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1945 | Für ein besseres Deutschland

Foto: Kurt Schumacher redet auf dem Frankfurter Römer am 6. Mai 1945
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6. Mai 1945
Für ein besseres Deutschland

Hitler ist seit einer Woche tot, Europa liegt in Trümmern, aber der Zweite Weltkrieg ist noch nicht überall beendet. Eben erst haben fanatische SS-Truppen noch Jagd auf "Verräter" gemacht, haben Standgerichte vermeintliche "Wehrkraftzersetzer" und "Fahnenflüchtige" gehenkt. Da erhebt sich in Hannover eine Stimme, die niemand vergessen wird, der sie je gehört hat.

Eine hagere Gestalt, von Krieg und Haft zum Krüppel gemacht, entwirft die Vision eines anderen, eines besseren Deutschland, eines zugleich demokratischen und sozialistischen Landes. Demokratie und Sozialismus: Das eine ist ohne das andere für Kurt Schumacher nicht vorstellbar. Tausende zieht er mit seinen Reden in den Bann, Hunderttausenden gibt er neue Hoffnung. 

Am 6. Mai 1945 hält er in Hannover seine erste große Nachkriegsrede. Auch die junge Helga Grebing hört ihn. Später wird sie als Historikerin – und Sozialdemokratin – die Wirkung von Schumachers Auftreten beschreiben und analysieren.

Ein Vorbild für die Jungen

Im Ersten Weltkrieg hat Schumacher einen Arm verloren. Nach zehnjähriger Haft in den Konzentrationslagern der Nazis muss ihm 1948 auch ein Bein amputiert werden. Aber nichts hat ihm seine Leidenschaft genommen. Säle betritt er gestützt auf seine junge Assistentin Annemarie Renger, die später die erste Präsidentin des Deutschen Bundestages werden soll.

In einer Welt, die jeden Anstand, jede Moral verloren zu haben scheint, richten sich jetzt gerade junge Deutsche an Kurt Schumachers Beispiel auf. "Sie gaben mir das Rückgrat wieder" steht in einem Dankesbrief. Der SPD strömen 1945 und 1946 alte und neue Mitglieder förmlich zu.

Dass Deutschland nur wieder aufstehen kann, wenn es sozialdemokratisch wird, ist unter Demokraten in der unmittelbaren Nachkriegszeit Konsens. Die letzte Rede Otto Wels' im Reichstag klingt nach. Noch ist unvergessen, wie die "bürgerlichen" Parteien im Angesicht Hitlers versagt und die Demokratie verraten haben.

Denken statt folgen

Schumacher selbst hat als SPD-Reichstagsabgeordneter die Nazis früh als das gesehen, was sie waren – und sie redend zur Weißglut getrieben: "Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen" (1932). Hitler hat er zugerufen, dem sei "die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen". Die Nazis vergessen ihm das nicht. Fast die gesamte Zeit der NS-Herrschaft verbringt Schumacher in Konzentrationslagern.

Ein Zusammengehen mit den Kommunisten ist für Schumacher unvorstellbar. Die KPD wurde und wird aus seiner Sicht von Moskau gesteuert und hat ein grundsätzlich anderes Verständnis von Freiheit und Demokratie. Schumacher hat das in der Spätphase der Weimarer Republik so erfahren und gelernt. Unter dem Eindruck gemeinsamer Jahre im Widerstand gegen Hitler und in KZs sehen das viele Sozialdemokraten 1945 zunächst anders.

Foto: Blick auf das Büro Kurt Schumacher in Hannover, Jacobstraße um 1946 , rundum Trümmer
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Noch vor der Kapitulation des Deutschen Reichs gründet Kurt Schumacher die erste Partei-Zentrale der SPD. (Archivfoto um 1946)

Gegen jede Form der Diktatur

Auch in Berlin entsteht die SPD neu. Die KPD in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wächst deutlich langsamer. Noch im Moskauer Exil haben Wilhelm Pieck und andere 1944 die Idee entwickelt, die Sozialdemokratie nach Kriegsende durch Schaffung einer Einheitspartei auszuschalten. Unterstützt von der sowjetischen Besatzungsmacht, wird diese Idee in der

SBZ konsequent umgesetzt. Am 21. und 22. April 1946 findet die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) statt. Das traditionsreiche Symbol der Sozialdemokratie – zwei ineinander verschränkte Hände – wird missbraucht, um vorzutäuschen, hier fände die Arbeiterbewegung endlich zu sich selbst und zu alter Stärke zurück.

Nur in den Westsektoren Berlins können Sozialdemokraten eine Urabstimmung über die Vereinigung mit den Kommunisten durchführen: 82 Prozent sind gegen die geplante Vereinigung. Im Ostsektor wird die Abstimmung von der Besatzungsmacht wohlweislich verhindert. Dort wird es die SPD wegen der Viermächte-Verantwortung für die Stadt als Ganzes formal noch lange geben. Wo die SPD bei Wahlen antreten kann, schneidet sie deutlich besser ab als die SED.

Das hat Konsequenzen. Die SED zeigt bald ihr wahres Gesicht. Tausende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden als "Spione" oder "Schumacher-Agenten" beschimpft, verhaftet und verurteilt. Nicht wenige fliehen in den Westen. Bis 1952 – Schumachers Todesjahr – werden 180 000 Mitglieder aus der SED ausgeschlossen. Die vermeintliche Einheitspartei wird konsequent ent-sozialdemokratisiert. Aus der SBZ wird die DDR, und Wahlen werden vollends zur Farce.

Eine neue SPD entsteht

Im Mai 1946 findet in Hannover der erste Parteitag der SPD in den Westzonen statt. Kurt Schumacher wird zum Vorsitzenden gewählt, Erich Ollenhauer wird sein Stellvertreter. Der eine kam aus dem KZ, der andere aus dem Exil – wie Willy Brandt, Ernst Reuter, Willi Eichler, Heinz Kühn oder Waldemar von Knoeringen. Sie alle hat nicht nur der Widerstand gegen Hitler geprägt, sondern auch das Erlebnis gefestigter Demokratien – vor allem in Großbritannien und Skandinavien (Reuter hatte in der jungen Türkei Atatürks Asyl gefunden).

Die im Westen wieder entstehende SPD ist anders als die Partei, die 1933 zerschlagen worden ist. Es geht ihr nun nicht mehr um die Schaffung einer "Gegenwelt" in einer von "bürgerlichen" Kräften geprägten Gesellschaft. Deutschland hat seinen zivilen Halt verloren. Jetzt gilt es, die Welt insgesamt zu gestalten.

Für eine gefestigte Demokratie

"Zu dem Versuch, neu anzufangen, gehörte die Entscheidung, nicht mehr notwendigerweise auf 'sozialistische Art' zu turnen, zu wandern, zu singen und Briefmarken zu sammeln", schreibt Willy Brandt später. Wenn eine wirkliche, gefestigte Demokratie auf deutschem Boden entstehen soll, sei es "ein Vorteil, wenn sich die parteipolitische Abkapselung in Grenzen hält ... Der nachwachsenden Generation bekommt es besser, wenn sie lernt, dass Glieder eines Volkes als Bürger des Staates oder der Gemeinde untereinander auskommen müssen."