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Aktuelles

Foto: Sigmar Gabriel
dpa
24.01.2017 | Erklärung des SPD-Parteivorsitzenden zur Bundestagswahl 2017

Wir sind bereit

Sigmar Gabriel

2017 ist ein Jahr der Weichenstellungen in Europa und in Deutschland. Die Bundestagwahl findet statt, in den Niederlanden und in Frankreich wird gewählt, und ebenso in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Schleswig-Holstein. Der neue amerikanische Präsident hat sein Amt angetreten. Es geht um die Frage, welche Richtung wir einschlagen: auf unserem Kontinent, in unserem Land und in unseren Beziehungen zu anderen Ländern, auch zu den USA.


Dieses Jahr ist anders als andere Wahljahre. Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl wird deutlich zunehmen, und die Wählerinnen und Wähler werden sich erst spät entscheiden, wen sie unterstützen. Denn die Menschen fühlen: Es geht um die Richtung und um die Balance in Deutschland.

Worum es bei der Bundestagswahl 2017 geht

Es geht um die demokratische Substanz: Wie können wir durch mehr Gerechtigkeit, mehr Zusammenhalt, mehr Chancen und mehr Sicherheit den Glauben an die Gestaltungsfähigkeit von Politik und Gesellschaft und den Optimismus für Fortschritt erzeugen. Sie sind notwendig für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Diese Richtungsfragen brauchen klare programmatische und personelle Alternativen. Die Menschen müssen erkennen, dass es wirkliche Alternativen in unserem Land gibt und Scheinlösungen eben keine Lösungen sind.
Und es geht um die Rolle und die Bedeutung der Sozialdemokratie. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen: Der Demokratie in Deutschland ging es immer dann gut, wenn es der SPD gut ging. Die Sozialdemokratie ist der Garant für eine starke, gerechte, fortschrittliche und demokratische Gesellschaft, in der miteinander, nicht gegeneinander gearbeitet wird. Eine starke SPD ist nötig, um den Rechtspopulismus in Europa und Deutschland in seine Schranken zu weisen. Und sie ist die Voraussetzung dafür, dass die zentralen Themen der Zeit, nämlich mehr Gerechtigkeit, bessere Bildung, ein leistungsfähiger Sozialstaat, faire Steuern und Löhne, eine arbeitnehmer- und verbraucherorientierte Digitalisierung und eine moderne Familienpolitik entschieden angepackt werden.

Dafür ist ein Politikwechsel nötig, denn wir sind am Ende dessen angelangt, was man mit einer in sich zerstrittenen CDU/CSU erreichen kann. Die Aufgaben, vor denen wir stehen, sind enorm:

  • Viel zu viele Menschen fühlen sich von demokratischer Politik nicht mehr angesprochen.

  • Das weit verbreitete Misstrauen in die Politik, die keine Alternativen anbietet, sie erst recht nicht öffentlich diskutiert und sich nicht wirklich um die Sorgen vieler Menschen zu kümmern scheint, ist für Deutschland, für unser Gemeinwesen und unseren sozialen Zusammenhalt hoch gefährlich. Wir wollen zeigen, dass es Alternativen zur gegenwärtigen Politik gibt, und zwar bessere.

  • Wir wollen beweisen, dass der Gegensatz zwischen denen „da oben“ und denen „hier unten“, zwischen arm und reich, zwischen einflussreich und machtlos überwunden werden kann. Unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung gehört jeder und jede dazu. Dafür werden wir kämpfen.

  • Die Gegensätze bestehen nicht nur in Deutschland, sondern noch mehr in Europa. Hier wird die Gefahr der Auflösung der EU immer deutlicher. Dem werden wir entschieden entgegentreten.

  • Die bisherige Politik von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble hat entscheidend zu den immer tieferen Krisen in der EU seit 2008, zur Isolierung einer dominanten deutschen Bundesregierung und - durch das unerbittliche Festhalten an der Austeritäts-Politik – zur hohen Arbeitslosigkeit außerhalb Deutschlands beigetragen. Eine Folge davon war die Stärkung antieuropäischer populistischer Parteien und die Beschädigung nicht nur der Demokratie, sondern auch eines guten Investitionsklimas. Auch unsere Regierungsbeteiligung in der Großen Koalition hat zwar manches mildern können, aber die grundsätzliche Korrektur dieses Kurses war und wird mit CDU und CSU nicht gelingen. Dafür muss die SPD deutlich stärker werden und die nächste Bundesregierung anführen. Eine Fortsetzung der bisherigen Politik ginge auf Kosten eines nachhaltigen Wachstums. Das ist auch für Deutschland selbst gefährlich.

