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Aktuelles

Yasmin Fahimi und Terre des Femmes e.V. im Willy-Brandt-Haus.
Dirk Bleicker

Die SPD und Terre des Femmes e.V. machen diesem Jahr auf die Situation geflüchteter Frauen und Mädchen aufmerksam. Anlass ist der internationale Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November. In diesem Jahr beteiligt sich die SPD bereits zum achten Mal an dieser Aktion.

25.11.2015 | Yasmin Fahimi im FR-Namensbeitrag

„Unsere Werte und Freiheit sind ihre Chance“

Yasmin Fahimi

Namensbeitrag Yasmin Fahimi aus der Frankfurter Rundschau anlässlich des Internationalen Tages für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25.11.2015.

Hunderttausende fliehen vor Krieg und Gewalt, Armut und Hunger. Viele suchen Schutz auch bei uns in Deutschland. Darunter etwa ein Drittel Frauen und Mädchen. Sie brauchen unsere Hilfe: sofort, unmittelbar und ohne Zögern. Frauen, die allein auf der Flucht sind, minderjährige Mädchen ohne Begleitung, Mütter mit Säuglingen, mit kleinen Kindern, alte Frauen. Sie begeben sich auf einen zum Teil lebensgefährlichen Weg. Ein nicht lebensbedrohlicher und zugleich legaler Weg für Frauen und Kinder, nach Deutschland zu kommen, ist der Familiennachzug. Wer diese Möglichkeiten weiter einschränkt, zwingt immer mehr Frauen und Kinder in Schlauchboote über das Mittelmeer und nimmt in Kauf, dass sie auf der Flucht in akute Lebensgefahr geraten.

Am heutigen Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen gilt unsere Solidarität den Frauen und Mädchen, die in ihren Heimatregionen Opfer von Gewalt, von Vergewaltigung, auch als Kriegswaffe, wurden. Sie wurden benachteiligt, nur weil sie Frauen sind, sie wurden unterdrückt. Sie sind traumatisiert, können häufig über erlittenes Leid nicht sprechen. Man muss sich nur die Bilder ansehen, die Kinder malen, die hier ankommen, um hautnah zu spüren, was die Menschen in den Krisengebieten tagtäglich erleben.

Wir heißen sie willkommen, geben ihnen ein Dach über dem Kopf und erste gesundheitliche Versorgung. Sie brauchen aber auch eine Perspektive, eine Zukunft. Egal ob sie Analphabetin sind oder Akademikerin, ob sie alt sind oder jung. Wir wollen den geflüchteten Frauen kein Lebensmodell vorschreiben. Wir bieten ihnen aber eine freie und offene Gesellschaft an.

Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Frauen und Mädchen aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Teilhabe an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden. Und gesellschaftliche Teilhabe ist die beste Versicherung für ein freies und selbstbestimmtes Leben. Der Leidensweg, den viele dieser Frauen hinter sich haben, ist Mahnung und Auftrag an uns als Mehrheitsgesellschaft. Ihr Wille zur Integration und ihre Leistungsbereitschaft sind unsere Chance.

Der Schatz, den wir anzubieten haben, ist nicht nur ein wirtschaftlich starkes Land und ein stabiler Arbeitsmarkt, sondern vor allem unsere offene, tolerante und aufgeklärte Gesellschaft. Geflüchtete Mädchen und Frauen erhalten von uns nicht nur Obdach und Schutz, sie erhalten die Rechte einer freien Bürgerin unseres Landes. Sie haben das Recht, bei uns zur Schule zu gehen, eine Ausbildung zu machen, zu studieren, einen Beruf zu ergreifen. Wir müssen ihnen klar machen: Hier haben sie das Recht auf ein eigenes Leben, nach ihren eigenen Vorstellungen. Sie haben das Recht auf Mobilität. Es klingt banal, aber sie haben bei uns das Recht Fahrrad zu fahren oder einen Führerschein zu machen. Das ist ihre Chance. Das ist unsere Chance.

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Dieser Satz aus dem Grundgesetz klingt für uns selbstverständlich. Doch viele Frauen, die zu uns geflüchtet sind, haben anderes erlebt und erleiden müssen. Frauen und Kinder brauchen daher bei uns besondere Hilfs- und Therapieangebote, qualifizierte TherapeutInnen und SozialarbeiterInnen, empathische DolmetscherInnen. Nur so können die Mütter auch ihren Kindern dabei eine Hilfe sein, sich in der neuen Lebenssituation zu Recht zu finden. Unsere Gesellschaft muss alles tun, damit die geflüchteten Frauen und ihre Kinder nicht zu einer verlorenen Generation im doppelten Sinne werden.

Unsere Werte und Freiheiten gegen verkrustete Strukturen aus den Heimatländern durchzusetzen, ist teilweise auch eine große Herausforderung für die von Gewalt und Unterdrückung betroffenen Frauen und Mädchen, für uns alle. Für viele Frauen mögen ihre Rechte selbstverständlich sein. Andere müssen wir bestärken und befähigen, diese Rechte zu nutzen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und überkommene Machtverhältnisse in Frage zu stellen.

Wo es Probleme gibt auf Grund ethnischer Unterschiede oder kultureller Missverständnisse, können Kulturdolmetscher hilfreich sein. Die heute bei uns lebenden Kinder und Enkelkinder der ersten Gastarbeitergeneration können solche Mittler sein. Initiativen wie die Berliner „Stadtteilmütter“ im Rahmen des Projektes „Soziale Stadt“ leisten hervorragende Integrationsarbeit und schaffen gleichzeitig Arbeitsplätze für Frauen.

Reichen wir den geflüchteten Frauen und ihren Familien die Hand! Heißen wir sie nicht nur einfach willkommen, sondern geben wir ihnen die Möglichkeit, in Deutschland anzukommen, sich zu integrieren und die Chancen unserer freiheitlichen Gesellschaft zu ergreifen. Integration bedeutet umfassende gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe. Für alle, unabhängig vom Geschlecht oder sexueller Identität, unabhängig vom Partner, von Eltern oder Geschwistern. Damit wir in zehn Jahren sagen können, dass unser Land vielfältiger geworden ist, sozialer und freier als zuvor. Denn genau das ist die Chance, die in dieser Herausforderung steckt. Wir müssen es nur richtig machen. Wir brauchen ein Jahrzehnt der Integration und Investition für alle.

Wir müssen die Leistungsbereitschaft und die Offenheit, die die Flüchtlinge mitbringen, nutzen, um ihnen die Chancen unserer liberalen Gesellschaft aufzuzeigen. Das erfordert auch unsererseits eine gesellschaftliche Anstrengung, die wir bei den Frauen der Gastarbeitergeneration versäumt haben. Diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen.