- Es gilt das gesprochene Wort -
Das ist ein schönes Bild! Ich danke Euch, dass Ihr alle hier seid. Danke, dass Ihr Euch die Zeit nehmt. Dass Ihr mit uns diskutieren wollt, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen muss – was wir tun können für gute Arbeit. Gewerkschaften, betriebliche Vertretung, die Politik – und nicht jede und jeder für sich, sondern alle gemeinsam.
Denn das scheint mir der Schlüssel zu sein: „Gemeinsam“. Ich komme darauf zurück.
Aber erlaubt mir, vorher ein paar Worte zu sagen zu dem, was derzeit vor sich geht. Es ist gerade einmal drei Wochen her, dass mich der Parteivorstand nominiert hat für die Kanzlerkandidatur. Und für den Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands! Das ist überwältigend. Und ich kann nicht leugnen, dass starke Emotionen für mich damit verbunden sind: Stolz natürlich, dass meine Partei mich an diesem Platz sieht. Aber auch eine tiefe Demut angesichts der großen Frauen und Männer, die für die Sozialdemokratie und unser Land Geschichte geschrieben haben. Und Respekt vor der Aufgabe, die vor uns liegt.
Mich beeindrucken die Emotionen, die uns jetzt entgegengebracht werden. Die Hoffnung auf einen neuen Aufbruch. Die Verantwortung, die das mit sich bringt. Eine Verantwortung, die wir annehmen und der wir gerecht werden wollen.
Keine Frage: Die Aufgaben sind gewaltig. Und wir bewältigen sie nur, wenn wir sie gemeinsam angehen. Wenn wir gemeinsam Ideen entwickeln, wenn wir gemeinsam dafür werben – auch für die notwendige politische Mehrheit. Gemeinsam als Partei, gemeinsam als politische Vertreter der hart arbeitenden Menschen und vor allem gemeinsam als Allianz mit den Gewerkschaften. Denn es bleibt richtig: nur gemeinsam mit den Gewerkschaften können wir unser Land besser und gerechter machen.
„Wenn wir anderen Mut machen wollen, müssen wir selbst mutig sein.“ Das hat unser künftiger Bundespräsident vor einer Woche nach seiner Wahl gesagt. Er hat uns alle aufgefordert, mit Zuversicht unsere bevorstehenden Aufgaben anzupacken. Die Perspektiven, die Chancen zu sehen.
Ich wusste es ja schon vorher: Kein besserer als Frank-Walter Steinmeier könnte dieses Amt ausfüllen – und ich bin froh, dass er gerade jetzt, in dieser Zeit, unser Bundespräsident wird.
Was für ein Kontrast zu anderen, zu denen mit den vermeintlich einfachen Antworten...
Denn: Mut und Zuversicht. Genau das ist es, was rechte Demagogen und Populisten unterdrücken wie nichts anderes. Sie wollen nicht die Zukunft gewinnen, keinen Fortschritt, kein besseres Morgen. Ihre Währung heißt Angst. Und ihre Waffe ist der Hass.
Und das ist, wie ich meine, vielleicht die entscheidende Trennlinie zwischen Demokraten und Rechtspopulisten: Uns geht es darum, Sorgen, die viele Menschen haben, ernst zu nehmen. Dafür zu arbeiten, dass ihr Leben besser wird. Stück für Stück. Und nicht aus Sorgen Angst zu machen – und aus Angst Hass.
Denn, was passiert, wenn radikale Nationalisten die Macht übernehmen, sehen wir überall. Da ist zum Beispiel ein mittlerweile zurückgetretener designierter Arbeitsminister in den USA, der den Mindestlohn abschaffen will. Eine Bildungsministerin, die flächendeckend von Privatschulen träumt. Ein Gesundheitsminister, der Millionen von Amerikanern die allgemeine Krankenversicherung nehmen will. Ein Kabinett aus Militärs, Wall-Street-Bankern, Großunternehmern. Ein Präsident, der offen die unabhängige Justiz attackiert, wenn sie seinem wüsten Abschottungswahn nicht folgt.
Und ich muss auch sagen: Es hat mich irritiert, dass Horst Seehofer diesen US-Präsidenten für seine Tatkraft lobt. Und dass er Leute wie Victor Orban hofiert, der Ungarn gerade im Stile eines autokratischen Herrschers regiert.
