Der Coronavirus versetzt die ganze Welt gerade in eine Art Krisenmodus. Weltweit haben sich bis zu 260.000 Menschen angesteckt, in Deutschland sind es Stand heute, 24. März, 30.000 Menschen (Edit: am 31. März sind es bereits 62.5000) und es werden jeden Tag mehr, die sich infizieren und anstecken. Hubertus, ist das die größte Krise, bei der du als Politiker jemals mit anpacken musstest?
Hubertus Heil: Ich habe schon einiges erlebt in meinem politischen Leben: die Situation nach dem 11. September, die Finanzkrise vor 10 Jahren und andere große Diskussionen. Aber das hier ist groß. Und man muss deutlich machen, was jetzt Priorität hat: der Schutz der Bevölkerung was ihre Gesundheit betrifft. Es geht tatsächlich um Leib und Leben und die jetzt ergriffenen Maßnahmen dienen vor allen Dingen diesem Zweck. Es geht um Gesundheitsschutz, im Zweifelsfall auch in der Abwägung von wirtschaftlichen Interessen.
Du bist gerade ein wahnsinnig gefragter Interviewpartner, tingelst durch die Talkshows, bist sehr präsent. Und du strahlst bei allem, was du sagst, aber auch allem, was du tust, eine unglaubliche Entschlossenheit aus. Das kommt bei ganz vielen so an. Du sagst immer wieder, auf den Sozialstaat kann man sich verlassen. Woher nimmst du diese Gewissheit?
Hubertus Heil: Es sind Zeiten, in denen die Menschen sich zurecht um ihre persönliche Gesundheit und die ihrer Angehörigen sorgen machen. Es geht darum, dass unsere Gesellschaft sich vernünftig verhält, damit unser Gesundheitswesen im Zweifelsfall die Menschen auch versorgen kann. Und zwar so, dass wir nicht Bilder erleben müssen wie in Italien. In solchen Zeiten müssen wir versuchen, den Menschen andere Sorgen von der Schulter zu nehmen. Ich habe vorhin gesagt Priorität eins ist Gesundheit, aber das Ganze hat auch wirtschaftliche Folgen. Es hat Folgen für Arbeitsplätze und Folgen im Sozialen. Hier muss der Sozialstaat helfen. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass wir Arbeitsplätze sichern – mit den Maßnahmen, die wir als Regierung ergreifen können und die das Parlament jetzt auch zügig beschließt. Zum Beispiel helfen wir mit den veränderten Regeln für Kurzarbeit mit, Arbeitsfähigkeit zu finanzieren. Ich kann nicht versprechen, dass wir jeden Job retten, aber ich kann deutlich machen, dass wir um jeden Job kämpfen und dass wir dafür auch die Kraft haben. Wir haben die Mittel, die Kraft und die Instrumente. Es geht auch darum, die Leute abzusichern, was ihre wirtschaftliche Situation betrifft. Da geht es um Solo-Selbstständige, um Handwerksunternehmen, aber auch die Beschäftigten, die Lohnverlust haben deren wirtschaftliche Existenz teilweise gefährdet ist. Da helfen wir unbürokratisch mit ergänzender Grundsicherung und ich könnte das jetzt weiter fortsetzen. Wir haben jetzt eine Fülle von Instrumenten an den Start gebracht, um auch die wirtschaftlichen und sozialen Sorgen zu minimieren – neben den Gesundheitssorgen, die wir als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe zu bewältigen haben und die der Staat auch in der Gesundheitspolitik schultern muss.
Du sagst aber auch: Wir können nicht jeden Arbeitsplatz retten, wir können nur darum kämpfen, reicht das, um den Menschen ihre Angst zu nehmen, dass ihre Existenz ins Bodenlose stürzt?