  • Den Bürgerinnen und Bürgern muss wieder mehr Kontrolle über ihre Lebensverhältnisse zurückgegeben werden. Es geht um Gestaltung von Arbeit, Bereitstellung von öffentlichen Gütern: Bildung, Gesundheit, bezahlbares Wohnen, Zeit für Familien und das Engagement in Vereinen und Politik.

  • Wir wollen ein menschenfreundliches Reformverständnis zurückgewinnen, das Teilhabe und soziale Sicherung befördert. Wirtschaftliche Höchstleistung nicht gegen die Menschen, sondern zusammen mit ihnen, Teamarbeit, Mitbestimmung statt eines alles beherrschenden Wettbewerbs, gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Stärkung institutioneller Solidarität: Tarifautonomie und unternehmensübergreifende Tarif-Bindung, verlässliche Sozial- und Arbeitslosenversicherungen.

  • Deutschland braucht einen Aufbruch, gegen die Verängstigung durch den Terror, gegen das Gefühl der Ohnmacht, gegen Mutlosigkeit und Resignation. Unser Ziel ist eine aktive freundliche Gesellschaft, in der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – in Deutschland, in Europa und global - zu wirklicher Sicherheit führen. Mauern und Stacheldraht, wie wir sie in Europa wieder hochziehen, werden sie auf Dauer nicht gründen. Sicherheit braucht die Freiheit und die Loyalität der Bürgerinnen und Bürger.

Dies sind die Themen, für die die SPD 2017 geschlossen antreten wird. Wir machen damit deutlich, welchen Kurs unser Land nehmen soll: Uns geht es nicht um die Wenigen, die schon genug haben. Uns geht es um die Vielen, die sich immer wieder neuen Aufgaben und Herausforderungen stellen, und die dies mit großer Anstrengung und teilweise unter großen Entbehrungen tun. Diese Leistung muss wieder stärker ideell und materiell anerkannt werden. All das muss wieder zur Richtschnur der Politik in Deutschland werden.


Wir wollen außerdem mehr Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger. Wir treten jeder Form von Terrorismus, aber auch von Ausgrenzung entgegen. Es geht um die richtige Balance von Freiheit und Sicherheit für alle, die in Deutschland leben, und die die demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft teilen. Wir wollen offen, tolerant, aber auch wehrhaft sein. Im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.


Vorschlag für den SPD-Kanzlerkandidaten

Ich habe in und außerhalb der SPD in den letzten Wochen mit vielen Menschen gesprochen und mich auch mit der SPD-Führung intensiv beraten, mit welchem personellen Angebot wir in diese so wichtige Richtungsauseinandersetzung gehen. Natürlich sind das unsere erfolgreichen SPD-Mitglieder im Bundeskabinett. Sie waren die Motoren der Regierungsarbeit in den letzten mehr als drei Jahren. Gemeinsam mit den SPD-Bundestagsabgeordneten und den Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten treten wir für keine Koalition und für keine taktischen Überlegungen an, sondern für „150 Prozent“ Sozialdemokratie.


Dafür brauchen wir auch eine Person, die diesen Wahlkampf glaubwürdig repräsentiert,mit der wir die nächste Bundesregierung anführen und Angela Merkel und ihre zerstritten Parteien CDU und CSU ablösen wollen. Dafür habe ich zunächst Hannelore Kraft und Olaf Scholz und dann dem gesamten Präsidium vorgeschlagen, für die Entscheidung am 29.1.2017 im SPD-Parteivorstand Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2017 zu nominieren und auf einem Parteitag wählen zu lassen. Und weil die Führung der SPD eindeutig und klar sein muss, schlage ich ihn auch als neuen Vorsitzenden der SPD vor.


Das SPD-Präsidium ist meinem Vorschlag gefolgt, so dass wir mit einem klaren Votum in den Parteivorstand am 29. Januar 2017 gehen werden. Ich bin sicher, dass wir dort ein genauso einmütiges Votum erhalten werden.