Ich sage das hier ganz deutlich: Die Union ist gut beraten, sich völlig unmissverständlich auf die Seite der Demokratie-Freunde zu schlagen. Denn genau das wird ganz entscheidend die politische Auseinandersetzung bestimmen. Im Bundestagswahlkampf und auch darüber hinaus.
Es geht um die großen Werte, die uns in Deutschland – die ganz Europa – stark gemacht haben. Um Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie. Es geht um Freiheit. Die Frage, wie sie oder er zu diesen Werten steht, muss jede Politikerin und jeder Politiker heute glasklar und unzweideutig beantworten.
Denn wer Politik mit Zweideutigkeiten machen will, wer gnadenlos Ressentiments bedient aus schierer Verzweiflung vor der rechten Konkurrenz, wer Demokratiefeinde bewundert – der soll offen sagen, dass er eine „Wir-gegen-die“-Gesellschaft will: Wir gegen „die da oben“, gegen „die da außen“, gegen die da „mit der anderen Religion“, der anderen Kultur, der anderen Überzeugung. Wo aber, frage ich, wo hört die Abgrenzung auf?
Ich bin sicher: Wir alle hier wollen kein solches Land, keine solche Gesellschaft. Wir wollen etwas schaffen. Gemeinsam. Gewerkschaften und die Sozialdemokratie wissen, dass gesellschaftlicher Fortschritt und Wohlstand nicht vom Himmel fallen, sondern erkämpft werden. Gemeinsam! Und immer mit Mut und Zuversicht!
Wir werden nicht zusehen, wie sich die Antidemokraten in unserem Land weiter breit machen! Weder in den Parlamenten noch in der Zivilgesellschaft. Und natürlich nicht in den Betrieben!
In den letzten Tagen gab es einige auf konservativer Seite, die mir vorgeworfen haben, ich würde das Land schlecht reden. Nein, das tue ich nicht. Klar ist: es gibt nicht nur schwarz und weiß. Vieles ist in unserem Land gut - es ist aber auch nicht alles gut. Und wir müssen darüber reden, wenn es besser werden soll.
Denn wo stehen wir heute?
Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft weltweit. Wir sind ein reiches und erfolgreiches Land. Im europäischen Vergleich stehen wir gut da. Wirtschaftlich, aber auch bei der sozialen Stabilität. Und beim Niveau guter Arbeitnehmerrechte. Das alles kommt aber nicht von selbst. Das ist vor allem Ergebnis des unermüdlichen Einsatzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und tüchtiger Unternehmer. Das ist auch das Ergebnis einer jahrzehntelang gut funktionierenden Sozialpartnerschaft. Mit starken Gewerkschaften, die auf Augenhöhe die Interessen der Arbeitnehmerschaft durchsetzen können. Und das geht nur mit klaren Regeln in einer sozialen Marktwirtschaft:
- der im Tarifvertragsgesetz geregelten Tarifautonomie,
- den sozialen Sicherungssystemen, die Schutz und Sicherheit bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter bieten und
- der Mitbestimmung der Beschäftigten in den Betrieben und Unternehmen.
Vieles ist gut und wir können allesamt stolz auf das Erreichte sein. Wahr ist aber auch, das Erfolgsmodell hat Risse bekommen. Seit den 1990er Jahren hat sich die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt grundlegend geändert. Und ich sehe vor allem drei Entwicklungen, um die wir uns kümmern müssen:
Erstens: Der Zusammenhang von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Solidarität geht zunehmend verloren! Unsichere und schlecht bezahlte Arbeit hat zugenommen, auch in früher gut geschützten Zonen des Arbeitsmarktes. Und wir müssen aufpassen, dass die Digitalisierung diesen Trend nicht weiter verstärkt.
Zweitens: Abstiegsangste nehmen zu, sozialer Aufstieg wird schwieriger. In vielen Bereichen unseres Arbeitsmarktes gibt es sie noch: stabile Kernbelegschaften. Aber das so genannte „Normalarbeitsverhältnis“ gerät immer mehr unter Druck – mit allen Folgen für die sozialen Sicherungssysteme. Auch ein hoher Berufsabschluss und eine gezielte Berufswahl bringen heute nicht mehr automatisch Sicherheit. Das führt zu Verunsicherung; bis weit in die Mittelschichten hinein. Angst vor dem Verlust der sicheren Lebensgrundlage kommt auf und gefährdet den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Drittens: Die Ungleichheit nimmt zu – gefühlt und tatsächlich. Sie ist das Produkt unterschiedlicher Entwicklungen von Kapitalerträgen auf der einen und Arbeitseinkommen auf der anderen Seite. Sie ist auch das Resultat von immer mehr prekärer Arbeit. Daher wundert es mich nicht, dass Ungleichheit immer stärker wahrgenommen wird. Steigende Ungleichheit ist Realität. Und dass die Bürgerinnen und Bürger das nicht gerecht finden kann ich sehr gut verstehen.
