arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Aktuelles

Foto: Ein Stahlarbeiter steht in Duisburg am Hochofen im Thyssenkrupp Werk.
dpa
26.10.2020 | Transformation der Wirtschaft mit staatlicher Hilfe

Aus grauem muss grüner Stahl werden

Die Politik muss die Stahlindustrie befähigen, gewinnbringend und klimaneutral zu produzieren. Dazu kann auch eine staatliche Beteiligung sinnvoll beitragen. Ein Namensbeitrag des SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans.

Krisen, so heißt es, sind die Stunde des Staates. Auch die gegenwärtige Corona-Krise liefert neues Futter für diese alte These.

Vor unserer Gesellschaft türmt sich eine Jahrhundertaufgabe auf: die der sozial-ökologischen Transformation. Gelingt es uns, auf eine Art zu wirtschaften, die langfristig und umsichtig denkt, die die Umwelt schont, gute Arbeitsplätze und Wohlstand samt einer gerechten Teilhabe aller daran schafft? Diese Aufgabe meistern wir nur, wenn wir uns endgültig von jenem Irrglauben befreien, der den entfesselten Markt ohne jeden Rahmen als Allheilmittel preist. Dieser Mythos ist längst entzaubert – und wird es gerade wieder einmal in der deutschen Stahlindustrie.

Stahl bleibt ein unverzichtbarer Werkstoff. Aber machen wir uns nichts vor: Herkömmlich produziert wird Stahl es am Standort Deutschland schwer haben. Der Qualitätsvorsprung wird gegenüber China und Indien kaum zu halten sein. Die Gefahr ist groß, dass in absehbarer Zeit auch die letzte Produktion dahin abwandert, wo sie billiger ist,. Der Schlüssel für zukunftssichere Arbeitsplätze liegt neben der Produktqualität in der CO2-freien Herstellung. Nur technologischer Fortschritt in dieser Kombination bringt den Vorsprung, der der Stahlproduktion in Deutschland weiterhin eine Vorreiterrolle sichert.

Manche Zukunftsaufgaben sind so groß, dass kein Unternehmen, keine Branche sie alleine wird stemmen können. Zweifelsfrei gehört der Umbau unserer Stahlindustrie dazu. Dem neoliberalen Mythos zu folgen, dass der Staat sich aus Marktprozessen heraushalten sollte, auch wenn dadurch Unternehmen unter- und Arbeitsplätze verlorengehen, wäre im Fall der Stahlproduktion verheerend. Wir würden uns als Industrieland den Boden unter den Füßen wegziehen.

Die Stahlbranche ist deshalb geradezu prädestiniert für ein ganzheitliches Denken, das in zielgerichteter staatlicher Investitonsförderung bis hin zur direkten Beteiligung die Chance sieht, eine auf das Gemeinwohl gerichtete Wirtschaft aufzubauen. Wenn der Staat damit Transformation im großen Stil unterstützt, ist das zu vertreten.

Stahl ist eine Schlüsselindustrie, die Wertschöpfung auch in anderen Branchen anschiebt und hochqualifizierte, gut bezahlte Arbeitsplätze schafft. Auch in Zukunft wird Stahl gebraucht, sei es für Elektroautos oder Windräder. Der Staat muss die Stahlindustrie befähigen, langfristig gewinnbringend klimaneutral zu produzieren und gesicherte Arbeitsplätze zu schaffen. Ein „Weiter so“ wird es für den energieintensiven Stahl nicht geben. Aus grauem muss grüner Stahl werden. Die SPD hat sich als Zielmarke gesetzt, Stahl in Deutschland möglichst zu 100% mit Wasserstoff zu produzieren, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Durch das so eingesparte CO2 kommen wir unseren Klimazielen deutlich näher und fördern mit Wasserstoff eine zentrale Zukunftstechnologie und neue Exportmärkte.

Den Ausverkauf der deutschen Stahlindustrie zu verhindern, ist dafür eine grundlegende Voraussetzung. Die Stahlsparte von ThyssenKrupp darf daher weder in Hände geraten, die den größten deutschen Stahlstandort zum Abbruchplatz machen, noch darf sie an einen Erwerber gehen, der vielleicht vorläufig den Standort Duisburg aufrecht erhält, dafür aber Salzgitter und das Saarland gefährdet. Am Ende stünden nicht nur der direkte Verlust zigtausender Arbeitsplätze, sondern der Verlust der Hoheit über den wichtigsten Basiswerkstoff für den Maschinenbau und viele andere Industriezweige in Deutschland. Und: Die Perspektive, Deutschland zum Vorreiter für klimaneutrale Industriearbeitsplätze mit Zukunft zu machen, ginge unwiederbringlich verloren.

Es ist höchste Zeit, dass sich Wirtschaft und Politik auf einen Weg genau dorthin verständigen. Dazu kann eine staatliche Beteiligung sinnvoll beitragen - wie es die IG Metall für Krupp-Thyssen vorschlägt. Dass der Staat allein der bessere Unternehmer sei, behauptet niemand ernsthaft, auch wenn dieser Vorwurf von interessierter Seite regelmäßig erhoben wird. Er kann durch intelligente Beteiligungsformen aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass der beste Unternehmer seine Stärken ausspielen kann. Die Instrumente dafür gibt es.

Natürlich wird grüner Wasserstoff zunächst teurer sein als Koks-Kohle. Wir sollten deshalb auch darüber nachdenken, über sogenannte „Carbon Contracts for Difference“ bestimmten Unternehmen für eingeschränkte Zeiträume einen stabilen CO2-Preis zu garantieren. So lassen sich Investitionsrisiken einschätzen, und so entsteht Planungssicherheit.

Die Stahlindustrie ist nicht die einzige energieintensive Branche, die sich bewegen muss, um sich zukunftsfest zu machen. Im Konjunkturprogramm hat die Bundesregierung deshalb beschlossen, sieben Milliarden Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien in Deutschland und weitere zwei Milliarden Euro für internationale Partnerschaften bereitzustellen.

Die sozial-ökologische Transformation ist aber nicht nur eine Geldfrage. Sie hängt entscheidend auch davon ab, ob die Menschen bereit sind, sich auf neue Wege zu begeben. Da ist noch jede Menge Überzeugungsarbeit von allen Beteiligten und auf allen Ebenen zu leisten. Denn auch das ist ein Mythos, den wir abstreifen sollten: dass Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nur etwas für Experten sei. Wirtschaftspolitik gehört in die Mitte der Gesellschaft. Sie ist ein demokratisches Projekt.

Der Artikel erschien zunächst als Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.