Hubertus Heil: Wir haben ja schon Wirtschaftskrisen erlebt und überstanden. Zum Beispiel vor zehn Jahren die Wirtschafts- und Finanzkrise. Ich kenne deshalb auch Kriseninstrumente, mit denen man arbeiten kann. Aber ich gebe zu, die Dimension ist hier größer. Es geht jetzt nicht um die Folgen einer Finanzkrise, bei der man vor allem im produzierenden Gewerbe Arbeitsplätze sichern muss, sondern wir haben durch den Stillstand der Gesellschaft an vielen Ecken und Enden unserer Wirtschaft Schäden. Das betrifft praktische ganz viele Bereiche: die Störung von Lieferketten in der Produktion, geschlossene Gaststätten, Messebauer, oder viele Selbstständige. Das heißt, wir haben einen ziemlichen wirtschaftlichen Einbruch. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu sichern, indem wir den Arbeitgebern beispielsweise sagen: Entlasst die Leute nicht, ihr bekommt veränderte Regeln für Kurzarbeit, ihr bekommt Unterstützung, um Arbeitssicherheit zu finanzieren. Und wir haben auch die Instrumente des Sozialstaats. Das ist ein Unterschied zu den USA beispielsweise. Wir haben einen starken und übrigens auch gut ausgestatteten Sozialstaat, der die Existenzen von Menschen sichert. Wir haben die Möglichkeit, auch auf breiter Front Unternehmen zu unterstützen und Arbeitsplätze zu sichern. Natürlich muss man in so einer Situation erwachsen mit den Menschen in Deutschland reden und keine unhaltbaren Versprechen machen. Aber wir stehen besser da als Staaten, die nicht so einen entwickelten Sozialstaat haben.
Das klingt aufrichtig – etwas, nach dem sich die Menschen gerade sehnen. Nach Transparenz und jemandem, dem sie vertrauen können. Ihr habt jetzt gerade das Sozialschutzpaket auf den Weg gebracht. (Edit: am xy. März Link einsetzen) Dieses Paket enthält Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen, die einmalig sind in der Geschichte der Bundesrepublik, so hatte es Franziska Giffey gesagt. Was ist denn das Besondere an diesem Paket?
Hubertus Heil: Es hat eine große Dimension. Wir nehmen sehr viel Geld in die Hand, weil es um eine große Aufgabe geht. Und im Einzelnen geht es wie gesagt um die veränderten Regeln zur Kurzarbeit, um Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, es geht auch darum, dass wir ohne jede Form von bürokratischer Vermögensprüfung sagen: Wenn Ihr jetzt wirklich richtig in Not seid, dann könnt ihr zu eurem Jobcenter und ihr bekommt – egal ob ihr jetzt kleine Selbständige seid oder Beschäftigte mit Gehalteinbußen, eine ergänzende Grundsicherung. Das ist so eine Art Kombilohn oder Kombieinkommen, damit die Menschen nicht wirklich existenziell gefährdet sind. Das genaue Sozialschutzpaket ist noch umfassender, da sind zahlreiche Maßnahmen dabei. Ich mache jetzt mal ein kleines Beispiel zum Thema Zuverdienst zur Kurzarbeit: Da gibt es momentan Leute, die in einer Wäscherei tätig sind. Die haben es nicht leicht, weil die Wäscherei im Moment gar keine Aufträge hat, da zum Beispiel Hotels oder gastronomische Einrichtungen geschlossen sind. Der Chef sagt: Ich entlasse meine Leute nicht, ich gehe auf Kurzarbeit. Die Leute haben dann aber ziemliche Gehaltseinbußen, sie bekommen 60 Prozent Kurzarbeitergeld oder 67 Prozent, wenn sie Kinder haben. Diese Leute können jetzt etwas dazu verdienen, wenn sie zum Beispiel in der Wäscherei eines Krankenhauses gebraucht werden. Das haben wir ermöglicht, ohne dass das Kurzarbeitergeld abgezogen wird. Das Verrückte ist ja, dass wir in Teilen keine Aufträge und keine Arbeit haben, und in anderen Bereichen jetzt gerade dringend Menschen gebraucht werden, um die Krise zu bewältigen. Dieses Sozialschutzpaket ist ein ganzes Set von Instrumenten, die wir jetzt schnell ausrollen können. Und es passt zu den Wirtschaftsschutzmaßnahmen, die Olaf Scholz zusammen mit Peter Altmaier ergriffen hat. Das Ganze dient dazu, dass wir zusammen durch diese schwierige Zeit kommen. Und es ist wichtig, dass die Hilfe schnell ankommt. Viele sagen, das ist ja gut, was ihr macht, aber wann steht denn das zur Verfügung? Der Bundestag beschließt das diese Woche und wir haben mit der Bundesagentur für Arbeit und mit den Jobcentern auch in der Fläche richtig gute Institutionen, die diese Hilfen schnell an die Frau und an den Mann bringen.