Diese drei Entwicklungen sind nicht das Ergebnis unveränderlicher Naturgesetze. Sie sind nicht vom Himmel gefallen, sondern Konsequenz des neoliberalen Mainstreams. Dieser neoliberale Mainstream hat all die Vorzüge unserer sozialen Marktwirtschaft zu Wachstumshindernissen erklärt:
- gute Arbeitnehmerrechte,
- ein starker Sozialstaat und
- eine Lohnentwicklung, die sich an der Produktivität orientiert.
Ein folgenschwerer Irrtum, denn diese soziale Marktwirtschaft hat in der Vergangenheit Stabilität, Innovation und gerechte Verteilung sichergestellt und genau deshalb stellen wir Sozialdemokraten die Gerechtigkeitsfrage wieder ins Zentrum der öffentlichen Debatte!
Und ja, diese Entwicklungen sind auch Folge politischer Entscheidungen. Und ich sage ausdrücklich: Auch wir haben Fehler gemacht! Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden. Wir haben sie längst erkannt und uns auf den Weg gemacht, dort zu korrigieren, wo es notwendig ist.
- Der Mindestlohn ist so ein Beispiel: bessere Einkommen für Millionen Frauen und Männer. Gut, dass wir das hinbekommen haben.
- Es ist jetzt auch leichter, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Und das heißt: Mehr Beschäftigte bekommen gute Tariflöhne.
- Das Recht auf Teilzeit, das wir noch ergänzen wollen um ein Rückkehrrecht auf die vorherige Arbeitszeit.
- Das ElterngeldPlus mit mehr Freiheit und Zeit für Mütter und Väter, für das Manuela Schwesig gekämpft hat.
- Die Entlastung der Kommunen um rund 20 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen, für die sich Sigmar Gabriel besonders eingesetzt hat.
- Bessere Renten, abschlagsfrei, auch schon zwei Jahre früher nach einem langen Arbeitsleben. Höhere Erwerbsminderungsrenten – dringend notwendig, denn es geht um ein zentrales Risiko für Altersarmut.
Heute ist auch Andrea Nahles hier. Ihr alle wisst: das meiste davon hat sie hart gegen die anderen erkämpfen müssen. Das war alles andere als leicht. Danke Andrea! Das war buchstäblich wirklich „Gute Arbeit“, von der Hundertausende profitiert haben!
Die SPD wird weiter konsequent diesen Weg fortsetzen. Vieles scheitert heute noch am Widerstand der Union. Das muss sich ändern. Denn, es gibt noch viel zu viele Geschichten in diesem Land wie die des Pflegers in Moers, den ich diese Woche traf und dessen Worte ich hier zitieren möchte:
„Pfleger ist was für Melancholiker. Die Diskrepanz zwischen dem was man tun kann und dem was man tun will ist schwierig. Man geht nach der Arbeit mit einem schlechten Gefühl nachhause. Das ist ungeheuer belastend für die Pfleger und für die Bewohner, die ihr Lebensende und ihr Kapital einbringen und nicht das bekommen was sie verdienen. Das Gefühl den Erwartungen als Pfleger nicht gerecht zu werden ist ein sehr schlechtes Gefühl.“
Jetzt wird mir wahrscheinlich wieder vorgeworfen, ich spreche hier von einem Einzelschicksal. Das sei nicht repräsentativ. Das sei plumpe Generalisierung.
Aber es geht doch gerade darum: Um die Einzelschicksale. Darum, dass jeder einzelne in unserem Land gut, sicher und in Würde leben kann. Das jeder dabei die gleichen Chancen und Rechte hat. Das ist soziale Gerechtigkeit und gerade heute – am Welttag der sozialen Gerechtigkeit – müssen wir uns wieder vor Augen halten: es gibt keine Gerechtigkeit solange auch nur einem einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft Unrecht widerfährt und wir nicht dagegen angehen.
