„Wir vergasen dich wie die Antifa“ – solchen Anfeindungen sind Politiker*innen jeden Tag ausgesetzt. Besonders hart trifft es diejenigen, die sich vor Ort engagieren: Bürgermeister*innen, Mitglieder in Kommunalparlamenten und Ehrenamtliche. Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat einen Runden Tisch mit Betroffenen ins Leben gerufen. Wir haben mit ihm gesprochen.
Lia: Immer mehr Kommunalpolitikerinnen und -politiker werden bedroht, und zwar meistens von rechts. Das geht manchmal so weit, dass sie ihr Amt wegen der ständigen Anfeindungen niederlegen müssen. Daher gab es bei uns im Willy-Brandt-Haus einen Runden Tisch, wo Betroffene und Experten sich austauschen und besprechen konnten, was getan werden muss, um diese Ehrenamtlichen und Kommunalpolitiker*innen besser zu schützen. Ich bin jetzt hier beim Initiator des Runden Tisches, unserem Generalsekretär Lars Klingbeil. Lars, ich würde gern zu Beginn drei Zitate von gestern vorlesen.
„Wir vergasen dich wie die Antifa.“
„Mit dem anderen Kanakendreck in die Lager.“
Der angebliche Witz eines AfDler gegenüber einer jungen Kommunalpolitikerin, man solle sie nicht an den Galgen bringen, „sondern lieber steinigen“. Das sei unterhaltsamer für das Volk.
Von solchen Anfeindungen wurde gestern am Runden Tisch von den Betroffenen selbst berichtet. Was macht das mit dir?
Lars: Ich muss schon sagen, dass ich gestern während des Runden Tisches – wir haben drei Stunden insgesamt zusammengesessen, wir waren 35 Leute –, als Betroffene berichtet haben, lief es mir eiskalt den Rücken runter. Das war sehr emotional, bedrückend. Das hat sich am Ende alles sehr positiv aufgelöst, weil ich gemerkt habe, dass dieser Solidaritätsgedanke, der in der SPD ja da ist, wir unterstützen uns alle, wir helfen uns, der Wille, den Rechten nicht den Platz zu überlassen – das war am Ende das Entscheidende und das war auch die Hauptstimmung. Aber als wirklich konkret berichtet wurde, ist mir zwischendurch schlecht geworden. Wenn ich mir vorstelle: Eine junge Mutter, die in ihrem Briefkasten einen Galgen findet. Dann AfDler, die darüber Witze machen. Da waren Leute dabei, die kriegen zwei, drei Morddrohungen pro Woche, andere, die den Mut zusammengenommen haben, zur Polizei zu gehen, und dann wurde ihnen dort nicht geholfen. All das waren Beispiele, bei denen ich auch wirklich sage, ich kann denjenigen verstehen, der sagt, er zieht sich zurück und will nicht mehr, aber das darf eigentlich nicht passieren in einer Demokratie, dass Leute sagen, sie hören auf, weil sie von Rechten bedroht werden. Da haben wir dringend etwas zu tun, und das war für mich als Generalsekretär die Motivation zu sagen, jetzt müssen wir hier was machen, jetzt müssen wir aktiv werden.
Lia: Gab es für dich einen konkreten Anlass, warum du gesagt hast, jetzt muss dieser Runde Tisch her? Warum dachtest du, dieses Format ist das richtige dafür?