Martin Schulz hat sich bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Er soll auf einem Sonder-Parteitag Ende Februar/Anfang März für beide Funktionen zur Wahl stehen. Und ich bin mir sicher: Er wird auch mit breiter Mehrheit gewählt werden.


Martin Schulz genießt durch seine einzigartige Arbeit als Präsident des Europäischen Parlaments, sein jahrzehntelanges Engagement gegen Rechtspopulismus und sein Eintreten für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa eine große Glaubwürdigkeit. Seine Kandidatur für das Amt des deutschen Bundeskanzlers und die Übernahme des Parteivorsitzes der SPD dokumentieren unseren Willen für einen echten Neubeginn in Deutschland und Europa. Unser Land aber auch unser Kontinent muss der neuen US-Regierung selbstbewusst gegenübertreten.


Es braucht also einen glaubwürdigen Neuanfang zur Großen Koalition. Und den repräsentiert Martin Schulz in der deutschen Öffentlichkeit mehr als jeder und jede andere von uns.


Martin Schulz ist ein deutscher Europäer und europäischer Deutscher mit großem Renommee weit über die Grenzen unseres Landes hinaus - nicht nur in der EU - sondern in vielen Ländern der Welt. Er ist ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und seine Biographie zeigt, dass Aufstieg durch Leistung in dieser Gesellschaft möglich ist. Er war Kommunalpolitiker, Europapolitiker und gehört seit Jahren zur engeren Führung der SPD auf Bundesebene. In all diesen Aufgaben hat er eines gezeigt: Er kann führen und integrieren. Er hat klare Überzeugungen, aber immer auch den Blick für das Machbare. Er weiß, dass wirtschaftliche Stärke und soziale Gerechtigkeit keine Gegensätze sind, sondern sich einander bedingen. Er weiß, dass gerechtere Gesellschaften leistungsfähiger, kreativer, wirtschaftlich erfolgreicher und demokratisch geschlossener sind.


Martin Schulz hat in seinem Leben immer wieder gezeigt: Er kann Brücken bauen. Er kann zusammenführen. Er bleibt immer sozialdemokratischen Grundwerten und Haltungen treu und tritt, wo es notwendig ist, kompromisslos für sie ein. Das ist genau das, was unser Land jetzt braucht. Martin Schulz ist ein politisches Angebot an die Wählerinnen und Wähler in Deutschland, den Status Quo zu verändern. Er besitzt Glaubwürdigkeit, nicht nur für SPD-Anhänger, sondern auch im konservativen, linken, grünen und linksliberalen Milieu.


Martin Schulz wird nicht in die Regierung eintreten. Er wird als Vorsitzender und Spitzenkandidat für klare Alternativen jenseits der Grenzen der Großen Koalition für eine andere Politik in Deutschland und Europa werben.
Mit dieser Entscheidung ist eines klar: Uns geht es nicht um Posten und Pöstchen. Uns geht es darum, den Kurs dieses Landes in einer breiten demokratischen Diskussion in und mit der SPD und mit der Gesellschaft insgesamt neu zu bestimmen. Darin sehen wir eine große Chance, dem Gefühl und der Politik des „Weiter-so“, der „Alternativlosigkeit“, des kleinsten gemeinsamen Nenners, überzeugend zu begegnen. Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Menschen sich wieder mehr für die Demokratie, für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Gemeinsamkeit und für Fortschritt und Sicherheit in unserem Land engagieren.


Nur mit einer Politik der Alternativen, der Klarheit und der Richtung kann Populismen jedweder Couleur wirkungsvoll entgegen getreten werden. Martin Schulz wird mit seiner Nominierung eine Deutschland-Tour beginnen, in allen Wahlkreisen. Er wird den Menschen zuhören, er wird mit den Menschen diskutieren, und er wird die Alternativen der SPD deutlich machen. Er wird einen Wahlkampf vor Ort, nah bei den Menschen, und nicht allein in Berlin und über die Medien führen. So kann er einen Beitrag dazu leisten, dass Wählerinnen und Wähler und die Politik wieder näher zusammenrücken. Damit wird er zeigen, wofür er und die SPD eintreten.