Deshalb brauchen wir die richtigen Rahmen, die dies ermöglichen. Darum wollen die Sozialdemokraten unser Land gerechter machen. Und deshalb in klaren Worten:
Wir wollen sichere und gute Arbeit mit hoher Tarifbindung!
Wo es Tarifverträge gibt, haben die Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Andrea Nahles hat erfolgreich die Weichen für Tarifbindung gestellt: mehr Flexibilität nur in tarifgebundenen Betrieben. Denn es geht um Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Botschaft ist: Tarifflucht lohnt sich nicht! Das ist auch im Interesse der ehrlichen Unternehmer, derer die sich an die Spielregeln halten. Gerade in der globalisierten Wirtschaft müssen darum auch Tarifverträge fortbestehen, wenn es zur Auslagerung von Betrieben oder Betriebsteilen kommt.
Wir wollen Sicherheit und Verlässlichkeit für die Beschäftigten!
Deshalb müssen wir auch an die Befristung vieler Arbeitsverhältnisse ran. CDU und CSU mauern hier.
Vor allem jungen Menschen wird zu viel zugemutet: Sie sollen eine ordentliche Ausbildung machen, sich im Job weiterbilden, sie sollen eine Familie gründen und wollen sich manchmal auch noch um ihre Eltern kümmern, sie sollen für Wohneigentum sorgen, und im Idealfall sollen sie sich auch noch ehrenamtlich engagieren.
Das alles geht nicht, wenn die eigene Zukunft auf wackligen Beinen steht! Das kann nicht unser Angebot für die Jugend sein!
Und darum werden wir die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen!
Wir wollen eine angemessene Absicherung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Vor ein paar Tagen habe ich in Neumünster mit einem Mann gesprochen. Mit 14 Jahren in den Betrieb eingestiegen und jetzt mit 50 immer noch da. Der Mann hat Angst. Wenn er seinen Job verliert, bekommt er 15 Monate Arbeitslosengeld. Und dann geht es an seine Existenz. Das darf so nicht sein.
Menschen müssen mit Respekt und Anstand behandelt werden, wenn sie ihren Job verlieren. Menschen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten und ihre Beiträge zahlen, haben ein Recht auf entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie – oft unverschuldet – ins Straucheln geraten. Jeder muss die Möglichkeit bekommen, aus eigener Kraft den Gang zum Job Center zu verhindern. Dazu brauchen wir einen Ausbau der Qualifizierungsangebote für Arbeitssuchende. Wir müssen Qualifizierungsangebote schaffen und genau das verhindern. Diese Angebote werden wir schaffen und den Menschen damit Sicherheit und Perspektive geben. Was wir verstehen müssen ist, dass es hier um den Respekt vor der Lebensleistung der Menschen in unserem Land geht.
Wir wollen einen Kulturwandel in der Arbeitszeitpolitik und den Menschen auch mehr selbstbestimmte Arbeitszeit ermöglichen!
Denn die Wünsche und Erwartungen vieler Menschen haben sich doch verändert: Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Mehr Selbstbestimmung in der Arbeit. Zeit für sich selbst und für die Familie zu haben. Auch Zeit für Bildung, Zeit für Weiterentwicklung im Job.
Darum wird Arbeitszeitpolitik immer wichtiger. Sie ist zu allererst Aufgabe in den Betrieben und in guten Tarifverträgen. Sie muss aber auch unterstützt werden durch gute Politik. Gesetzlicher Rahmen und betriebliche Ausgestaltung müssen sinnvoll zusammen gehen.
Die befristete Teilzeit ist ein erster wichtiger Baustein für mehr Selbstbestimmung. Vielen, vor allem vielen Frauen, kann das helfen. Raus aus der so genannten Teilzeitfalle. Und damit mehr Einfluss bekommen für die Planung des eigenen Berufslebens.
Andrea Nahles hat hier einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Und ich sage ganz offen: es ist gerade gegenüber vielen Frauen ein Schlag ins Gesicht, dass CDU und CSU dieses wichtige Gesetz immer noch blockieren.
Manuela Schwesig ist heute hier. Manuela hat das Konzept der Familienarbeitszeit entwickelt. Ich finde, sie trifft damit genau die Problemlage, in der sich viele Familien befinden. Es geht darum, mehr Zeit für die Familie zu haben, für die Kinder. Gleichzeitig aber den Job nicht aufgeben zu müssen. Nicht eine Vollzeit zu Lasten des anderen, sondern gemeinsam und partnerschaftlich. Und damit das alle machen können – nicht nur die, die sich das leisten können –, darum werden wir das mit einem Familiengeld fördern.
