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1934 | Prager Manifest

24. Januar 1934
Die Stimme des Anstands
"Die Kunst des Selbstrasierens": Unter diesem Titel meldet sich das andere, das bessere und menschliche Deutschland zu Wort, ein Jahr nach der von den Konservativen geduldeten "Machtergreifung" der NSDAP.
Der Aufruf gelangt als Beipackzettel zu einem Rasierer nach Deutschland. Kuriere schmuggeln ihn über die Grenze der Tschechoslowakei. Die SPD ist verboten. Alle führenden Sozialdemokrat*innen wurden entweder verhaftet und in "Konzentrationslager" gebracht oder sind untergetaucht und geflohen. Politische Opposition ist nur noch aus der Illegalität heraus möglich und wirkt oft hilflos. Die neuen Machthaber verstehen sich auf das Geschäft der Einschüchterung. Sie schrecken vor keiner Brutalität zurück.
"1933 bis 1935 wurden Tausende von Sozialdemokraten verschleppt, misshandelt, auch ermordet, in "wilden", dann auch in frühen staatlichen Konzentrationslagern (Dachau, Emslandlager), wobei mit besonderer Schärfe Sozialdemokraten mit jüdischem Hintergrund verfolgt wurden. (...) Es ging den Nazis darum, den politischen Gegner auszuschalten, wobei auch das Motiv der Rache an denjenigen, die sich der NS-Bewegung entgegengestellt hatten, unübersehbar war."
(Quelle: Bernd Faulenbach: Geschichte der SPD, C.H. Beck 2012, S. 57)
Rassenwahn und Großmachtsucht der Nazis
In Prag formiert sich ein Exilvorstand der SPD um Otto Wels, Hans Vogel und Rudolf Hilferding. Unter dem Datum des 24. Januar 1934 formuliert die "Sopade" das "Prager Manifest".
Darin heißt es hellsichtig:
"Die nationalsozialistische Diktatur hat Deutschland in Barbarei und Bestialität gestoßen, das deutsche Volk mit tiefer Schmach bedeckt. Aber die Hitlerherrschaft ist nicht nur Schande und Gefahr für Deutschland, sie bedeutet die Gewaltdrohung gegen die Freiheit und Zivilisation aller anderen Völker. Die Diktatur hat in Rassenwahn und Großmachtsucht den alldeutschen Nationalismus zur Siedehitze gesteigert. Sie vergiftet die Jugend mit militaristischem Angriffsgeist, sie setzt alle geistigen und materiellen Mittel ein für eine fieberhafte Aufrüstung ..."
Sozialdemokrat*innen als "Hauptfeind"
Den Nazis kommt zugute, dass die KPD noch bis 1935 die Sozialdemokratie als ihren "Hauptfeind" bezeichnet. Sie spricht, einer Weisung der "Komintern" aus Moskau folgend, von "Sozialfaschisten" - sogar noch, als Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen sich in KZs wiedersehen. Ernst Heilmann etwa, der als Fraktionsvorsitzender der SPD im Preußischen Landtag demokratische Prinzipien gegen Nazis und Kommunisten mutig verteidigt hat, wird im Emslandlager von kommunistischen Mitgefangenen verhöhnt und geschnitten.
Die Erinnerung daran lässt Sozialdemokrat*innen um Kurt Schumacher nach dem Zweiten Weltkrieg misstrauisch bleiben, als Kommunist*innen nunmehr die "Einheit der Arbeiterbewegung" beschwören. Zu Recht.
Wie das gemeint ist, offenbart sich nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED in der sowjetisch besetzten Zone. Die SED folgt den Weisungen Moskaus. Erneut werden Sozialdemokraten verhaftet. Oft landen sie in denselben KZs, in denen sie schon von Nazi-Schergen gequält worden sind.
Gegen Rassismus und Kulturalismus
Konsequent für Freiheit und Demokratie: Diese Haltung haben nur Sozialdemokrat*innen immer durchgehalten. Sie ist auch heute vonnöten. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stemmen sich überall im Land den neuen Nazis und allen Versuchen, rassistische Ideen wieder hoffähig zu machen, entgegen.
Über die rechtsextreme Szene, über rechtsradikale Gewalt und Initiativen gegen rechts informiert regelmäßig das Online-Magazin "Endstation rechts".