Wir können leider – ich sage wirklich leider! – nicht das ganze Sozialschutzpaket Punkt für Punkt durchgehen, denn das würde dieser Podcast schnell Hörbuchlänge bekommen…
Hubertus Heil: Dann mache ich mal einen kleinen Hinweis: www.bmas.de
Du hast schon an Beispielen beschrieben, worum es geht. Aber wenn ich es jetzt jemandem erklären muss, der noch nie von diesem Sozialschutzpaket gehört hat, kannst Du mir in drei kurzen Sätzen nochmal sagen: Wem helfen diese Maßnahmen jetzt und ganz konkret?
Hubertus Heil: Sie sichern Arbeitsplätze und helfen damit auch Wirtschaft und Arbeitnehmern und Arbeitgebern – egal in welcher Branche. Sie sorgen für sozialen Schutz, zum Beispiel, wenn Beschäftigte Lohneinbußen haben oder wenn Selbstständigen Umsätze wegbrechen. Und wir sichern alle sozialen Einrichtungen, die wir brauchen, um die Folgen dieser Krise auch bearbeiten zu können.
Die Menschen, die hier grade zuhören in diesem Podcast, sind im Zweifel die Menschen, die Angst haben. Was kannst du denen nochmal auf den Weg geben? Was von deiner Zuversicht kannst Du denen an dieser Stelle nochmal zurufen?
Hubertus Heil: Ich bin deshalb zuversichtlich, weil die meisten Menschen in diesem Land jetzt wissen, worum es geht und sich ausgesprochen vernünftig verhalten. Die Einschränkung des täglichen Lebens, der Wirtschaft, das ist ja schon erheblich. Das ist auch ein Eingriff in Freiheiten, die wir sonst haben. Jeder weiß, es geht um die eigene Gesundheit, es geht um die Angehörigen. Es geht vor allen Dingen auch um Leute, die einem nahe stehen und die das alles gut überstehen müssen. Der erste Punkt, der mich wirklich hoffnungsvoll macht, ist: Wir haben eine total vernünftige Gesellschaft. Der zweite: Der Staat ist handlungsfähig. Wir haben einen starken Staat. Wir haben immer noch – bei allen Problemen – ein starkes Gesundheitswesen. Wir haben die Instrumente, Arbeitsplätze zu sichern. Und wir können dank der Sozialpartnerschaft Interessen ausgleichen zwischen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften. Also wer, wenn nicht dieses Land und diese Gesellschaft sollte diese schwierige Zeit gut miteinander bewältigen? Das geht aber nur, wenn jetzt alle mal ihre persönlichen oder Gruppeninteressen zurückschieben. Der Virus fragt nicht, welche Interessen man hat, das ist eine gemeinsame Aufgabe, die diese Gesellschaft nur mit sehr starker Solidarität bewältigen kann, aber wir sind dazu in der Lage.
Wunderbares Schlusswort und endlich mal wieder das sozialdemokratischste Wort der Welt: „Solidarität“. Wichtiger denn je in Zeiten wie heute.
*Das Gespräch wurde am 23. März aufgezeichnet. Die aktuellen Zahlen und Entwicklungen findet ihr hier!