Wir wollen mehr Demokratie in Betrieb und Unternehmen!
Die Mitbestimmung in unserem Land hat sich bewährt und sie ist Zukunftsmodell.
Leider haben das viele in den Chefetagen noch nicht begriffen. Wenn ich höre, mit welchen ekelhaften Methoden ganze Anwaltskanzleien gegen Betriebsräte und Gewerkschafter in den Betrieben vorgehen, muss ich offen sagen: Das habe ich im 21. Jahrhundert nicht mehr für möglich gehalten.
Es passiert aber. Und darum wollen wir den besonderen Kündigungsschutz für die Initiatoren von Betriebsratswahlen ausweiten. Mit der klaren Botschaft: Die Störung von Betriebsratsarbeit ist kein Kavaliersdelikt!
Wir brauchen erweiterte Mitbestimmung aber auch, um der zunehmenden Fragmentierung von Belegschaften zu begegnen. Es geht um Werkvertragsnehmer und künftig auch um eine wachsende Zahl von Soloselbstständigen, die zum Beispiel über sogenanntes Crowdsourcing an Arbeitsprozessen beteiligt werden.
Darum müssen wir über einen neuen Arbeitnehmerbegriff nachdenken und die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte gerade bei Fremdbeschäftigung im Betrieb deutlich ausweiten.
Und das Prinzip der Mitbestimmung muss auch europafest werden. Sie muss auch für Unternehmen in ausländischer Rechtsform, die ihren Sitz in Deutschland haben, gelten. Und ich sage klar: Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen schnell eine europäische Gesellschaft gründet, kurz bevor es die Schwelle zur Geltung des Mitbestimmungsgesetzes überschreitet. Diese Schlupflöcher werden wir schließen.
Wir wollen die Aus- und Weiterbildung von Beginn an fördern!
Wir wollen gleiche Bildungschancen für alle. Wir wollen, dass Menschen nach ihrer Leistung und ihrem Engagement beurteilt werden – und nicht nach ihrem Geschlecht, ihrer sozialen Herkunft, ihrem Geburtsland oder dem Geldbeutel der Eltern.
Bildung muss gebührenfrei sein, von der Kita bis zur Universität.
Die duale Ausbildung ist dabei eine der Stärken unseres Bildungssystems. Druck, Stress und schlechte Arbeits- und Ausbildungsbedingungen gehören nicht an den Arbeitsplatz. Und erst recht nicht an den Anfang eines Arbeitslebens! Darum werden wir die duale Ausbildung aufwerten und stärken. Eine Ausbildungsgarantie und gute Vermittlung, Beratung und Betreuung über die Jugendberufsagenturen, von Anfang an!
Die Weiterbildung ist ein Schlüsselthema für die Arbeitsmarktpolitik – und für Fortschritt. Damit Menschen selbstbestimmt ihre Ziele verwirklichen können und Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht, wollen wir die Arbeitslosen- zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Wir wollen verbindliche Angebote der Beratung und Förderung von Weiterbildung. Und wir wollen auch hier die Betriebsräte stärken. Wir brauchen in den Betrieben ein generelles Initiativrecht auf die Einführung betrieblicher Berufsbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.
Um in den Arbeitsmarkt zu kommen, braucht man eine gute Qualifizierung. Man braucht sie aber auch, um im Arbeitsmarkt zu bleiben. Deshalb ist Fort- und Weiterbildung ein Arbeitnehmerrecht, das wir besser absichern müssen als es heute der Fall ist.
Wenn wir im September einen Vertrauensvorschuss der Bürgerinnen und Bürger erhalten, dann werden wir diesen Katalog konkret umsetzen können. Wir wollen, dass die zentralen Grundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft wieder Gültigkeit erlangen:
Tarifbindung, starker Sozialstaat, Mitbestimmung auf Augenhöhe, und ein handlungsfähiger Staat. Nur wenn diese klaren Regeln ohne Abstriche gelten, bleiben wir wirtschaftlich und sozial stark! Und können neue Aufgaben anpacken.