Die gesamte Sozialdemokratie wird Martin Schulz in dieser Auseinandersetzung unterstützen. Wir machen damit auch klar: Uns und mir geht es nicht um einzelne Personen und Karrieren, sondern darum, einen wirklichen Beitrag zur Erneuerung und Zukunft unseres Landes und zur Sicherung seiner demokratischen Substanz zu leisten.


Meine Beweggründe

Ich danke allen in der SPD sehr, dass mir die Gelegenheit gegeben wurde, einen wohl abgewogenen Vorschlag zu machen. Der mediale Druck auf die SPD war riesig. Und ich weiß wie hoch die Nervosität angesichts der schwierigen Umfragedaten bei allen ist. Vor allem bei den Bundestagsabgeordneten.


Deshalb war es keine Selbstverständlichkeit, dass wir nicht wie bei den letzten beiden Bundestagswahlen in die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur hinein gestolpert sind. Sich nicht treiben zu lassen, sondern selbstbewusst und aus eigener Verantwortung zu entscheiden war sehr, sehr wichtig. Das hat uns Respekt verschafft und ist der erste Schritt für einen erfolgreichen Wahlkampf.


Bei mir ist dieser Vorschlag schon seit dem Sommer heran gereift. Einige in der engeren SPD-Führung wissen das. Aber es war wichtig, dass wir jetzt entscheiden und es nicht früher getan haben. Die Erfahrung der letzten Wahlen war: früher Kandidat – späterer Verlierer. 12 Monate und mehr mussten die letzten beiden SPD-Kanzlerkandidaten durchhalten. Jeder, der sie fragt, wird schnell erfahren, was das für ein politischer Höllenritt war.


Natürlich fällt mir dieser Schritt nicht leicht. Das könnt Ihr mir glauben. Die Partei war und ist meine politische Heimat. Ich habe ihr, auch persönlich, vieles zu verdanken. Ich war mehr als sieben Jahre im Amt und bis zum Sonderparteitag und der Wahl von Martin Schulz bleibe ich das auch mit aller Leidenschaft. Danach aber sollte Martin die Partei führen. Ich habe diese Entscheidung jetzt nach wirklich reiflicher Überlegung getroffen und bin sehr sicher für unser Land, für die SPD und auch für mich persönlich damit das Richtige zu tun. Dass ich das souverän und ohne von jemandem gedrängt worden zu sein, tun konnte, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich bin mit mir im Reinen und freue mich auf den gemeinsamen Wahlkampf.


Vorsitzender der SPD sein zu dürfen, ist eine Aufgabe, die mich mit großem Stolz erfüllt hat. Bei schwierigen Entscheidungen wie heute habe ich immer an Hans-Jochen Vogel gedacht: Ihm ging es in der Politik nie um sich selbst. Ihm ging es immer darum, Dinge besser zu machen, das Leben der Menschen ganz praktisch zu verändern. Und das hat er als Partei- und Fraktionsvorsitzender nie aus dem Blick verloren. Ich finde, seine Persönlichkeit und Haltung kann jedem von uns ein großes Vorbild sein. Für mich jedenfalls ist er das. Mit meinem heutigen Vorschlag hoffe ich, dem gerecht zu werden.


Vorsitzender dieser großartigen Partei zu sein, war für mich immer das größte und stolzeste Amt, das ich erreichen konnte. Und natürlich geht es in der Politik auch immer um persönliche Ambitionen und Leidenschaften. Aber mit Blick auf die SPD geht es darum, der Partei zu dienen und ihr eine gute Perspektive zu eröffnen. Und die Auswahl eines Kanzlerkandidaten ist eben eine Auftragsarbeit für die SPD. Persönliche Ambitionen sind dafür nachrangig.


Klar ist: es gibt keine Gewissheiten und Berechnungen für den Erfolg. Aus heutiger Sicht lässt sich nur mit Plausibilitäten und Wahrscheinlichkeiten argumentieren. Und die sprechen alle eindeutig für Martin Schulz. Der Erfolg aber wird von uns allen abhängen.

Bei aller notwendigen Diskussion und auch Kontroverse muss für alle eines gelten, und das sollten wir nie vergessen: Zuallererst sind wir alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Und damit unseren Grundwerten von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet und nicht unseren innerparteilichen Bezugsgruppen, eigenen Ambitionen, Vorlieben oder Abneigungen. Wir dienen nicht uns selbst, sondern unseren gemeinsamen Zielen und damit den Menschen in unserem Land. Daran sollten wir immer denken.

