwig Frahm ist Maurerpolier und ein engagierter Gewerkschafter. Er macht seinen begabten Enkel mit "der Bewegung" vertraut und prägt dessen frühe Weltsicht:

"Ich wuchs buchstäblich 'von Hause aus' in der Vorstellung auf, dass Sozialismus von der Gleichwertigkeit der Bürger handele. Praktisch habe er sich als Solidarität, als Füreinandereinstehen auszudrücken, und dass er letztlich die materiellen Ungerechtigkeiten ganz überwinden würde, daran zweifelte man nicht."

Als Journalist in Oslo

In der Weimarer Zeit schließt der junge Herbert sich der SAJ an; er wird "Falke". Dank der Falken-Zeltlager kann er erste Blicke auf die Welt jenseits der Lübecker Stadtmauern werfen. Er reist nach Namedy am Rhein und kommt auch erstmals nach Norwegen.

Norwegen wird zu Willy Brandts Exil, als die Nazis nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler binnen Monaten die deutsche Demokratie abschaffen und politische Gegner mit brutalsten Mitteln mundtot machen. Herbert Frahms früher Förderer, der SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber, wird auf dem Weg zur Kroll-Oper zusammengeschlagen. Herbert Frahm entziehen die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft. Von der SPD hat er sich in dieser Zeit losgesagt. Er hat sich der SAP angeschlossen, die aber nie mehr sein wird als eine linke Splitterpartei.

In Oslo arbeitet er als Journalist. Gleichzeitig pflegt er unter Inkaufnahme großer Gefahren Kontakte zwischen emigrierten Sozialdemokrat*innen und dem Widerstand im Deutschen Reich. Unter falschem Namen reist er 1936 nach Berlin.

"Die nordischen Jahre waren in mancher Hinsicht die prägendsten meines Lebens. Ich begann zu verstehen, was nicht nur Rechtsstaatlichkeit und Freiheitlichkeit, sondern auch Liberalität und mitbürgerliche Solidarität bedeuten können. Ich begriff die Chancen einer Sozialpolitik, die eine Orientierung an der Armenhilfe weit hinter sich lässt."

Aus Herbert Frahm wird Willy Brandt

Um die Schergen des NS-Regimes zu täuschen, legt er sich den Namen Willy Brandt zu. Nach dem Krieg, zurück in Deutschland und schließlich wieder eingebürgert, entscheidet er sich dafür, fortan offiziell diesen Namen zu führen. Politische Gegner werden ihn deshalb — und wegen seines Exils und seiner unehelichen Herkunft — immer wieder Übel verleumden: "Willy Brandt alias Frahm", "Willy Brandt an die Wand".

Unbeirrt bleibt Willy Brandt seinen in jungen Jahren und in Skandinavien geprägten Prinzipien treu. Als Kurt Schumacher von Hannover aus den Wiederaufbau der SPD organisiert, leitet Willy Brandt das Berliner Verbindungsbüro des Parteivorstands zur Militärverwaltung.

In Berlin lernt er Ernst Reuter kennen. Willy Brandt spricht in seinen Erinnerungen von "meiner stärksten Erfahrung mit sozialdemokratischer Führerschaft:

"Mich überzeugte die ruhige, vertrauenerweckende Art, durch die er den Berlinern in der Zeit ihrer großen Bedrängnis eine verlässliche Führung gab."

1957, vier Jahre nach Ernst Reuters frühem Tod, wird Willy Brandt dessen Nach-Nachfolger. Er bekleidet das Amt des "Regierenden" bis Ende 1966, als er Außenminister in der ersten Großen Koalition wird. Seit 1949 gehört er als Berliner Abgeordneter dem Deutschen Bundestag an. 1961 tritt er erstmals als Kanzlerkandidat der SPD an - gegen den greisen Konrad Adenauer - und verliert.

Pragmatismus und Visionen

In diesem Wahlkampf macht Willy Brandt auch den Umweltschutz zum Thema: Der Himmel über Ruhr müsse "wieder blau werden". Er wird dafür belächelt. In seinen Erinnerungen stellt er fest, er habe selten auf Anhieb erreicht, "was ich mir vorgenommen hatte".

