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1956 | Marie Juchacz stirbt
28. Januar 1956
Gegen Eitelkeit und Renommiersucht
Sie war die erste weibliche Rednerin vor einem deutschen Parlament: Marie Juchacz. Am 28. Januar 1956 stirbt die AWO-Gründerin.
Die erste Rede einer Frau vor einem deutschen Parlament dauert 256 Sekunden. Als die Sozialdemokratin Marie Juchacz am 19. Februar 1919 die Rednertribüne der Weimarer Nationalversammlung betritt, ist das Frauenwahlrecht erst kurz zuvor allgemeines Gesetz geworden. 17,7 Millionen Frauen haben sich an der Parlamentswahl beteiligt. Das sind stolze 82 Prozent. 37 weibliche Abgeordnete werden in das Parlament gewählt.
"Meine Herren und Damen!", beginnt Marie Juchacz ihre Rede. Nicht, wie heute üblich, in der alphabetischen Reihenfolge. Noch ist man es zu sehr gewohnt, dass die "Herren" zuerst genannt werden. Noch ist überhaupt der Auftritt einer Frau etwas Ungewöhnliches.
Ansprache der Reichstagsabgeordneten Marie Juchacz im April 1928 anlässlich der Reichstagswahl am 20. Mai 1928:
Marie Juchacz, am 15. März 1879 in Landsberg an der Warthe geboren, hat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) gegründet. Für sie gibt es immer einen engen Zusammenhang von Frauen- und Sozialpolitik. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitet sie zunächst als Dienstmädchen und in der Krankenpflege, bevor sie eine Lehre als Schneiderin absolviert.
Eine begabte Rednerin
Durch ihren Bruder zur SPD gekommen, engagiert sie sich, nach Berlin gezogen, in der sozialdemokratischen Frauenarbeitervereinsbewegung. Bald ist sie als begabte Rednerin gefragt.
1917 wird sie als Nachfolgerin von Clara Zetkin hauptberufliche Frauensekretärin beim SPD-Parteivorstand und Chefredakteurin der Frauenzeitschrift "Die Gleichheit".
Die am 13. Dezember 1919 gegründete Arbeiterwohlfahrt führt sie bis 1933 als erste Vorsitzende. Sie prägt auch den zentralen Gedanken der solidarischen Selbsthilfe dieser sozialdemokratischen Wohlfahrtsorganisation.
1932, während der Debatte über die Reichspräsidentenwahl, ist sie die einzige Frau im Parlament, die den Nationalsozialisten und ihrer von "Kurzsichtigkeit, Eitelkeit und Renommiersucht" diktierten männerbündischen Politik entgegentritt. 1933 flieht sie aus Deutschland, erst nach Frankreich, dann in die USA. 1949 kehrt sie zurück und wird Ehrenvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt. Am 28. Januar 1956 stirbt Juchacz in Düsseldorf.