Die SPD hat einen klaren Kurs: Sie will Deutschland angesichts der Herausforderung der Flüchtlingsfrage zusammenhalten. „Zuversicht und Realismus, Fördern und Fordern gehören für die SPD immer zusammen“, erklärt SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Namensbeitrag.
Wir erleben mit der Flüchtlingsbewegung eine der größten politischen Herausforderungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Aufnahme hunderttausender Menschen in Deutschland ist das politisch alles dominierende Thema in der Bevölkerung und innerhalb unserer Partei. Die Dimensionen dieser Flucht nach Deutschland, ihr Tempo und ihr Umfang, lösen widersprüchliche Gefühle und Meinungen aus.
Einerseits gibt es in Deutschland eine immer noch ungeheuer große Hilfsbereitschaft, um Menschen in Not zu unterstützen. Wir erleben Tag für Tag ein bewundernswertes Engagement von ehrenamtlichen Helfern, aber auch bei Verbänden, Kirchen und vor allem innerhalb der öffentlichen Verwaltungen oder bei der Polizei. Vielfach sind es Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die in der Flüchtlingshilfe tagtäglich über sich hinauswachsen. Darauf können wir als SPD stolz sein.
Andererseits wachsen auch die Zweifel: Schaffen wir das wirklich? Wie viele kommen denn noch? Wird aus der Aufnahme von Flüchtlingen eine ungesteuerte Einwanderung? Viele der engagierten Helfer fordern eine deutliche Reduzierung der jährlichen Zuwanderung - nach aktuellen Umfragen sehen das 70 Prozent der Bevölkerung so. Weil sie wissen, dass eine gute Unterbringung und Integration nicht zu schaffen ist, wenn jedes Jahr mehr als eine Million Menschen zu uns kommen. Und nicht zuletzt verunsichern Straftaten wie in unseren Großstädten während der Silvesternacht fast jeden in Deutschland. Es gibt also Gründe, warum Menschen hin- und hergerissen sind. Wir alle erleben diesen Zwiespalt Tag für Tag – in den Ortsvereinen, in den Wahlkreisen und nicht zuletzt in uns selbst.
Aber gerade weil wir als Volkspartei Nervenstränge in alle Teile der Gesellschaft haben und auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene Regierungsverantwortung tragen, können wir damit selbstbewusst umgehen. Niemand hatte für die Entwicklung des letzten Jahres einen Masterplan in der Schublade. Derartige Herausforderungen lassen sich nur Schritt für Schritt lösen. Die Politik verliert keineswegs ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie das offen anspricht - im Gegenteil.
Der Propaganda der rechten Populisten, die keine Politik, sondern Stimmungen machen wollen, stellen wir uns entgegen. Wir setzen uns für Lösungen ein. Wir packen die Probleme an.
Die SPD hat einen klaren Kurs, um unserer Land zusammenzuhalten. Wir sind die Stimme der Vernunft, die mit der Prämisse Zuversicht und Realismus die Mehrheit der Menschen mitnimmt in der Flüchtlingspolitik. Das ist unsere Aufgabe als soziale und demokratische Volkspartei.
Wir haben bereits im Oktober eine Verringerung der Flüchtlingszahlen gefordert und sind damals dafür hart kritisiert worden. Heute ist die Forderung längst Mainstream. Wenn wir in der jetzigen angespannten Lage den Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiären Schutz für zwei Jahre aussetzen, dann ist dies ein Gebot des Realismus, um das Tempo des Zuzugs zu bremsen. Wir achten dabei übrigens darauf, dass unbegleitete Minderjährige in dringenden Härtefällen mit ihren Eltern zusammengeführt werden können. Vor allem aber haben wir einen auf Dauer wirksamen Plan vorgelegt, wie das Ziel geringerer Flüchtlingszahlen erreicht werden kann. Heute ist unser damaliger Plan offizielle Regierungspolitik:
- Investitionen in die Nachbarstaaten Syriens, um die Lebensbedingungen der Menschen deutlich zu verbessern
- Sicherung der EU-Außengrenzen auch durch Zusammenarbeit mit der Türkei
- im Gegenzug Übernahme großer Kontingente von mehreren hunderttausend Flüchtlingen pro Jahr nach Europa und Deutschland
Ein solcher legaler Zugang für Flüchtlinge stoppt die Menschenhändler, macht den Weg zu uns sicher und ermöglicht Ordnung und Steuerung der Zuwanderung.
Zuversicht und Realismus, Fördern und Fordern gehören für die SPD immer zusammen. Wir wollen mehr Integration und Sprachausbildung anbieten und erwarten zugleich, dass die Flüchtlinge sie annehmen. Wer das nicht tut, dem müssen wir – wie es bei jedem inländischen Langzeitarbeitslosen der Fall ist - Sozialleistungen kürzen. Auch die Ausweisung und Abschiebung derjenigen, die keinen Schutz vor Verfolgung, Krieg und Bürgerkrieg benötigen, sind kein Widerspruch zur Willkommenskultur. Denn wir brauchen unsere ganze Kraft für die vielen Menschen, die Schutz benötigen. Wer die Probleme mit den kriminellen Flüchtlingen ignoriert, spielt mit dem Feuer. Denn er liefert den Hetzern von rechts die Munition für ihre widerwärtige Propaganda. Das war der Grund, warum die SPD bereits im letzten Jahr 3.000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei durchgesetzt hat. Im Übrigen sind für Sozialdemokraten öffentliche Sicherheit und soziale Sicherheit Zwillingsschwestern. Beides brauchen wir.
Deshalb muss 2016 das Jahr der Integration werden:
- Sprachausbildung für alle und nach Möglichkeit von der ersten Aufenthaltswoche an
- verpflichtende Integrations- und Sprachkurse - dann aber müssen wir auch genügend solcher Kurse anbieten. Da liegt übrigens die Verlogenheit von Julia Klöckner, die verpflichtende Integrationskurse fordert, aber zulässt, dass die CDU dafür die Finanzmittel blockiert
- die Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes – nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Langzeitarbeitslosen in Deutschland
- Wohnungsbau für alle, die bezahlbare Mieten brauchen
- Kitas und Ganztagsschulen, am besten verpflichtend und in jedem Fall kostenfrei
- die Sicherheit, eine Ausbildung auch zu Ende machen zu können und danach auch in Deutschland arbeiten zu dürfen
- Förderung von Vereinen z. B. im Sportbereich, wenn sie besondere Integrationsprogramme auflegen
Für uns Sozialdemokraten gilt jetzt: „Wir machen das“. Wir brauchen eine Deutschland-Allianz für sozialen Zusammenhalt und Integration. Hier liegt die eigentliche Bewährungsprobe für die Große Koalition. Denn eine Million Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen, dann aber die schwarze Null im Haushalt als großes Ziel vorgeben und nicht die gelungene Integration und Investitionen in soziales Wachstum der gesamten Gesellschaft – das wäre verlogen und würde die Koalition einer schweren Belastung aussetzen. Ich bin zuversichtlich, dass auch die Union diese Aufgabe erkennen wird.
Für die SPD muss auch in Zukunft Willy Brandts Empfehlung gelten: „Wir sind die Partei des donnernden Sowohl-als-auch.“ Brandt wusste, das Leben ist zu vielfältig für ein politisches Entweder-Oder. Es ist nicht der Mangel am Willen zur Eindeutigkeit, der diese Haltung der SPD prägt. Sondern das Wissen, dass das Leben kluge Kompromisse, Balance, Maß und Mitte braucht.