Die SPD-Spitze sieht die große Koalition durch die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen beschädigt. „Es gibt eine Menge Fragen, die beantwortet werden müssen, um das Vertrauensverhältnis zu klären“, sagte die Parteichefin Saskia Esken der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Derzeit wüssten sie nicht, „woran wir sind mit der CDU“. Um das zu klären, hat die SPD für Samstag einen Koalitionsausschuss durchgesetzt. Das Doppel-Interview im Wortlaut.
DPA: Geht die SPD als einer der Gewinner aus der Situation in Thüringen hervor?
Saskia Esken: Man muss vielmehr fürchten, dass die AfD ein Gewinner sein könnte. Entscheidend ist doch die Frage, ob die Demokratie Gewinner oder Verlierer sein wird.
Norbert Walter-Borjans: Das Thema ist viel zu ernst, um darüber nachzudenken, wer profitieren könnte. Hier geht es um die demokratische Kultur der Bundesrepublik. Die AfD mag ja mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen wollen. Aber sie tritt erkennbar an, um die Demokratie auszuhebeln. Das ist der Unterschied zu allen anderen Parteien und der Grund, warum man sofort dafür sorgen muss, dass kein Flächenbrand entsteht. Die SPD war immer und bleibt ein Bollwerk gegen Rechts. Wenn das Menschen honorieren, dann ist das nicht die Suche nach einem kurzfristigen oder oberflächlichen Profit, sondern die Bestätigung einer richtigen Position. Dass die Menschen an dieser Stelle großes Vertrauen in die SPD setzen, merken wir im Moment an vielen Reaktionen.
Es gibt die Vermutung, die SPD könne diese Gelegenheit nutzen, möglicherweise doch aus der großen Koalition im Bund auszusteigen.
Esken: Wir taktieren hier nicht. Wir müssen Verantwortung dafür übernehmen, diesen Dammbruch aufzuhalten, der dramatische Folgen haben kann, auch für andere Bundesländern. Dafür wird die SPD jetzt Bollwerk sein und nicht für ihre eigenen Ziele. Aber es ist schon auch ein Schaden für die Koalition entstanden, weil wir im Moment nicht wissen, woran wir sind mit der CDU. Es gibt eine Menge Fragen, die beantwortet werden müssen, um das Vertrauensverhältnis zu klären.
Was würden Neuwahlen in Thüringen bringen, wer kann davon profitieren?
Esken: Wir hoffen, dass die Demokratie profitiert und sich stark zeigt. Das ist gleichzeitig ein Appell an alle demokratischen Parteien und auch an die Wählerinnen und Wähler in Thüringen, Verantwortung zu übernehmen.
Walter-Borjans: Haltung ist nicht abwägbar gegenüber irgendeiner Wahltaktik. Man darf sie nicht von möglichen Wahlergebnissen abhängig machen. Ich muss im Zweifel auch ertragen können, dass Menschen meine Haltung nicht honorieren. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass die Thüringerinnen und Thüringer ganz überwiegend Demokraten sind. Deswegen glaube ich, es gibt wenige, die sich jetzt überlegen, den Demokratiefeinden hinterherzulaufen.
Viele vermuten, eine Neuwahl könnte die sogenannten politischen Ränder, also Linke und AfD stärken. Sehen Sie das als Gefahr?
Walter-Borjans: Man muss sich bewusst machen, dass die Linke eine Partei mit demokratischem Bekenntnis ist. Die AfD dagegen tritt an, um die Demokratie abzuschaffen oder zumindest zu schwächen. Wer den Versuch macht, das jetzt über einen Kamm zu scheren, verharmlost, was am rechten Rand passiert.
Esken: Gerade in Thüringen muss man doch sagen, dass die Linke von Bodo Ramelow sich durchaus im Rahmen des demokratischen Spektrums befindet, ganz im Gegensatz zur AfD des Faschisten Björn Höcke. Diese Partei führt Listen unliebsamer Journalisten, sie betreibt Meldeportale für Lehrkräfte, die unliebsame Äußerungen machen, und sie will nach eigener Aussage «aufräumen» und «ausmisten», wenn sie an die Macht kommt. Ich kann da einen Unterschied erkennen.
Die CDU dagegen betont eine Äquidistanz.
Walter-Borjans: Diese Gleichsetzung von Linken und AfD hat sie überhaupt erst in die Bredouille gebracht. Der wendefreudige Herr Mohring hat sich erst überlegt, ob er eine Projektregierung mit Herrn Ramelow macht und anschließend, dass er doch auch einen AfD-gestützten FDP-Politiker zum Ministerpräsidenten küren könnte. Eine moralische Abwägung sehe ich da nicht. Ich erwarte nicht von der CDU, dass sie sich morgen für koalitionsfähig mit der Linken erklärt. Nur wenn es darum geht, einen Pakt mit Demokraten gegen die Demokratiefeinde zu schließen, dann muss auch eine CDU wissen: Wer ist eigentlich Demokrat in diesem Parlament und wer nicht.