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1944 | Attentat auf Hitler
20. Juli 1944
Ein letztes Attentat auf Hitler scheitert
Am 20. Juli 1944 scheitert der letzte Versuch, Hitler auszuschalten. Diesmal sind Offiziere die Attentäter. Doch hinter ihnen steht ein Netzwerk von Widerständler*innen. Mittendrin: der Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner.
Zuletzt hängt alles an einem: Claus Schenk Graf von Stauffenberg zündet die Bombe in Hitlers Hauptquartier, der sogenannten Wolfsschanze. Hitler überlebt — und nimmt furchtbare Rache. Einige der am Attentat Beteiligten werden gleich in den nächsten Tagen ermordet, hunderte in den Wochen und Monaten darauf. Manche wählen den Selbstmord, einigen Offizieren wird er nahegelegt.
In der medialen Erinnerung stehen die beteiligten Militärs im Mittelpunkt. Viele von ihnen stammen aus uralten ostdeutschen Adelsgeschlechtern. Sie gehören zur Blüte der Wehrmacht. Sie verkörpern "preußische" Traditionen, gute wie schlechte.
Zum Widerstand gegen Hitler rafft man sich in diesen Kreisen erst auf, als der Weltkrieg faktisch schon verloren ist. Entschlossener und mutiger ist Georg Elser, ein Schreinergeselle.
Ein Schreiner geht voran
Ganz auf sich gestellt deponiert Elser schon am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller eine selbstgebaute Bombe. Hitler soll hier eine Rede halten. Doch er kommt früher als geplant - und geht auch früher. Er nimmt sein Überleben als Zeichen der Vorsehung.
Elser wird beim Versuch der Flucht über die Schweizer Grenze gefasst. Seinen Folterern erklärt er, er habe helfen wollen, "die Verhältnisse der Arbeiterschaft" zu verbessern und einen Krieg zu vermeiden. Georg Elser wird kurz vor Kriegsende im KZ Dachau ermordet.
Ob er den Aufruf der Exil-SPD "An das deutsche Volk!" vom 1. September 1939 kannte? "Mit einem verbrecherischen Angriff Hitlers (auf Polen) hat der Krieg begonnen," heißt es darin, und: "Die Vernichtung der Freiheit und die Zerstörung des Weltfriedens waren von Anfang an der Inhalt der nationalsozialistischen Politik. Der Sturz Hitlers ist deshalb das Ziel, für das wir kämpfen werden gemeinsam mit allen demokratischen Kräften in Europa." Aber auch: "Hitler und der deutsche Militarismus sind eins."
Unterzeichner sind Hans Vogel und Otto Wels, der schon 1933 im Reichstag die Ablehnung der Hitler-Diktatur durch die SPD begründet hat. Tausende Sozialdemokratinnen und Sozialdemorkaten wurden seither verhaftet, gefoltert, ermordet. Parteihäuser wurden besetzt, Zeitungen beschlagnahmt. Offiziere machen derweil Karriere.
Wilhelm Leuschner enttarnt die Pläne der Nazis
Zu den früh Verhafteten zählt auch Wilhelm Leuschner. Als hessischer Innenminister macht er 1931 die geheimen Staatsstreichpläne der Nazis mit Hilfe des "vorwärts" öffentlich, die "Boxheimer Dokumente". Das ist der NSDAP-Führung mehr als peinlich; sie ist zu dieser Zeit bemüht, sich einen bürgerlichen Anschein zu geben. Sie umwirbt nationale und liberale Parteien als mögliche Bündnispartner.
Am 19. Februar 1933, knapp drei Wochen nach Hitlers "Machtergreifung", hält Leuschner, Sohn eines Ofensetzers, gelernter Holzbildhauer, geboren 1890 in Bayreuth, SPD-Mitglied seit 1913, seine letzte öffentliche Rede. Er hält sie in Darmstadt, wo er zu Beginn der Weimarer Republik eine zentrale Rolle beim Aufbau freier Gewerkschaften gespielt hat. Er wendet sich gegen die Flucht ins Exil, ruft die Mitglieder der sozialdemokratischen Eisernen Front dazu auf, an ihren Plätzen zu bleiben und "gegen die Zerstörung des Staates durch die NS-Horden" zu kämpfen.
Die Horden sind stärker. Sie machen sich den Staat und dessen Beamte zu willigen Dienern. Leuschner hat schon im Februar einen ersten Kontakt zu putschwilligen Generälen. Darauf wird er später aufbauen können, als er ein Untergrund-Netzwerk oppositioneller Demokrat*innen spannt, das Militärs und christliche Politiker*innen mit Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen zusammenbringt. Darunter ist Jakob Kaiser, der nach dem Krieg zunächst eine führende Rolle bei der Gründung der CDU spielen wird.
Flucht lehnt Leuschner ab
Am 2. Mai 1933, beim Überfall der SA auf die noch funktionstüchtigen Gewerkschaftshäuser, wird Leuschner in Berlin brutal zusammengeschlagen. Nach Kontakten mit dem Völkerbund in Genf lehnt Leuschner, treu seiner eigenen Mahnung, den Verbleib im Exil ab.
Sofort nach seiner Rückkehr nach Deutschland wird er erneut verhaftet und schließlich in einem der berüchtigten Emsland-Lager, dem KZ Börgermoor, interniert. Erst am 10. Juni 1934 kommt er wieder frei.
Als ehemaliger Polizeiminister versteht Leuschner sich auf das Geschäft des Tarnens und Täuschens. Dank seiner Gewerkschaftstätigkeit hat er Kontakte in viele Städte. Er baut einen "illegalen Apparat" auf und trifft schließlich Vorkehrungen für die Übernahme der Regierung nach einem erfolgreichen Putsch gegen Hitler.
Eine Nachbarin verrät ihn
Leuschner hat klare Vorstellungen. Er will eine parlamentarische Demokratie, die gefestigter wäre als die Weimarer Republik. Dazu gehört für ihn eine Einheitsgewerkschaft, in der freie (sozialdemokratische) und christliche Gewerkschafter*innen zusammenfinden.
Leuschner erlebt nicht mehr, wie diese Visionen nach 1945 in der Bundesrepublik Wirklichkeit werden. Gleich nach dem gescheiterten Attentat taucht er unter. Die Gestapo hält sich an seine Frau, deportiert sie in die SS-Kaserne Ravensbrück. Sie schweigt.
Doch eine Nachbarin verrät Leuschner. Am 16. August geht er der Gestapo ins Netz. Seine Frau wird ihn nicht wiedersehen.
Auch unter schlimmster Folter gibt Wilhelm Leuschner keine Namen von Mitverschwörern preis. Am 8. September verurteilt ihn der "Volksgerichtshof" unter Roland Freisler zum Tode. Die Vernehmungen und Folterungen gehen noch Wochen weiter. Am 29. September 1944 wird Wilhelm Leuschner in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee gehenkt.
Einem Gefängniswärter soll er kurz vor seinem Tod gesagt haben, durch die Hinrichtung noch so vieler Verschwörer werde sich nichts ändern. Die Nazi-Führer "werden alle und müssen alle zugrunde gehen".
Bald nach Kriegsende erhalten zahlreiche Straßen und Bauten in Deutschland Wilhelm Leuschners Namen. Doch seither ist es still geworden um diesen großen, mutigen Sozialdemokraten und Gewerkschafter, der als Vizekanzler vorgesehen war, wäre das Attentat vom 20. Juli erfolgreich gewesen. Dabei hätte Wilhelm Leuschner auch heute wieder den Nachgeborenen vieles zu sagen.