Was wir erreicht haben – und was nicht

Auch wenn wir jetzt einen Neuanfang wagen wollen, so können wir doch stolz auf das Erreichte sein. Niemand in Deutschland bestreitet, dass wir trotz eines Wahlergebnisses von knapp 26 Prozent nach der letzten Bundestagswahl der Motor der Bundesregierung waren: Vom Mindestlohn, über die Rente, die Verdreifachung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die Investitionen in Kitas und Schulen, die Stärkung der Rechte der Frauen, die Senkung der Arbeitslosigkeit auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung, die Steigerung sozialversicherungspflichtiger Arbeit und den Abbau von prekärer Beschäftigung, mehr Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt die Stärkung der Kommunen, die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder und manches andere mehr. Es war wohl die sozialdemokratischste Regierungszeit seit vielen Jahren.


Und sie wird gekrönt werden durch die Wahl des Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier zum nächsten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Ich finde: keine schlechte Bilanz unserer gemeinsamen Arbeit.


Zu dem, was wir gemeinsam erreicht haben, zähle ich auch die Zeit seit 2009. Ich habe damals die Führung der SPD in schwieriger Zeit übernommen. Gemeinsam haben wir die Partei geeint und geöffnet. Ich bin bis heute stolz darauf, dass wir mehr innerparteiliche Mitwirkung durch Mitgliederentscheide trotz vieler Bedenken durchgesetzt haben - wie zum Beispiel zum Koalitionsvertrag. Ich bin dafür eingetreten, Fehlentwicklungen durch die Agenda 2010 zu korrigieren, sie aber nicht in Bausch und Bogen zu verdammen. Denn vieles war richtig und hat Deutschland nach vorn gebracht. Übrigens fände ich es als letzte Korrektur gut, wenn wir nach der Bundestagswahl eine andere Lösung für diejenigen entwickeln, die ihr Leben lang gearbeitet haben, deren soziale Sicherung aber nach relativ kurzer Zeit der Arbeitslosigkeit auf das Niveau derjenigen sinkt, die – aus welchen Gründen auch immer – nie gearbeitet haben. Den Wert der Arbeit zu stärken und ihr auch eine eigene Würde zu geben, ist die vornehmste Aufgabe der Sozialdemokratie.


Zu den großen Erfolgen seit 2009 gehört auch, dass wir die internationalen Kontakte der Sozialdemokratie in Europa und darüber hinaus gestärkt haben, etwa in der Progressive Alliance, bei der inzwischen über 200 Parteien und politische Bewegungen mitmachen.


Am meisten aber bin ich froh und stolz darauf, dass es uns gelungen ist, unser Verhältnis zu den Gewerkschaften wieder auf eine verlässliche, solide und solidarische Grundlage zu stellen. Ich glaube, mein Versprechen auf dem Dresdener Parteitag, unser Verhältnis zu den Gewerkschaften wieder so zu gestalten, wie es sich für eine sozialdemokratische Partei gehört, habe ich eingehalten.


Ihr werdet verstehen, dass mich angesichts dieser, wie ich finde, sehr erfolgreichen Arbeit seit 2009 genau wie Euch alle umtreibt, dass wir zwar diese Erfolge verzeichnen können und wir seit 2009 viele Landtagswahlen wieder gewonnen haben und in Deutschland nicht mehr nur in wenigen Bundesländern die Landesregierungen anführen, sondern immerhin neun von 16 Ministerpräsidenten stellen, uns aber im Bund nicht von der Stelle bewegen und im Rahmen der Flüchtlingskrise sogar 20 Prozent unserer Wählerschaft verloren haben. Die Ursachen dafür sind vielfältig und ein Blick nach Europa zeigt, dass wir sogar noch zu den stärkeren sozialdemokratischen Parteien gehören. Aber das ist nur ein schwacher Trost.


