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1945 | Kapitulation

Foto: Blick auf das fast völlig zerstörte Stadtzentrum von Dresden (undatierte Aufnahme)
dpa

8. Mai 1945
Ein neues Land

Am 8. Mai 1945 endet der Zweite Weltkrieg in Europa. Nazi-Deutschland kapituliert. Der "Führer" Adolf Hitler und seine engsten Helfershelfer haben sich durch Selbstmorde aus der Verantwortung gestohlen. Sie hinterlassen ein physisch, seelisch und moralisch zerbrochenes Land.

Der junge Hans-Jochen Vogel erlebt den Tag der deutschen Kapitulation als Kriegsgefangener. 2013, inzwischen 87 Jahre alt, blickt er zurück:

"Wenn uns am 8. Mai 1945, also am Tage der bedingungslosen Kapitulation des NS-Gewaltregimes, in dem Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Pisa, in dem ich mich damals befand, einer gesagt hätte: "Kinder, regt euch nicht so auf! Ich weiß, jetzt seid ihr verzweifelt, aber ich bitte euch, in vier Jahren werdet ihr ein Grundgesetz haben, das mit seiner Werteordnung eine überzeugende Antwort auf die NS-Ideologie gibt: Ihr werdet zugleich eine Demokratie, einen Rechts- und Sozialstaat und einen föderalen Staat, der auch funktionieren wird, konstituieren.

Ihr werdet auch ein Gericht haben, ein Verfassungsgericht, das seine Sache sehr gut machen wird. In zehn bis zwölf Jahren werdet ihr eure zerstörten Städte im Wesentlichen wieder aufgebaut haben. Es werden zwar über zwölf Millionen eurer Landsleute aus ihrer Heimat fliehen oder vertrieben werden, aber in erstaunlich kurzer Zeit werdet ihr sie integrieren, ohne dass es zu schweren Konfrontationen kommt. Wirtschaftlich werdet ihr schon in den fünfziger Jahren wieder besser leben als vor dem Krieg … Ihr werdet sogar Exportweltmeister werden. Und trotz der furchtbaren Verbrechen in der Zeit des NS-Gewaltregimes werdet ihr wieder euren Platz in der Weltgemeinschaft finden. Ein Deutscher, nämlich euer Bundeskanzler, wird 1971, sechsundzwanzig Jahre nach dem Kriegsende, den Friedensnobelpreis bekommen. 1972 werdet ihr in München, der Stadt, die während der NS-Zeit den Titel 'Hauptstadt der Bewegung' trug, bei Olympischen Spielen die Welt zu Gast haben.

Es wird zwar für Jahrzehnte eine Teilung eures Landes geben. Aber sie wird ebenso überwunden werden wie der Ost-West-Gegensatz, der in dieser Zeit die Menschheit gefährdet. Und die deutsche Einheit wird zustande kommen, ohne einen einzigen Schuss und ohne einen Tropfen Blut.

Europa wird zusammenwachsen. Es wird dort noch in diesem Jahrhundert keine Grenzen mehr geben und der Friede wird so selbstverständlich werden, wie es für euch der Krieg ist." 

Hätte uns das im Lager einer gesagt, wir hätten gerufen: "Der Mann ist wahnsinnig!" Oder: "Der verhöhnt uns!"

Nichts fiel vom Himmel

Doch es sollte so kommen, wenn auch all dies nicht vom Himmel fiel, sondern von drei Generationen unseres Volkes hart erarbeitet wurde … Ganz wesentlich, ja entscheidend haben daran … die so oft geschmähten Parteien mitgewirkt. Dabei denke ich vor allem an den Beitrag meiner eigenen Partei.

Wir haben daher wahrlich keinen Anlass verdrossen zu sein. Vielmehr können wir aus der Geschichte … die Zuversicht schöpfen, dass wir auch die gegenwärtigen Herausforderungen meistern werden. Wenn wir – ja, wenn wir die Lehren der Vergangenheit beherzigen, unsere Fähigkeiten nutzen und unserer Verantwortung gerecht werden.

Auch zur Dankbarkeit haben wir allen Anlass. Dem Schicksal oder – wie ich sage – dem Herrgott gegenüber."