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Digitaler Fortschritt durch ein Daten-für-Alle-Gesetz

Digitaler Fortschritt durch ein Daten-für-Alle-Gesetz

Positionspapier der Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Andrea Nahles

Die SPD will, dass alle vom digitalen Wandel profitieren. Im Zentrum der Digitalisierung muss der Mensch stehen, das heißt die Bürgerinnen und Bürger. Wir werden ihre Souveränität, Freiheit und Sicherheit schützen und stärken. Technologie ist nie Selbstzweck, sondern immer Instrument zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Die Digitalisierung bietet das Potenzial, Familie und Beruf besser zu vereinbaren, Arbeit selbstbestimmter zu gestalten und unternehmerische Chancen, Wohlstand und Wohlfahrt zu mehren. Körperlich schwere Arbeiten können an Roboter abgegeben werden, Krankheiten durch künstliche Intelligenz früher und zuverlässiger erkannt, individuelle Bildung ermöglicht und ganz neue Mobilitätskonzepte entwickelt werden.

Der digitale Wandel wird derzeit durch zwei Modelle geprägt:

Auf der einen Seite das stark privatwirtschaftlich und unternehmensgetriebene Modell einer libertären Digitalisierung aus den USA, das auf kaum regulierten Digital-Märkten und geringem Datenschutz beruht. Auf der anderen Seite ein chinesisches Modell, das auf zentralistische Steuerung und Zensur ohne Schutz zentraler Menschen- und Bürgerrechte setzt. Die Entscheidungen darüber, wie wir zukünftig leben und arbeiten, wollen wir selbst treffen – auf Basis unserer europäischen Werte.

Wir sind als Europäerinnen und Europäer dazu aufgerufen, uns genau zu überlegen: Welches Modell der Digitalisierung wollen wir? Wie kann Europa sein eigenes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell in Zeiten der Digitalisierung weiterentwickeln? Wie schaffen wir eine offene, transparente, digitale Gesellschaft – mit demokratischer Kontrolle und Verantwortlichkeit? Wir brauchen einen europäischen Weg, der liberale Werte mit Regulierung im Europäischen Binnenmarkt verbindet. Es gilt, dem freien Wettbewerb die richtigen Ziele und Rahmenbedingungen vorzugeben und die mächtigen Player der Digitalisierung in die Verantwortung zu nehmen. Eine demokratische digitale Ordnung muss Wahrheit und Wettbewerb schützen und sie muss Wohlstand erzeugen und gerecht verteilen.

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Alles dreht sich um Daten!

Im Zentrum des digitalen Wandels stehen Daten, sie sind die Basis der digitalen Welt. Wenngleich Daten aufgrund ihrer Bedeutung häufig mit Öl verglichen werden, haben Daten Eigenschaften, die sie von „klassischen“ Rohstoffen unterscheiden:

  1. Persönliche Daten sind Bestandteil der grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit und Menschenwürde. Sie sind von nicht-persönlichen Daten zu unterscheiden, die nichts über einen identifizierbaren Menschen aussagen.

  2. Daten verbrauchen sich nicht – Daten sind unendlich wiederverwendbar bzw. nachnutzbar. Es gibt, ökonomisch gesprochen, keinerlei Rivalität im Konsum. Es sollte deshalb nicht das „Eigentum“ an Daten, sondern der richtige Schutz und die breite Nutzbarkeit von Daten im Vordergrund stehen. Sensordaten von Automobilherstellern verlieren nicht an Wert, wenn sie zielgerichtet mit ÖPNV-Anbietern, der Klimaforschung oder dem Katastrophenschutz geteilt werden. Im Gegenteil: Durch das Teilen und Anreichern der Daten kann das Potenzial einzelner Daten erweitert werden – für unterschiedlichste Branchen, Sektoren und die Gesellschaft. Mobilitätsdaten von Autos können vom Hersteller genutzt werden, um bessere Fahrzeuge zu produzieren, von Werkstätten, um die Reparatur zu erleichtern und von öffentlichem Stellen, um die Verkehrsplanung oder Verkehrsvorhersagen zu verbessern.

  3. Die Potenziale von Daten steigen durch Verknüpfung mit menschlichem Wissen: Ein erleichterter Zugang zu Daten bietet gerade in der Entwicklungsphase von Künstlicher Intelligenz (KI) Anreize für Unternehmen und Entwickler, ihre Ressourcen zusammen zu führen, um weitere Potenziale smarter Datenanalyse zu heben. Bereits heute kann KI beispielsweise zur Auswertung von Laboranalysen, MRT-Scans oder Röntgenbildern genutzt werden, allerdings nur wenn eine ausreichend große Datenmenge vorhanden ist.