Lars: Ich habe mich schon länger gefragt, was man machen kann. Es gab viele Berichte in den letzten Monaten von Bürgermeistern, auch bei mir in Niedersachsen, da ist ein Bürgermeister zurückgetreten, wir hatten einen Landrat, der gemobbt wurde und der dann auch zurückgetreten ist, es gab andere Fälle. Was ganz konkret bei mir etwas ausgelöst hat, war der Fall meines Bundestagskollegen Karamba Diaby, auf dessen Büro geschossen wurde. Wo die Einschusslöcher plötzlich in seinem Büro drin waren. Klar, ich habe auch mein Bürgerbüro in der Innenstadt. Da fragst du dich auch, was kann da passieren? Da saßen die Mitarbeiter, die am nächsten Tag wieder in dieses Büro gegangen sind, was ich mutig finde, zu sagen, wir lassen uns hier nicht einschüchtern. Das war der Punkt, wo es einem selbst durch den Kopf geht und man denkt, du musst jetzt etwas machen, du musst Leute zusammenholen. Warum der Runde Tisch? Weil ich dieses Format mag. Ich wollte nicht einfach nur mit Leuten zusammensitzen und wir stellen alle nur fest, wie schlimm das ist, sondern ich wollte Experten aus der Praxis dabei haben, wir hatten Wissenschaftler mit dabei, jemanden von der Gewerkschaft der Polizei, bis hin zu Initiativen wie #ichbinhier gegen Hass im Internet, die alle berichten konnten, was man jetzt tut, und wir haben in den drei Stunden ganz konkret viele einzelne Maßnahmen gesammelt, wo wir jetzt aktiv werden wollen und wo wir was machen, mal in den Ministerien, mal als Partei, mal als Zivilgesellschaft. Ich wollte, dass etwas rauskommt, dass nicht nur beschrieben wird, wie schlimm es ist, sondern dass wir am Ende auch eine konkrete Idee haben, wie wir handeln können. Das geht an solchen Runden Tischen am besten.
Lia: Und was ist dabei rausgekommen? Was kann man jetzt tun?
Lars: Das sind sehr unterschiedliche Felder und fängt mit dem an, was ich als Generalsekretär anpacken kann und anpacken werde. Das fängt damit an, dass ich in den letzten Wochen in vielen einzelnen Gesprächen gemerkt habe, diejenigen, die Opfer von rechter Gewalt werden, die brauchen erst mal – ganz banal – eine zentrale Anlaufstelle, an die sie sich wenden können. Genau das will ich jetzt. Wenn man weiß, ich rufe im Willy-Brandt-Haus zum Beispiel in der Direktkommunikation an, dann weiß ich, da wird mir geholfen, da sitzen Leute, die haben einen Leitfaden liegen, die können mir sagen, wohin ich mich wenden kann und welches die nächsten Schritte sind, die ich gehen muss. Ich will, dass es sowohl die Anlaufstelle gibt als auch einen Leitfaden für jeden Unterbezirk, für jede Geschäftsstelle, die genau die nächsten drei Schritte sagen können, sodass ihnen unkompliziert und schnell geholfen wird.
Das Zweite ist, dass wir jetzt auch gucken werden, wie wir die Parteischule einbinden können. Wir haben eine sehr gute Parteischule, die zum Beispiel auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker ausbildet, aber da taucht die Auseinandersetzung mit Hass und Bedrohung überhaupt nicht auf. Das muss dann ganz klar mit integriert werden, dass unsere Leute darauf vorbereitet werden. Auch eine Sache, die wir im Europawahlkampf schon probiert habe: Es geht um Hass im Netz, wir hatten damals ein Digital-Debating-Team, wir hatten Leute, die in Diskussionen eingestiegen sind, wenn sie gemerkt haben, diese organisierten Hassnetzwerke werden aktiv, dann haben wir dagegengehalten. Die Mehrheit der Menschen ist positiv und sie sind gute Demokraten, sie wollen das Miteinander, müssen aber lauter werden.
Das letzte ist eine Idee, die gestern sehr deutlich kam: Sich in Berlin treffen ist das Eine und ist wirklich gut, aber wir müssen jetzt gucken über die Bundestagsabgeordneten, über die Bezirke, dass wir in der Fläche auf Initiativen zugehen, mit Sportvereinen und anderen, dass wir den Wert von Respekt, von Toleranz, von Dialog stark machen, und dazu werden wir eine Musterveranstaltung erarbeiten und die Gliederungen bitten. Das ist ein Feld, was ist als Generalsekretär machen kann. Das andere sind Sachen wie Hass im Internet, wie kann man die Plattformen in die Pflicht nehmen, es geht um die Frage, wie wir das Melderegister ändern können, was kann man noch aus dem Ausland lernen – es sind bestimmt dreißig einzelne Maßnahmen, die wir aufgeschrieben haben und denen wir uns konkret annehmen.