Eine zentrale Herausforderung wird die Digitalisierung der Arbeitswelt sein. Sie verändert und beschleunigt den globalen Wettbewerb. Sie verändert Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen. Sie rückt neue Anforderungen an Qualifikation und Arbeitsinhalte in den Vordergrund. Sie berührt unmittelbar die Sicherheit der Beschäftigung und den Zugang zu Arbeit. Mit der Digitalisierung steigen die Schutzbedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wie bei allen neuen Entwicklungen gibt es immer beides: Chancen und Risiken.
Digitale Vernetzung und eine stärkere Arbeitsteilung von Mensch und Maschine schaffen neue Spielräume für Produktivitätszuwächse, Effizienzsteigerungen und Gewinnmöglichkeiten. Diese Vorteile müssen aber allen zugutekommen. Damit Arbeiten 4.0 nicht zum „Winner-takes-it-all“ Modell wird, ist die Digitale Revolution auch eine Verteilungsfrage.
Die Politik muss hier ihrer Verantwortung gerecht werden und gestalten. Arbeiten 4.0 heißt für uns deshalb auch in der Cyberzukunft gemäß unserer sozialdemokratischen DNA und Tradition: gesetzliche Rahmenbedingungen, tarifvertragliche Regelungen und betriebliche Lösungen müssen weiterhin zusammengehen.
Eine Entgrenzung zwischen Privat- und Arbeitsleben lehnen wir ab. Denn wir wollen die Risiken von weiterer Arbeitsverdichtung und steigenden psychischen Belastungen vermeiden. Wir wollen die Chancen nutzen: Mehr Selbstbestimmung bei der eigenen Arbeitszeit – im Alltag und im Erwerbsverlauf. Aber auch kürzere Arbeitszeiten, damit Arbeit und Leben besser zueinander passen können.
Kurz: wir wollen auch im digitalen Zeitalter gute Arbeit!
Unterm Strich geht es immer um den Wert der Arbeit! Denn sie ist die Grundlage unseres Wohlstandes, nicht die Zockerei auf den Finanzmärkten. Erwerbsarbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit ist für die Menschen Voraussetzung für Teilhabe, Selbstbestimmung und Anerkennung. Deswegen müssen wir einiges, was vor einigen Jahren aus dem Ruder gelaufen ist, wieder in geordnete Bahnen lenken.
Und dazu gehört der Respekt vor der Lebensleistung – auch und gerade im Alter.
Wenn dann aber selbst jahrzehntelange Vollzeitbeschäftigung nicht für eine Absicherung oberhalb der Grundsicherung reicht, dann stößt die gesetzliche Rentenversicherung an die Grenze ihrer Legitimation. Es gibt politische Kräfte, die mögen das wollen. Wir wollen das nicht.
Denn es gibt keine sozial gerechtere Form der Absicherung für das Alter, als die gesetzliche Rentenversicherung. Deswegen wollen wir zuallererst die erste Säule der Altersvorsorge stärken.
Wir werden deshalb das Rentenniveau stabilisieren.
Und, Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht nur ein Mindestniveau bei den Lohneinkommen brauchen. Wir brauchen auch eine Mindestabsicherung im Alter. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, soll am Ende des Erwerbslebens nicht auf Grundsicherung angewiesen sein. Darum wollen wir die Solidar-Rente, die nach 35 Versicherungsjahren eine Absicherung deutlich oberhalb der Grundsicherung garantiert.
Aber auch hier blockiert die Union natürlich. Das zeigt, wie weit weg die Konservativen von den echten Sorgen und Nöten der Menschen sind.
Ich habe Euch und Ihnen einige Angebote skizziert, für die wir werben. Und das ist mehr als nur die Sammlung einzelner Instrumente. Sondern das alles folgt unserer Grundüberzeugung, dass gute Politik im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ganz entscheidend dafür ist, in was für einem Land wir leben: Ob die Menschen frei von Sorgen leben können, Perspektiven sehen – für sich und ihre Kinder. Ob Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit die tragenden Säulen bleiben. Die Werte, die unser Land so erfolgreich gemacht haben.
Ich möchte in diesem Wahlkampf eine Verbindung zwischen unserem Grundgesetz und unserer Politik herstellen. Der erste Artikel unserer Verfassung lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und wenn wir von guter Arbeit und sozialer Gerechtigkeit sprechen, dann muss dieser Satz eine zentrale Rolle spielen. Wir müssen erkennen, dass der Weg in gute Arbeit bei der Ausbildung beginnt und dass gute Arbeit erst dort aufhört, wo auch die Ältesten in unserer Gesellschaft in würdiger Art und Weise versorgt werden.
