Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands trauert um Helmut Schmidt. Sie weiß sich in ihrer Trauer einig mit vielen Menschen, die den Verstorbenen schätzen, bewundern und verehren.
Wir verneigen uns vor der Lebensleistung von Helmut Schmidt. Er lebte für die Politik und die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger. Er hat sich um unser Land und seine Partei verdient gemacht.
Er hat sich immer dagegen gesträubt, ein Vorbild zu sein. In diesen Stunden des Abschieds wird uns allen jedoch sehr bewusst, wie viel wir ihm zu verdanken haben und was nachfolgende Generationen von ihm lernen können: Wille zur Übernahme politischer Verantwortung, Engagement für das öffentliche Wohl, wo nötig, unbeugsame Haltung auch wider den Zeitgeist, Unbeirrbarkeit in der Umsetzung von politischen Zielen. Leidenschaft in der Sache, aber Augenmaß und Gelassenheit im Handeln, Treue zu den als vernünftig erkannten ethischen Prinzipien und zum eigenen Gewissen.
Helmut Schmidt hat fast ein Jahrhundert gelebt, er war fast siebzig Jahre Sozialdemokrat.
Wegen seiner Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg fühlte er sich nach 1945 verpflichtet mit zu helfen, das demokratische Deutschland aufzubauen und übernahm unverzüglich politische Verantwortung. Er tat dies nach seinem Eintritt in die SPD in zahlreichen politischen Ämtern: als Bundestagsabgeordneter seit 1953, als Innensenator seiner Vaterstadt Hamburg, als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, als Verteidigungsminister, als Finanzminister und schließlich in der Nachfolge Willy Brandts als Bundeskanzler.
Seinen Ruf als besonders tatkräftiger Politiker begründete er mit seinem umsichtigen Einsatz bei der Hamburger Hochwasserkatastrophe im Februar 1962. Hier zeigten sich bereits die Eigenschaften, die ihn in späteren Jahren zu einem Ausnahmepolitiker reifen lassen sollten: Entschlossenheit und Führungsstärke. Das Fundament dieser Tugenden ruhte für Helmut Schmidt Zeit seines politischen Handelns auf seiner Vernunft. Ohne diese Anstrengung kann ein Politiker sein Handeln und dessen Folgen nicht mit seinem Gewissen verantworten – das war seine auch in späteren Jahren unumstößliche Haltung. Gute Absicht oder lautere Gesinnung allein kann keinen politisch Handelnden von seiner Verantwortung entlasten.
Das Amt des Bundeskanzlers übernahm Helmut Schmidt 1974 in der Zeit der Ölkrise und der weltweiten Wirtschaftsrezession. Zusammen mit dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d´Estaing begründete er deswegen die Tradition der Weltwirtschaftsgipfel. Die führenden Industrienationen sollten dort erstmals ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik abstimmen. Die sozialdemokratische Entspannungspolitik Willy Brandts führte er fort. Die Unterzeichnung der Verträge über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war ein wichtiger Schritt hin zu stabilem Frieden.
Mit der ihm eigenen Weitsicht, die stets auf genauen Analysen und fundiertem Wissen beruhte, hatte Helmut Schmidt bereits 1977 erkannt, dass eine strategische Dominanz der UdSSR durch neue Mittelstreckenwaffen den Frieden in Europa bedrohen würde. Daher stritt er voller Überzeugung für den Nato-Doppelbeschluss, wonach atomare Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden sollten, wenn vorangegangene Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion scheitern würden.
Wider den Zeitgeist – und auch wider Teile seiner Partei – hat er an dieser Konsequenz festgehalten. Verantwortlich handelnde Politiker – so seine feste Überzeugung – müssen das für notwendig Erkannte durchsetzen, selbst wenn sie damit Wahlen verlieren. Auch so verstand Helmut Schmidt „pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken“.
Auch innenpolitisch hatte es Helmut Schmidt mit neuen, schwierigen Herausforderungen zu tun: Infolge der Ölkrise wuchs auch in Deutschland die Arbeitslosigkeit. Stabilität und Vollbeschäftigung nannte er als Ziele seiner Arbeit. Er erinnerte schon damals nachdrücklich daran, dass umfassendere Sozialleistungen nur auf Kosten immer höherer Staatsverschuldung eingeführt werden konnten. Mit wohl begründeten, sachlichen Argumenten zeigte er das Machbare auf und verweigerte sich manch Wünschbarem zu Lasten kommender Generationen. Auch in diesem schwierigen Prozess der Neuorientierung hat die Partei es ihm nicht leicht gemacht, er es seiner SPD aber auch nicht.
Die Bekämpfung der Angst und Schrecken verbreitenden terroristischen Rote Armee Fraktion war eine weitere große Herausforderung in seiner Amtszeit als Bundeskanzler.
Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer war sicher die schwerste Prüfung, vor die Helmut Schmidt sich gestellt sah: Das war ein moralischer Konflikt, für den es keine einfache Lösung gab. Ihm und all denen, die er in seine Gewissensprüfung in dieser schier ausweglosen Situation der Flugzeugentführung mit einbezog, war dies bewusst. Entscheidungen mussten trotzdem schnell gefällt und verantwortet werden. Die Forderungen der Terroristen nicht zu erfüllen und den Staat damit nicht erpressbar zu machen, ist ihm schwer gefallen. Aber weil er seine Beweggründe mit bewegender Emotionalität öffentlich darlegte, verstanden die Menschen in Deutschland diese Entscheidung und trugen sie in ihrer Mehrheit mit.
Helmut Schmidt verkörperte im besten Sinne des Wortes die internationale Tradition der Sozialdemokratie. Als kosmopolitischer Hanseat dachte und handelte er weit über die Grenzen Deutschlands, ja Europas hinaus in weltpolitischen Zusammenhängen. Den um sich greifenden „Raubtierkapitalismus“ kritisierte er scharf zu einer Zeit, als andere ihn noch lobten. Ein Staat, so seine Überzeugung, der die Märkte gewähren lässt, wird seiner Aufgabe, Demokratie und Bürgerrechte zu sichern und damit den sozialen Ausgleich zu gewährleisten, nicht gerecht.
Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik blieb Helmut Schmidt ein gesuchter Ratgeber. Bis in sein hohes Alter verfeinerte und vertiefte er seine große rhetorische Begabung: Keiner konnte wie er erklären, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Viele aufmerksame Zuhörer fanden bei ihm zugleich Wissensvermittlung und Orientierung.
Wer das Glück hatte, Helmut Schmidt näher zu kennen, weiß auch um seine tiefe Verbundenheit mit der Musik und der Malerei und seine lebenslange Beschäftigung mit der Kunst. Auch dies – ebenso wie sein trockener, norddeutscher Humor – gehörten wesentlich zu seiner bewunderungswürdigen, großartigen Persönlichkeit hinzu.
Wir werden seine Urteilskraft, seine Weitsicht und seinen Rat vermissen. Wir trauern um Helmut Schmidt und sind stolz darauf, dass er einer von uns war.