Lia: Ganz plump gefragt: Hass im Netz tut erst mal nicht physisch weh. Man könnte also sagen, so schlimm ist es nicht, darüber kann man auch hinwegsehen. Warum siehst du das anders?
Lars: Was man aushalten muss als Politikerin oder Politiker, ist, dass du Widerspruch im Netz bekommst, dass Leute eine andere Meinung haben. Teilweise haben wir das als Gesellschaft auch verlernt, dass man diskutiert und dass man kontrovers ist. Das gehört wirklich dazu und das hast du am Infostand auch. Aber das sind organisierte Netzwerke. Es gab neulich eine Berichterstattung im Spiegel zum Beispiel, die ein Facebook-Netzwerk offengelegt hat, von Leuten, die zig Profile haben, die es alle gar nicht gibt, die Profile und die Geschichten dahinter. Die junge Frau, die über mehrere Jahre sagt, ihre Schwester sei von einem Flüchtling vergewaltigt oder sogar ermordet worden. Diese Person ist unterwegs auf Facebook, geht Freundschaften ein, flirtet dort mit Männern, baut persönliche Beziehungen auf, und dann kommt am Ende raus, diese Person gibt es gar nicht. Und das als Leute, die massenhaft organisiert sind, mit ganz vielen Profilen – so wird Hass gesät. Über sehr authentische Personen, die es am Ende aber gar nicht gibt. Ich glaube, das macht schon etwas. Das hat gestern auch ein Bürgermeister beschrieben, ein ehemaliger Bürgermeister, muss man leider sagen, was es bedeutet, wenn du auf Sozialen Netzwerken über Tage massenhaft gemobbt wirst, gehasst wirst, wenn auch die Familie mit reingezogen wird und du am Ende ganz großen Druck hast. Natürlich sind das alles nur Buchstaben, aber die machen halt was mit Leuten. Das hat gestern ja auch jemand beschrieben: Wenn alle anderen sehen, du wirst auf deiner Facebook-Seite verhetzt, dann vielleicht Freunde Abstand nehmen, weil sie sich fragen, ist da eigentlich was dran an den ganzen Vorwürfen? Das macht auch wiederum was. Der Begriff der Vereinsamung ist gestern ganz oft gefallen. Dass es noch weniger Leute gibt, die sich zu einem bekennen. Das ist etwas, wo das Netz sehr krass dazu beiträgt, dass Menschen unter Druck geraten. Natürlich ist die Hauptdimension gewesen, dass der Hass aus dem Netz auf die Straße getragen wurde. Aber auch im Netz kann er ganz viel bewirken.
Lia: Das heißt, es ist aber auch ganz wichtig, dass Bekannte, Freunde, auch Zivilgesellschaften sagen, ich stehe immer noch an deiner Seite und finde es richtig, dass du etwas gegen Rechte sagst, auch wenn du dafür jetzt angefeindet wirst?
Lars: Ich glaube, das ist sogar megawichtig. Es soll jetzt nicht jammernd klingen, aber du hast schon viele in der Politik, die häufig einen auf den Deckel kriegen. Gerade in Zeiten, in denen man merkt, da gerät jemand unter Druck, da wird jemand angefeindet, dass man dem einfach mal auf die Schulter klopft und sagt, du bist ein toller Mensch und du machst einen guten Job. Das haben sich gestern ganz viele gewünscht. Diese Frage von Respekt und Anerkennung, Respekt auch für Leute, die ihren Kopf hinhalten für diese Gesellschaft, die mit Leidenschaft Zeit in ein Ehrenamt stecken. Das ist gestern deutlich geworden. Es findet viel auf dieser Ebene statt, Leuten auch mal zu sagen, toll, dass ihr euch engagiert. Und natürlich geht es auch darum, Stellung zu beziehen. Ich glaube, eine Zeit, in der Leute auf dem Sofa sitzen und sich angucken, was andere machen, gibt es gerade nicht mehr. Du musst dich als Bürger in diesem Land entscheiden, ob du duldest, dass die Rechten weitermarschieren, wie es gerade passiert, oder ob du Widerstand leistest – durch Worte, Widerstand durch Demos, Widerstand dadurch, dass man selbst in die Politik geht, dass man aktiv wird. Ich bin total froh, dass ich erlebe, dass gerade nach dem, was in Erfurt passiert ist mit der Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD, der CDU und FDP zusammen, dass über 900 Leute in die SPD eingetreten sind und sagen, wir machen jetzt mit, das ist auch eine Form von Widerstand gegen den Rechtsruck. Es ist klar, dass man nicht zusehen kann, nicht in der Beobachterperspektive bleiben kann. Jedem, dem diese Demokratie lieb ist, der will, dass dieses Land stabil bleibt, der muss sich jetzt in irgendeiner Art engagieren und positionieren.
