Die SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel, Ralf Stegner und der Fraktionschef der NRW-SPD Norbert Römer bekräftigen die Forderung der SPD nach einem Solidarpakt für Wachstum und Integration, um Deutschland und Europa zusammenzuhalten. Dazu gehören auch offene Grenzen in Europa. Ein Namensbeitrag.
In den vergangenen Wintermonaten haben deutlich weniger Menschen Aufnahme in Deutschland gesucht. Menschen, die vor Krieg, Terror und Vertreibung geflohen sind. Dies ist ein wichtiges Signal, denn Deutschland kann alleine auf Dauer und in so kurzer Zeit nicht so viele Menschen wie im vergangenen Jahr aufnehmen und integrieren. Die Bilder an der mazedonischen Grenze haben uns alle aufgeschreckt. Neue Zäune, Tränengas und Wasserwerfer können nicht die Lösung sein. Wir sind überzeugt: Nur durch eine gemeinsame und solidarische europäische Flüchtlingspolitik können wir diese Dramen stoppen.
Und deshalb ist die europäische Strategie der Bundesregierung richtig. Angela Merkel und ihr Finanzminister müssen sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass europäische Solidarität heute auch deshalb so schwer zu erreichen ist, weil sie allzu lange eine harsche Austeritätspolitik in Europa durchgesetzt hat. Sie hat die Griechen in der Finanz- und die Italiener in der Lampedusakrise zu lange allein gelassen.
Eine europäische Lösung gelingt allerdings nicht über Nacht und nur unter einer Voraussetzung: Die Anstrengungen der Bundeskanzlerin und unseres Außenministers dürfen nicht länger aus den Reihen von CDU und CSU hintertrieben werden. Julia Klöckner und Guido Wolf fallen der Politik der eigenen Vorsitzenden in den Wahlkampfzelten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in den Rücken. Horst Seehofer sabotiert die deutsche Europapolitik in Budapest und Moskau. Eine tief zerstrittene Union ringt um parteipolitische Vorteile, wenn es eigentlich darum gehen muss, das Land zusammen zu halten und Menschen in Not zu helfen.
Nur Europa bietet eine Lösung
Deshalb und in aller Klarheit: So schwierig der Weg auch ist, wir Sozialdemokraten arbeiten für eine europäische Lösung dieser Krise. Wir werden verhindern, dass die unheilvolle Achse Szydło-Órban-Seehofer die Kontrolle über die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik bekommt. Solange die SPD regiert, wird es weder verfassungswidrige Obergrenzen noch eine Schließung der deutschen Grenzen geben. Diese wäre nur mit Stacheldraht, Tränengas oder Schlimmerem durchzusetzen. Wir Sozialdemokraten werden niemals zulassen, dass mitten in Europa Flüchtlingsfamilien an Grenzzäunen stranden und einem humanitären Desaster überlassen werden. Nur Europa bietet den richtigen Lösungsrahmen für diese Krise.
Doch neben allen Diskussionen um Fluchtursachen, Außengrenzen und Flüchtlingskontingenten müssen wir auch in unserem Land praktische Antworten auf drängende Fragen geben: zu Integration, Zusammenhalt, Wohlstand und Sicherheit. Deutschland hat 2015 in kürzester Zeit mehr als eine Million Menschen aufgenommen. Nicht alle werden bleiben, viele aber doch. Das stellt alle politisch Verantwortlichen vor eine große Herausforderung, für die es keinen fertigen Masterplan gibt. Eine politische Herkulesaufgabe, die aber auch Chancen bietet, wenn wir die Integration mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen Deutschlands verknüpfen!
Deutschland braucht Solidarprojekt
Unsere Antworten entscheiden über den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Deutschland braucht einen Integrationsplan und ein Solidarprojekt. Jetzt! Aus den Fehlern, aber auch aus den Erfolgen jahrzehntelanger Integrationspolitik wissen wir: Der Weg zur Integration ist lang, aber die Zeitspanne, um sie auf einen erfolgreichen Weg zu bringen, nur kurz. Integration ist ein Prozess, an dessen Ende Menschen unterschiedlicher Herkunft eine gemeinsame Zukunft wollen. Für all das ist die Kenntnis der deutschen Sprache eine wichtige Voraussetzung. Sprachkurse müssen von Anfang an zum Standardrepertoire unserer Maßnahmen gehören. Integration verlangt aber auch die gemeinsamen politischen Werte unseres Grundgesetzes: Menschenwürde, Meinung- und Religionsfreiheit, gleiche Rechte von Mann und Frau, Gewaltmonopol des Staates. Sie verlangt echte Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit.