  4. Daten werden gemeinschaftlich produziert und können aufbereitet werden. Datenqualität, Formatierung und Standardisierung entscheiden über ihre Nutzbarkeit. Technologien der Depersonalisierung, die durch vollständige Anonymisierung einzelne oder aggregierte Daten nutzbar machen und die Privatsphäre des Einzelnen schützen, müssen für die legitime Nutzung zur Verfügung stehen.

Marktmacht begrenzen und Innovationen fördern

Mittlerweile haben sich einige wenige Digitalkonzerne zu einem „datenindustriellen Komplex“ mit großer ökonomischer und gesellschaftlicher Macht entwickelt. Ob Google, Facebook und Amazon oder Tencent, Alibaba und Baidu: In den USA und China haben sich die weltweit führenden Internetplattformen mit ihren riesigen Datenschätzen zu den Vorreitern bei der KI-Entwicklung herausgebildet. Die Daten ihrer Abermillionen Nutzerinnen und Nutzer dienen ihnen als Rohstoff bei Entwicklung und Anwendung des maschinellen Lernens. Sie haben diese Daten aber nicht produziert, diese stammen vielmehr von Interaktionen der Verbraucherinnen und Verbraucher (Beispiele: Fahrstuhl, Auto, Einkaufen) und Bürgerinnen und Bürgern (Beispiel: Suchanfragen, Nutzung von Nachrichtenquellen online und offline, E-Mail, Chatgruppen). Die großen Datenspieler schöpfen hohe Renditen aus Daten ab, obwohl diese Daten nur im Zusammenspiel mit Vielen entstehen.

Gegen zu große Marktmacht gab es schon immer eine zentrale Gegenkraft: Innovation. Das hat sehr lange funktioniert. Aber im digitalen Zeitalter ist Innovation immer öfter datengetrieben. Die großen IT-Unternehmen können sehr viel innovativer sein als andere, wenn sie diese Daten für Big Data und maschinelles Lernen nutzen. Googles autonome Autos fahren weitaus besser als die der Konkurrenz, weil sie auf die riesigen Datenmengen des Konzerns zugreifen können. Dem muss man etwas entgegensetzen. Digitale Quasi-Monopole verhindern Innovation und beschneiden sowohl den Wettbewerb als auch die Entscheidungsfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das gefährdet die soziale Marktwirtschaft.
Im letzten Jahrhundert hat die Sozialdemokratie für eine gerechtere Aufteilung des Mehrwerts aus Arbeit und die möglichst gerechte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Wohlstand und Fortschritt gekämpft. In der sich schnell verändernden und sich digitalisierenden Welt kommt es wieder auf uns an: es braucht eine politische Kraft, die sich für eine faire Verteilung des Mehrwerts aus Daten einsetzt und für fairen Wettbewerb sorgt. Hierbei gilt es drei Handlungsstränge zu betrachten: den Umgang mit Daten, die Förderung von Innovationen und die Begrenzung von Marktmacht und Kartellen.

Wir wollen persönliche Daten schützen und kollektive Daten als öffentliches Gut zur Verfügung stellen. Unser Vorschlag hat zum Ziel, die Innovationskraft im Markt zu stärken – und dessen Grundlage sind die Daten. Nur Wettbewerb gewährleistet Vielfalt in der digitalen Wirtschaft, nur Wahlmöglichkeit sichert Autonomie. Um das Potenzial der Digitalwirtschaft zu realisieren, braucht es einen Ordnungsrahmen, der nicht-persönliche und vollständig anonymisierte Daten möglichst vielen zugängig macht. Es kann und darf nicht darum gehen, neue exklusive Eigentumsrechte, neue Datenmonopole und Datensilos zu schaffen. Es muss darum gehen, den Zugang zu Daten zu verbreitern, dabei aber die Rechte auf Datenschutz der Einzelnen zu wahren. Der Staat muss dafür sorgen, dass die großen Digital-Konzerne keine Oligopole und Quasi-Monopole bilden können, sondern fairer Wettbewerb herrscht und Innovation möglich bleibt. Zugleich müssen wir lernen, Daten und KI zum Wohl des Einzelnen und für unsere Gemeinschaft zu entwickeln und zu nutzen. Daten sind das Futter von KI und damit ein entscheidender Faktor für Zukunft und Innovationen in Europa. Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz ist auf die Verfügbarkeit großer Mengen qualitativ hochwertiger und verlässlicher Daten angewiesen. Die Daten gibt es, aber sie liegen ganz überwiegend in geschlossenen Silos – beim Staat und mehr und mehr auch in der Hand mächtiger Unternehmen. Mit exklusiven Innovationspotenzialen, die sich durch die Analyse exklusiver Datenschätze und daraus lernender Maschinen entwickeln, ist in der Welt des bisher offenen Wissens ein neues Ungleichgewicht entstanden.