Lia: Du hast selber, als du angefangen hast, dich in der Politik zu engagieren, Anfeindungen durch rechts erlebt.
Lars: Ja, wenn auch nicht vergleichbar mit dem, was heute passiert. Heute kriege ich auch vieles ab, vor allem meine Mitarbeiter*innen, die Anrufe und Mails bekommen. Ich habe damals gegen ein Nazi-Zentrum bei mir in der Lüneburger Heide demonstriert. Das war bei Celle, Jürgen Rieger, ein NPD-Funktionär. Da gab es große arische Feste, Sommersonnenwendfeiern, es tanzten welche in diesen Kostümen um Lagerfeuer herum und haben arische Lieder gesungen und Seminare durchgeführt. Wir haben dagegen demonstriert. Dann gab es diese Wehrmachtsausstellung, gegen die die NPD große Demos organisiert hat, ich war dann wiederum auf den Gegendemos und sehr aktiv in diesem ganzen Bereich. Irgendwann standen dann mal so drei Glatzen vor mir und der Eine hat gesagt, Klingbeil, wir kommen dich besuchen. Ich habe mich damals streichen lassen, damals ging das sehr einfach, heute ist das viel schwieriger geworden, aber ich wollte nicht, dass die wissen, wo ich wohne. Ich habe mich nicht einschüchtern lassen, aber das war ein Moment, der mir in den Wochen danach häufig durch den Kopf ging. Du guckst dreimal, wenn du abends rumläufst, was da so für Leute unterwegs sind, und das wissen die natürlich auch. Eigentlich hatte ich gehofft, dass man sich mit diesem ganzen Problem der Nazis in diesem Land nicht mehr auseinandersetzen muss. Da habe ich mich leider geirrt.
Lia: Was würdest du den Kommunalpolitiker*innen, die gestern da waren, aber auch denen, die anderen Parteien angehören und bedroht werden, mit auf den Weg geben wollen?
Lars: Ich hatte ja auch eine Runde mit den Generalsekretär*innen der anderen Parteien, bis auf die AfD, die gehört nicht mit an den Tisch, denn das sind die Brandstifter, und das ist etwas, das nicht allein mit der SPD zu tun hat. Selbst bei dem, was letzte Woche in Thüringen im Landtag passiert ist, was ich der CDU und FDP wirklich vorwerfe, es ist auch absolut zurückzuweisen und ich halte es für eine Schande, dass jetzt zum Beispiel FDP-Politiker in Thüringen angegriffen werden, das darf nicht sein. Gewalt darf niemals Mittel der Politik sein. Es muss immer das Argument sein, aber es darf niemals die Bedrohung oder die konkrete Attacke sein. Ich wünsche mir erst mal, dass alle es melden, wenn sie betroffen sind. Dass man es zeigt, wenn die Rechten versuchen, einen einzuschüchtern – und ich wünsche mir, dass alle, die nicht davon betroffen sind, anderen, die davon betroffen sind, ganz viel Stabilität und Unterstützung und Solidarität geben. Dass niemand sich zurückzieht aus unserer Demokratie. Es wäre das Schlimmste, wenn Menschen sagen, sie hören auf, weil sie Angst um sich, um ihre Familie, ihr Umfeld haben. Dann verliert die Demokratie, deswegen sollten wir alle aufstehen.
Mit Lars sprach Lia-Alexis Hildebrandt, sie arbeitet im Willy-Brandt-Haus in der Online-Kommunikation.