SPD-Generalsekretärin Katarina Barley setzt auf dem Weg zum Regierungsprogramm 2017 darauf, die SPD-Mitglieder eng einzubinden. „Wir haben unglaublich viel Sachverstand in unserer Partei, den wir stärker nutzen müssen.“
Sigmar Gabriel fordert schon lange mehr Förderung für alle, die Unterstützung brauchen. Vor den Landtagswahlen wurde das als Wahlkampf-Gag ausgelegt. Wie konnte es dazu kommen?
Katarina Barley: Gute Frage. Denn diese Kritik ist nicht gerechtfertigt. Das „Solidarprojekt“ ist vielmehr das Paradebeispiel für die langen Linien unserer Politik. Mit dem Solidarprojekt versprechen wir den Menschen, dass wir ihre Bedürfnisse nicht über die großen aktuellen Herausforderungen vergessen. Er führt mehrere Dinge in einem großen Projekt zusammen. Dazu gehören der Integrationsplan, den unsere vier Bundesministerinnen zusammen mit Malu Dreyer im Winter vorgestellt haben: die Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben, sollen gut integriert werden. Dazu gehören Integrationskurse ebenso wie Arbeitsgelegenheiten und Wohnraum. Weiteres Element ist der vom Parteivorstand beschlossene Modernisierungspakt: gerade jetzt brauchen wir Investitionen in Bildung und Forschung, Straße und Schiene, um die wichtigsten Bereiche zu nennen.
Zum Beispiel Kita-Ausbau?
Ja. Aber auch der ganze Bildungsbereich, bezahlbarer Wohnraum und sowie Hilfen für die, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben. Das war also kein Wahlkampf-Gag. Vielmehr sind wir in die Haushaltsverhandlungen gegangen und haben gesagt: Wir werden den Haushalt ablehnen, wenn das nicht kommt. Und so haben wir uns durchgesetzt.
Wie viel Geld konnte die SPD dafür locker machen?
Wir haben für 2017 etwa fünf Milliarden Euro rausgeholt, allein 2,2 Milliarden für den Arbeitsmarkt. Denn wir wissen, dass die Integration vor allem durch Arbeit funktioniert. Für Wohnungsbau und Stadtentwicklung geben wir 2017 insgesamt 1,3 Milliarden zusätzlich aus. Und außerdem rund 400 Millionen für den Kita-Ausbau und Sprachkitas.
Aber trotz aller Erfolge steckt die SPD leider in einem ordentlichen Umfragetief. Wie wollen Sie die Menschen wieder für die Partei gewinnen Und die Leute bis zur Bundestagswahl 2017 erreichen?
Umfragen sind keine Wahlergebnisse. Das haben wir gerade erst in Rheinland-Pfalz gesehen. Da waren wir monatelang zwölf Prozentpunkte hinter der Union und haben es am Ende gedreht. Und bis zur Bundestagswahl sind noch eineinhalb Jahre Zeit.
Wir müssen jetzt aus all unseren erfolgreichen Projekten, die wir umsetzen wieder eine Gesamterzählung über die SPD machen. Die Menschen sehen diese Projekte. Sie finden sie auch gut. Aber sie verbinden sie zu wenig mit der SPD. Das müssen wir ändern und dafür müssen wir die dazugehörige Geschichte erzählen. Und wir brauchen wieder mehr Emotion. Die AfD schürt Angst und Misstrauen, das sind starke Gefühle. Dagegen müssen wir positive Gefühle wie Zutrauen und Zusammenhalt setzen.
Wie muss diese Gesamtgeschichte aussehen?
Wir müssen unseren Markenkern wieder deutlich machen: Die ganz lange Linien unserer Politik sind ja erkennbar. Nehmen wir als Beispiel die Rechte von Frauen. Wenn sich in der Geschichte die Lage für Frauen verbessert hat, dann waren es immer Sozialdemokraten und vor allem Sozialdemokratinnen, die das erreicht haben. Wenn es darum geht, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Leben zu erleichtern, für die faire Bedingungen zu erkämpfen, dann sind das immer wir. Diese Linien haben wir von Anfang an verfolgt und werden das auch weiter tun. Wenn die Union sich um solche Fragen kümmert, rührt das nicht aus einer tiefen Überzeugung heraus, sondern weil sie denken, damit kommen sie gerade gut an.
Ist die geplante Programmdebatte auch in dem Sinn der Gesamtgeschichte angelegt?
Wir haben unglaublich viel Sachverstand in unserer Partei, den wir stärker nutzen müssen. Es gibt an der Basis so viele Mitglieder, die etwa aus ihren beruflichen Erfahrungen Erkenntnisse einbringen können. Das ist eine große Stärke der SPD.
Die enge Einbindung der Basis soll auch eine Art Realitäts-Check sein. Wo müssen wir auf unterschiedliche Lebenswirklichkeiten eingehen, wo haben wir was vergessen? Ich finde, wir müssen nicht auf jede Einzelfrage in einem Regierungsprogramm eine Antwort geben und sollten das Programm nicht zu detailliert schreiben. Viel wichtiger ist es zu versuchen, bei den Linien, die wir formulieren die Realität in Deutschland im Kopf zu haben.
Gibt es für Sie als Generalsekretärin Wählergruppen, die Sie besonders ansprechen möchten?
Wir sind eine Volkspartei und wollen ganz breite Bevölkerungsschichten ansprechen. Ich persönlich möchte mich vor allen Dingen um die drei Wählergruppen junge Menschen, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund kümmern. Das hat etwas mit meiner Biographie zu tun.
Nochmal zurück zu der Gesamtgeschichte: Wäre es wichtig, dass die SPD stärker ihre Werte betont und deutlich macht, was diese Werte im 21. Jahrhundert bedeuten müssen?
Wenn man sich die vergangenen zweieinhalb Jahre anguckt, dann kann man mit Fug und Recht sagen, eine stärkere sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag kann man sich schwer vorstellen. Und wir setzen das ja auch alles um. Wir müssen das immer wieder erzählen, denn die Leute vergessen schnell, was die SPD alles für sie erreicht hat, zum Beispiel Mindestlohn, abschlagfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, Mietpreisbremse, Elterngeld plus und einiges mehr. Es ist ein ursozialdemokratisches Programm, das die SPD in dieser großen Koalition durchgesetzt hat.
Interview: Karin Nink