Die Gründe für diese Schwäche der deutschen und europäischen Sozialdemokratie sind sicher vielfältig. Auch wir haben uns an die scheinbaren Zwänge der Globalisierung angepasst, die sich bis heute vom wirtschaftlichen, sozialen und vor allem politischen Desaster der Finanzkrise nicht erholt hat. Und es ist uns bis heute nicht gelungen, in einer individualistischen Welt neue Glaubwürdigkeit für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewinnen. Vor allem aber – und das ist aus meiner Sicht der entscheidende Grund – haben wir unterschätzt, wie sehr sich die politischen Diskussionen oftmals vom Alltagsleben der Menschen entfernt haben. Die USA lehren uns: wer die Arbeiter des „Rustbelts“ verliert, dem helfen die Hipster Kaliforniens auch nicht mehr.


Demokratische Parteien haben unterschiedliche Bindekräfte für die Demokratie. Wenn sie zu „Vollversorgern“ werden, in dem man das Bioprodukt ebenso findet wie das genaue Gegenteil, dann wissen die „Kunden“ nicht mehr, im welchen Laden sie sich bewegen. Und bei aller Notwendigkeit einer Volkspartei, sich mit allen Aufgaben in einer Gesellschaft zu befassen, so liegt die Aufgabe der Sozialdemokratie vor allem bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Familien. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, Umwelt- und Klimaschutz, Wissenschaftspolitik und vieles andere mehr sind wichtig. Aber für uns muss immer klar sein: Im Zweifel vertreten wir im politischen Ringen um den richtigen Weg die Beschäftigten und ihre Familien.


Das ist in den letzten drei Jahren klarer geworden – aber noch nicht klar genug. Damit wir mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit erringen, müssen wir daran weiter arbeiten. Und dazu gehört auch ein Neuanfang außerhalb der Großen Koalition. Nach intensiver Selbstprüfung bin ich nun zu dem Ergebnis gekommen, dass die Chancen der SPD mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat dafür besser sind. Martin Schulz hat die Chance, sowohl die Wählerinnen und Wähler der SPD als auch die Anhängerinnen und Anhänger anderer Parteien zu motivieren und davon zu überzeugen, dass es Zeit ist, den Gedanken der sozialen Demokratie wieder stärker zu machen. Martin Schulz stellt eine glaubwürdige richtungs- und machtpolitische Alternative dar.

Was sich noch ändert

Das Präsidium des SPD-Parteivorstands schlägt auch zwei weitere personelle Konsequenzen aus dieser Entwicklung vor: Ich selbst werde an die Spitze des Auswärtigen Amtes wechseln und weiterhin in der Großen Koalition Vizekanzler bleiben. Denn was man angefangen hat, muss man auch anständig beenden.


Und neue Bundesministerin für Wirtschaft und Energie soll Brigitte Zypries werden. Sie leitet das Ministerium bereits seit mehr als drei Jahren mit mir gemeinsam als Parlamentarische Staatssekretärin, so dass hier eine große Kontiuität herrschen wird.


Alle weiteren Fragen werde ich zusammen mit dem neuen Vorsitzenden und der engeren Parteiführung rechtzeitig vor dem außerordentlichen Parteitag klären.


Ich bin überzeugt, das Richtige zu tun. Für meine Partei und für mich selbst. Niemand muss Sorge haben, dass ich mich zu diesen Entscheidungen gedrängt gefühlt hätte. Im Gegenteil: ich bin der SPD außerordentlich dankbar dafür, dass sie mir die Zeit für diese souveräne Entscheidung gegeben habt. Ich bin mit mir im Reinen. Für mich beginnt eine neue Phase meiner politischen Arbeit, mit einer neuen Aufgabe, auf die ich mich freue.


Ich werde Martin Schulz mit aller Entschiedenheit unterstützen. Er ist ein Zeichen dafür, dass die SPD bereit ist, und es an der Zeit ist, etwas Neues zu wagen. Andere Parteien haben diese Kraft nicht.


Die 150-Jährige Geschichte der SPD hat eines gezeigt: Wir waren zur Erneuerung immer bereit und in der Lage. Unser Engagement gilt und galt der Sicherung der sozialen Demokratie in unserem Land. Allen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, allen Wählerinnen und Wählern, und auch denjenigen, die uns verlassen haben, rufe ich zu: Kämpft mit uns gemeinsam für eine starke Sozialdemokratie. Lasst uns gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, dass dieses Land in eine gerechtere und sicherere Zukunft gehen kann.


Und lasst uns zeigen: Auf die richtige Politik kommt es an. Auf die Richtung kommt es an. Auf die Menschen in unserem Land kommt es an!