Viele Menschen finden sich doch heute in sprichwörtlichen Sandwich-Situationen wieder. Sie versuchen, im Job erfolgreich zu sein oder ihr bloßes Überleben zu sichern. Gleichzeitig müssen die Kinder in die Schule und die bestmögliche Ausbildungsunterstützung erhalten. Und vielleicht sind die eigenen Eltern pflegebedürftig und würden sich über Aufmerksamkeit und Zuwendung freuen. Menschen in solchen Lebenslagen sind häufig überfordert. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie vom Leben in die Knie gezwungen werden. Sie verdienen unsere Unterstützung, die Unterstützung eines sozialen Staates und einer solidarischen Gesellschaft.
Ich bin sicher: Wir alle hier wollen keine „Wir-gegen-die“-Gesellschaft. Und die überwältigende Mehrheit in unserem Land will das auch nicht!
Denn: wir wollen in einem weltoffenen und selbstbewussten Deutschland leben. Frei, gerecht und solidarisch. Und sicher.
In einer Welt, die sich verändert, stecken wir nicht den Kopf in den Sand. Wir wollen Entwicklungen steuern – statt sich ihnen zu ergeben. Wir wollen neue Chancen nutzen. Aber wir wollen auch erhalten, was uns wichtig – und was richtig – ist.
In unserem Land zählen Leidenschaft und Fleiß. All das, was viele Millionen Frauen und Männer jeden Tag in ihren Jobs leisten. Der Erzieher und die Facharbeiterin. Die Polizistin, der Feuerwehrmann und der Handwerker. Frauen und Männer, die in Unternehmen und Behörden, in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich etwas schaffen. Die für andere da sind. Sie alle leisten gute Arbeit und sie haben gute Arbeit verdient:
- Mit guten Löhnen für sich und ihre Familien.
- Mit sicherer Arbeit und dem Recht, die eigenen Zukunft planen zu können.
- Mit starken Gewerkschaften und Betriebsräten, Tarifautonomie und Mitbestimmung.
- Und mit einer guten, sicheren Rente. Die Leistung eines langen, oft harten Arbeitslebens anerkennen. Darum geht es!
Und darum müssen wir in unser Land investieren. In die Kitas, in die Schulen, in die Rahmenbedingungen für Unternehmer: Infrastruktur, digitales Netz und die Förderung von Start-ups.
Wie es geht, sehen wir hier in NRW, wo Hannelore Kraft Gewaltiges geleistet hat:
- Kita-Plätze für Unter-Dreijährige auf 169.000 fast verdoppelt
- Zwei Mrd. Euro zusätzlich für Modernisierung von Schulen
- Bis 2030 14 Mrd. Euro Investitionen in Straßen, 8 Mrd. Euro Investitionen in Schienen und Modernisierung von Bahnhöfen.
Liebe Hannelore, du gestaltest NRW. Du bist uns wahrlich ein Beispiel wie es gehen kann.
Denn auch wir im Bund können dies leisten, wenn wir denn alle gemeinsam an einem Strang ziehen.
Gemeinsam, das sind wir alle hier. Und noch viel mehr! Das sind Eure Kolleginnen und Kollegen, der Bäckermeister um die Ecke, unsere Nachbarn, Freunde, Familie. „Gemeinsam“, da bin ich sicher: Das ist der Schlüssel!
In einem Land, mit Menschen, die sich nicht von Angst lähmen lassen. Sondern, die ihre Zukunft in die Hand nehmen.
Die Lust haben auf morgen. Lust auf ein Land, in dem wir zuversichtlich und selbstbewusst die Aufgaben des Lebens anpacken. Frei sind, unseren Weg zu wählen. Solidarisch unter Gleichen!
In unserem Land geht es um den gerechten Ausgleich: bei unterschiedlichen Startbedingungen, auch zwischen Männern und Frauen, Starken und Schwachen, Jungen und Alten, zwischen Mensch und Natur. Wir wollen, dass wirtschaftliches Handeln auch uns und der Umwelt verpflichtet ist – und damit einer gesunden Zukunft. Wir wollen eine mitmenschliche Gesellschaft: Für einander da sein, Gesicht zeigen, den Rücken gerade machen.
Das Motto des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum 1. Mai ist:
Wir sind viele. Wir sind eins.
So machen wir das. Ich hoffe, Ihr seid dabei!