Aber: "Meine Erfahrung besagt, dass es nicht schadet, wenn einem auf dem Weg zu herausgehobener politischer Verantwortung Schwierigkeiten und Widerstände begegnen.". Während des Baus der Berliner Mauer gibt er, so wie vor ihm Ernst Reuter, besonnen und selbstbewusst dem bedrängten Berlin Gesicht und Stimme.

Foto: Willy Brandt (l) und John F. Kennedy am 26.06.1963 in Berlin
dpa

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Willy Brandt (l) mit seinem Gast, dem US-Präsidenten John F. Kennedy am 26.06.1963 in Berlin.

Das macht ihn über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. 1963 begrüßt er den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in der geteilten Stadt.

Fortan bemüht sich Willy Brandt, die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas durch eine Politik der kleinen Schritte zu beenden. Als West und Ost immer weiter aufrüsten, setzt Willy Brandt auf "Wandel durch Annäherung".

Die "Entspannungspolitik"

Als Außenminister ab 1966 und dann als Bundeskanzler von 1969 bis 1974 gestaltet Willy Brandt in diesem Sinne eine neue Ostpolitik. Seine "Entspannungspolitik" führt zum Ende des Kalten Krieges und macht schließlich die deutsche Wiedervereinigung möglich. Willy Brandt wird 1989 feststellen können, jetzt wachse "zusammen, was zusammengehört." Als Bundeskanzler ermöglicht Willy Brandt auch die Versöhnung mit Polen. Spontan kniet er in Warschau am Mahnmal für den jüdischen Aufstand gegen die deutsche Besatzung nieder.

Heute trägt dort ein Platz seinen Namen: Mitten in einer Stadt, die in deutschem Namen ausradiert werden sollte. 1971 wird dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt der Friedensnobelpreis verliehen.

Foto: Willy Brandt kniet am 7. Dezember 1970 vor dem Mahnmal im einstigen jüdischen Ghetto in Warschau
dpa

Innenpolitisch wird Brandts Regierungszeit zu einer Ära der Reformen. Unter der Überschrift "Wir wollen mehr Demokratie wagen" entrümpeln Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Koalition mit der FDP vor allem die Sozial-, die Bildungs- und die Rechtspolitik. Historiker*innen bezeichnen jene Jahre im Rückblick als zweite Gründungsphase der Bundesrepublik.

Foto: Solidaritätskundgebung am 26.04.1972 in Hamburg für die Regierung Brandt-Scheel
Lothar Heidtmann/dpa

Demonstrant*innen setzen sich am 26. April 1972 auf der Hamburger Moorweide bei einer Solidaritätskundgebung für die Regierung Brandt-Scheel ein. Einen Tag später scheiterte der Unions-Fraktionschef im Bundestag, Rainer Barzel, mit seinem Misstrauensantrag gegen Kanzler Willy Brandt.

"Willy wählen!"

1972, nach einem überstandenen Misstrauensvotum und einem von der anderen Seite mit harten Bandagen geführten Wahlkampf fährt Willy Brandt den größten Wahlerfolg in der Geschichte der SPD ein. Sie kommt auf 45,8 % der Stimmen. Millionen vor allem junge Menschen engagieren sich erstmals politisch. Hunderttausende treten der SPD bei.

Von 1962 bis 1987 ist Willy Brandt Vorsitzender der SPD. Er prägt sie wie vor ihm nur August Bebel. Nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers nutzt er den Parteivorsitz und den Vorsitz der Sozialistischen Internationale, um auf das wachsende Nord-Süd-Gefälle in der Welt aufmerksam zu machen. Er ermutigt und unterstützt Demokratiebewegungen in aller Welt.

Willy Brandt stirbt am 8. Oktober 1992 in seinem letzten Wohnsitz Unkel am Rhein — unweit von Namedy, wohin ihn sein erster Ausflug als junger "Falke" geführt hatte. Beigesetzt wird er auf dem Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf. Hier ist er Ernst Reuter wieder nah.