Inhaltsbereich
Teilhabegesetz

Selbstbestimmt leben
Ende Juni hat das Bundeskabinett das Bundesteilhabegesetz auf den Weg gebracht – eine der großen sozialpolitischen Reformen der SPD in dieser Legislaturperiode. Rund 16, 8 Millionen Deutsche leben mit einer Behinderung und noch mehr sind von einer Behinderung bedroht. Viele von ihnen erhalten in Zukunft mehr und bessere Möglichkeiten, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles: „Mit dem Gesetz machen wir Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft besser möglich.“
Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung sei beispielhaft für den Umgang miteinander in dieser Gesellschaft, betonte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley am Dienstag bei einer Inklusionskonferenz im Willy-Brandt-Haus in Berlin. „Wenn wir Inklusion und Teilhabe fordern, dann fordern wir im Grunde mehr Freiheit, mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit. Das sind unsere Werte. Die Werte der Sozialdemokratie.“
Gelebte Solidarität
Das Bundesteilhabegesetz verbessere die konkrete Lebenssituation vieler Menschen mit Behinderung. „Es ist gelebte Solidarität mit Menschen mit Behinderung“, so Barley.
Sozialministerin Andrea Nahles erklärte, man sei kurz davor, einen echten Systemwechsel zu schaffen. „Einen Systemwechsel von der Fürsorge zur Teilhabe – und auch ein Stück von der Politik für Menschen mit Behinderung zur Politik mit Menschen mit Behinderung.“ Denn genau das sei der Kern des Bundesteilhabegesetzes. Darum sei das Gesetz „eine der größten sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre“.
Weniger behindern - mehr möglich machen
Der Grundsatz dabei ist: Weniger behindern – mehr möglich machen. Menschen mit Behinderung sollen selbstbestimmter leben und besser am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Niemand soll mehr über ihren Kopf hinweg entscheiden können. Menschen mit Behinderung sollen lernen können, wo sie wollen. Sie sollen nicht fern städtischen oder dörflichen Lebens in Einrichtungen wohnen müssen, sondern frei wählen können. Auch wer aus einer Werkstatt in die normale Jobwelt wechseln will, soll das leichter können. Das sind Kernziele – und dafür brauchen Menschen mit Behinderung mehr Assistenten, rechtliche Möglichkeiten, konkrete Hilfe.
„Mt unserem Gesetz wird niemand schlechter gestellt, vielen wird es besser gehen“, fasste Sozialministerin Andrea Nahles zusammen.
Was ist geplant?
Die Unterstützung für Menschen mit wesentlicher Behinderung, die Eingliederungshilfe, wird neu geordnet. Die Leistungen, die zu besserer Teilhabe notwendig sind, werden aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe herausgelöst. Diese Unterstützung wird am individuellen Bedarf ausgerichtet: Was Menschen wegen ihrer Behinderung an Unterstützungsleistungen bekommen, ist dann nur noch davon abhängig, was sie brauchen und nicht länger davon, wie sie wohnen. Die bisher geltende Unterscheidung in ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen der Eingliederungshilfe entfällt.
Außerdem werden Einkommen und Vermögen künftig deutlich weniger herangezogen: Bereits 2017 sollen die Freibeträge für Erwerbseinkommen um bis zu 260 Euro monatlich erhöht, die Vermögensfreigrenze auf über 25.000 Euro angehoben werden. Wenn 2020 alle neuen Regeln gelten, werden Menschen mit Behinderung über bis zu 300 Euro monatlich mehr verfügen und rund 50.000 Euro ansparen können. Einkommen und Vermögen von Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern werden dann gar nicht mehr angerechnet.Das Bundesteilhabegesetz eröffnet Menschen mit Behinderung neue Wege in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Neben den Werkstätten für Menschen mit Behinderung werden künftig auch andere Anbieter zu denselben hohen Standards zugelassen. Mit dem „Budget für Arbeit“ erhalten Betriebe, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, eine sehr gute finanzielle Unterstützung. Menschen mit Behinderung sollen wie alle am Arbeitsleben teilhaben können. Dabei bleibt ihnen auch die Tür zurück in eine Werkstatt jederzeit offen.