Wir machen den Menschen nichts vor und sagen deutlich: Integration bedeutet große Anstrengungen und sie kostet Geld. Aber genau darin liegt auch die große Chance für unser Land. Die stärksten Volkswirtschaften der OECD-Welt sind fast ausschließlich Einwanderungsgesellschaften. Sie sind dynamischer, innovativer und erfolgreicher als alle Länder, die sich abschotten. Gut möglich, dass in zehn oder 15 Jahren die Einwanderung ein Geschenk der Geschichte genannt wird. Ein Geschenk, mit dessen Hilfe wir dem demografischen Wandel in unserer alternden Gesellschaft seine gefährlichen Spitzen nehmen konnten: durch zusätzliche Fachkräfte, neue wirtschaftliche Dynamik, nicht zuletzt durch eine modernisierte Infrastruktur, durch bessere öffentliche Dienstleistungen und durch die vorausschauenden Investitionen eines modernen Sozialstaates. Unser Ziel: Dass die Hoffnung auf sozialen Aufstieg wieder stärker wächst als die Angst vor dem Abstieg. Von Olof Palme haben wir gelernt: Politik heißt, etwas wollen. Wir wollen, dass die Menschen auf eine bessere Zukunft hoffen können, und die Angstmacher und Demokratiefeinde von Rechtsaußen keine Chance haben.
Investitionen sind notwendig
All das wird gelingen, wenn wir jetzt zu Investitionen bereit sind, die für den Erhalt unserer Wirtschaftskraft und für ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Sicherheit unabdingbar sind. Unser Bildungssystem muss modernisiert werden, denn wir verschwenden immer noch zu viele Talente durch zu wenig Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit. Wir brauchen mehr Lehrinnen und Lehrer, Kita-Plätze und Ganztagsschulen. Der milliardenschwere Investitionsrückstand unserer Infrastruktur muss aufgeholt und die Wohnungsnot in unseren Metropolregionen bekämpft werden. Der demografische Wandel, die Globalisierung oder die Digitalisierung unserer Ökonomie pausieren nicht, nur weil unsere Aufmerksamkeit derzeit der Flüchtlingsmigration gilt.
Kurzum: Die Flüchtlinge, die zu Einwanderern werden, sind nur der Anlass für Zukunftsinvestitionen, von denen alle Menschen in unserem Land profitieren werden. Sie sind der Anlass, nicht der Grund! Jeder Mensch in Deutschland muss die Möglichkeit erhalten, für sich Wohlstand und soziale Sicherheit zu erarbeiten. Jeder! Nicht nur Einheimische, nicht nur Einwanderer. Alle Menschen in unserem Land brauchen Bildung, Arbeit und bezahlbaren Wohnraum. Die SPD hat dafür in der Regierung bereits viel erreicht – den Mindestlohn, die Mietpreisbremse, eine gerechte Rentenreform und noch viel mehr. Doch wir bleiben nicht stehen. Wir wollen mehr Wohlstand für alle!
Wolfgang Schäuble glaubt an die reine Lehre
Genau an diesem Punkt stellen wir jetzt CDU und CSU. Es muss Schluss sein mit immer neuen Asylpaketen, Verschärfungen und einer Symbolpolitik, die darauf setzt, das unfreundliche Gesicht Deutschlands zu zeigen. Jetzt brauchen wir ein Integrationspaket. Das müssen wir notfalls auch gegen den Bundesfinanzminister durchsetzen. Wolfgang Schäuble glaubt, dass Askese die Voraussetzung für Wachstum sei, ganz gleich, welche Anforderungen die Zukunft an uns stellt. Er irrt. Was wachsen soll, darf nicht hungern. Gesunde Finanzen setzten Investitionen voraus. Das gilt für Unternehmen wie für Volkswirtschaften. Doch der Bundesfinanzminister glaubt an die reine Lehre aus den verstaubten Lehrbüchern der Neoklassik. Sein goldenes Kalb ist eine schwarze Null. Es ist diese wirtschaftsliberale Theorie, die uns in der Praxis teuer zu stehen kommt. Unsere Städte und Gemeinden sind die ersten, die die Folgen dieser ideologischen Finanzpolitik zu spüren bekommen – mit Kürzungen in der Daseinsvorsorge und damit weiteren Barrieren für Integration. Im schlechtesten Fall müssten wir in einigen Jahren feststellen, dass wir politisch versagt haben, weil wir 2016 Wachstumschancen verspielt und soziale Konflikte nicht befriedet haben. Kein vernünftiger Mensch würde dann die Entschuldigung akzeptieren, dafür sei aber die Staatsverschuldung auf 60 statt nur auf 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt worden.
Eisfeld der gescheiterten Integration
Deutschland steht am Scheideweg: Entweder wird die Flüchtlingsmigration mit den dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen in Bildung, Wohnraum und Infrastruktur für alle verbunden, oder unser Land wird in das Eisfeld einer gescheiterten Integrationspolitik treiben. Unsere Entscheidung steht: Wir wollen jetzt mit unserem Solidarprojekt unser Land zusammenhalten und für Integration und Wachstum sorgen. Wenn wir jetzt die Kraft für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen aufbringen, wird Deutschland in zehn Jahren ein stärkeres und sozial gerechteres Land sein, als es heute ist.
Der Artikel erschien zunächst als Gastbeitrag im "Tagesspiegel".