„Schreiben, Nachdenken, Sprechen, das ist mein Leben“, sagt Ágnes Heller. Mit der Ungarin erhält eine der bedeutendsten Philosophinnen des 20. und 21. Jahrhunderts den diesjährigen Internationalen Willy-Brandt-Preis. Heller überlebte den Faschismus und litt unter dem Stalinismus. Heute übt sie scharfe Kritik an Ungarns Regierungschef Orbán.
Ágnes Heller wurde 1929 als Tochter jüdischer Eltern in Budapest geboren. Ihr Vater und zahlreiche Verwandte wurden von den Nazis in Konzentrationslagern ermordet. Mit sehr viel Glück entkamen sie und ihre Mutter dem Tod.
Nach 1945 machte sie sich während ihres Studiums als Schülerin des marxistischen Philosophen Georg Lukács einen Namen und trat in die kommunistische Partei ein. „Ich habe mich nach der Hölle des Nationalsozialismus nach Erlösung gesehnt, ganz einfach. Ich suchte Gemeinschaft und Einfachheit, also bin ich 1947 eingetreten. Ich war mir sicher, dass die Partei nur die schlechte Umsetzung einer guten Sache ist, musste aber bald darauf feststellen, dass der Parteialltag überhaupt nichts mit meinen Ideen zu tun hatte“, so Heller.
Hanna Arendts Nachfolgerin
Als sie scharf gegen den sowjetischen Einmarsch in der damaligen CSSR protestierte, verlor sie alle akademischen Positionen. Nach jahrzehntelangen Repressionen wanderte sie 1977 nach Australien aus. 1986 wurde sie Hannah Arendts Nachfolgerin auf deren Lehrstuhl für Philosophie in New York. An Amerika liebt sie, „dass sich jeder Amerikaner als Teil des Staates, als Bürger, als citizen versteht, das konnte ich bei fast allen meinen Studenten in New York beobachten. Und die Solidarität, die es zwischen den Menschen gibt. Die brauchen keinen Staat, die sind der Staat. Europa kann seine Migranten bis heute nicht wirklich integrieren. Es handelt sich höchstens um Assimilation. Das ist in den USA ganz anders. Da braucht niemand die Nationalsprache zu lernen, wenn er nicht will. Die Einwanderer müssen ihre nationalen Traditionen nicht aufgeben und sind trotzdem amerikanische Patrioten.“
Hellers Philosophie ist geprägt von realitätsnaher Soziologie und Anthropologie: Der Alltag des Menschen, seine Bedürfnisse, Probleme und Denkmuster prägen den Großteil ihrer rund 50 Werke. Seit den 90er Jahren spielt zudem die Ästhetik eine große Rolle.