Der Bund fördert die unabhängige Beratung von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen mit Hilfe eines bundesweiten Netzwerks von Beratungsstellen, in denen Menschen mit Behinderung auch von Menschen mit Behinderung beraten werden – Expertinnen und Experten in eigener Sache, die sich gut in die Situation des Beratungssuchenden hineinversetzen.
Künftig reicht ein einziger Reha-Antrag, um ein umfassendes Prüf- und Entscheidungsverfahren für alle Träger in Gang zu setzen, an dem Menschen mit Behinderung selbst beteiligt werden. Antragstellende müssen sich künftig nicht mehr einzeln mit verschiedenen Rehabilitationsträgern auseinandersetzen.
Die Arbeitnehmerrechte in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung werden gestärkt. Für besonders wichtige Angelegenheiten (z.B. Arbeitslohn) hat der Werkstattrat künftig ein Mitbestimmungsrecht. Ab Herbst 2017 sollen in den Werkstätten auch Frauenbeauftragte gewählt werden.
Fragen und Antworten
Der Entwurf ist bei einigen Verbänden für Menschen mit Behinderung auf Kritik gestoßen. Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Die Arbeitnehmerrechte in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung werden gestärkt. Für besonders wichtige Angelegenheiten (z.B. Arbeitslohn) hat der Werkstattrat künftig ein Mitbestimmungsrecht. Ab Herbst 2017 sollen in den Werkstätten auch Frauenbeauftragte gewählt werden.
Im Gesetzentwurf wird nicht mehr zwischen ambulant und stationär unterschieden. Die Leistungen zum Lebensunterhalt einschließlich des Wohnens sollen wie bei Menschen ohne Behinderung erbracht werden. Eine Auslegung, nach der Menschen regelmäßig aus Kostengründen in Heime gezwungen werden künnten, ist falsch.
Das Bundesteilhabegesetz ist darauf ausgerichtet, mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Bestimmte Leistungen für mehrere Personen gemeinschaftlich zu erbringen kann sinnvoll und wirtschaftlich sein. Doch entscheidend ist die Bedarfsdeckung für die einzelne Person. Wird eine gemeinschaftliche Leistung als unzumutbar angesehen, kann sie nicht gegen den Willen des betroffenen Menschen angewendet werden.

Menschen mit Behinderung sollen in Deutschland so selbstbestimmt wie möglich leben können. Per Gesetz will Sozialministerin Andrea Nahles deren Lage verbessern.
Drei Fragen an Andrea Nahles
SPD.de: Wie viele Menschen leben in Deutschland mit einer Behinderung?
Andrea Nahles: Rund 16,8 Millionen Menschen leben mit einer Behinderung oder sind von einer Behinderung bedroht. Davon haben 7,5 Millionen eine anerkannte Schwerbehinderung. Mehr als 700.000 Menschen erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe. Sie alle sind in ihrer Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigt.
Welche Verbesserungen bringt das Bundesteilhabegesetz?
Wir schaffen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe durch unabhängige Beratung, das Budget für Arbeit, die Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen und nicht zuletzt mit einer besseren Einkommens- und Vermögensanrechnung in der Eingliederungshilfe. Wir wollen mehr möglich machen, weniger behindern. Mit unserem Gesetz wird niemand schlechter gestellt, aber vielen wird es besser gehen.
Wurden die Betroffenen an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt?
Nur Menschen mit Behinderung selbst können vollständig auf Behinderungen aufmerksam machen und Wege zur Teilhabe aufzeigen. Der Grundsatz ,Nichts über uns ohne uns’ wurde groß geschrieben. Von Beginn an haben wir die Inhalte des Gesetzes in einer über ein Jahr tagenden Arbeitsgruppe mit allen Beteiligten, so natürlich auch mit Betroffenenvertreterinnen und –vertretern, erarbeitet und diskutiert.