Wir wollen diesem neuen Ungleichgewicht eine Kultur der Machtkontrolle, des Schutzes von Einzelnen und des Daten-Teilens entgegensetzen, von der Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen profitieren. Erst durch das Teilen werden der Datenschatz und seine Potenziale sich entfalten können. Die durch vielfältiges Nutzerverhalten und im öffentlichen Raum erhobenen großen Datenschätze sollten nicht in der Hand weniger Unternehmen verbleiben, vielmehr sollte die Nutzung von Daten für alle möglich sein und alle sollten vom Nutzen von Daten profitieren, soweit dabei das grundlegende Recht auf Datenschutz der Einzelnen gesichert ist. Wir brauchen eine Demokratisierung der Datennutzung durch eine allgemeine Datenteilungspflicht: Der Zugang zu vollständig anonymisierten Daten und zu nicht-personenbezogenen Daten (beispielsweise Mobilitäts- und Verkehrsdaten, Geodaten, Wetterdaten, etc.) muss – wo immer es möglich ist – frei sein.

Dabei ist klar:

Anders als in den USA oder in China muss es selbstverständlich sein, dass das Teilen und Nutzen gemeinsamer Daten dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre unterliegt, die Diskriminierung des Einzelnen ausgeschlossen ist sowie auch andere Schutzgüter berücksichtigt werden. Um dem Datenschutz zu genügen, dürfen Daten von und über natürliche Personen deshalb nur in vollständig anonymisierter Form offengelegt werden.

Legitime Geschäftsinteressen verlagern sich somit idealerweise von der oft zweifelhaften Sammlung von Daten auf die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Daten (Datenmanagement) – und auf smarte Services, die sich aus der Nutzung des Individual- und Gemeingutes Daten ergeben. Ziel ist es dabei, vielen Akteuren Innovation und Wettbewerb zu ermöglichen, und gleichzeitig Freiheit des Einzelnen und Demokratie zu schützen und weiter zu entwickeln.

Eine gemeinwohlorientierte Vision der digitalen Gesellschaft darf sich aber nicht allein auf die Daten beschränken. Sie muss auch die Spezifika digitaler Märkte berücksichtigen. Denn digitale Märkte, und hierbei vor allem Internet-Plattformen, nehmen zentrale Distributions- und Steuerungsfunktionen ein – sei es im Konsumentenmarkt, in der Agrarwirtschaft oder im Bereich der öffentlichen Medien. Daten- und algorithmenbasiert steuern sie die Informationen und Interaktionen mehrseitiger Märkte mit einer Effizienz ohnegleichen. Die gewaltige Profitabilität der großen Datenplattformen ergibt sich unter anderem daraus, dass sie sich mehr Daten aneignen, als sie zur Optimierung ihrer Dienste benötigen. Die systematische Nutzbarmachung dieses Überschusses an Daten ist eine wichtige Grundlage ihrer Profitabilität. Ihre Kapitalstärke wiederum erlaubt es den Plattformen, Wettbewerb systematisch dadurch zu verhindern, dass sie entweder potenzielle Wettbewerber frühzeitig aufkaufen oder aber durch potenzielle Wettbewerber entwickelte erfolgreiche Geschäftsmodelle selbst übernehmen. Gleichzeitig stellen sie so sicher, dass sie sich selbst immer mehr Daten aneignen und so immer mehr Macht über Einzelne und Gesellschaft, Märkte und Wissen gewinnen.

Zugang zu Daten sichern!

Vor diesem Hintergrund muss der Zugang zu Daten auf allen Ebenen ermöglicht und dort, wo es notwendig ist, auch gesetzlich abgesichert werden. In einem Daten-für-Alle-Gesetz sollte daher unter voller Berücksichtigung des bestehenden Datenschutzrechtes folgende rechtliche Vorgaben für die Sicherung des Zugangs zu Daten erfasst werden:

  • Nutzung von nicht-persönlichen Daten als Gemeingut
  • Aufbrechen von Datenmonopolen durch eine Datenteilungspflicht für marktdominante Unternehmen
  • Anreize zum Datenteilen schaffen und Etablierung und Ermöglichung eines sicheren europäischen Datenraums unter Wahrung des Datenschutzes

Jetzt in die SPD!