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Aktuelles

Bild: Sigmar Gabriel während seiner Rede
Thomas Köhler/ Photothek

Schulen müssen die Kathedralen des 21. Jahrhunderts sein –
und nicht die Banktürme oder Bürohochhäuser.

09.05.2016 | Sigmar Gabriel

Unser Fundament: Gerechtigkeit

Eine gerechte Gesellschaft ist seit mehr als 150 Jahren Ziel sozialdemokratischer Politik. Wird die SPD diesem Anspruch gerecht? Mit der „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ startete die Partei am Montag ihre Arbeit am Wahlprogramm für 2017.

Die Sozialdemokratie war in ihrer Geschichte immer Teil der Freiheits- und Gerechtigkeitsbewegungen im Land. Ob es dabei um Wahlrecht, um Schulen ohne Schulgeld oder das Verbot von Kinderarbeit ging. Ziel war immer: „gerechte Teilhabe am Haben aber auch am Sagen in der Gesellschaft“, so SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Beginn der „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ im Willy-Brandt-Haus. Es war immer ein Kampf für Respekt und Emanzipation.

Rede von Sigmar Gabriel auf der Wertekonferenz

Aufstieg durch Bildung

„Uns Sozialdemokraten war dabei immer klar: Den Versuch, ein gelungenes Leben zu führen, muss jeder Mensch selbst in die Hand nehmen. Weder eine Partei noch ein Staat kann das ersetzen. Aber Bedingungen dafür zu schaffen, dass jedes Leben prinzipiell gelingen kann, das war und ist die Aufgabe sozialdemokratischer Politik.“ Damit markierte Gabriel in der Gerechtigkeitsdebatte noch einmal die Messlatte sozialdemokratische Politik. Die Basis dafür: die Chance für alle auf sozialen Aufstieg durch Bildung – nicht vorbestimmt durch Einkommen der Eltern, Herkunft oder Geschlecht.

Ein universeller Anspruch. „Aber genau da haben wir in den westlichen Demokratien, das müssen wir wohl zugeben, versagt“, räumte Gabriel ein. „Denn die sogenannten Flüchtlingskrisen zeigen uns ja täglich, wie weit wir von der universellen Teilhabe und dem Anspruch auf Selbstbestimmung und Freiheit entfernt sind.“

Die SPD arbeite an konkreten sozialen Problemen, in Bund, Ländern und Kommunen, hob Gabriel hervor. Denn Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sei Protest nie genug. Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Mindestlohn, Kampf gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen, Mietpreisbremse, Milliardenprogramm für die Kommunen, abschlagfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, verantwortungsvolle Integrationspolitik für die Flüchtlinge im Land: all das sei sozialdemokratische Regierungsarbeit.

"Hamsterrad der Sozialreparatur"


„Soziale Reformpartei zu sein, das ist der Stolz der SPD.“ Gabriel verwies selbstkritisch jedoch auf eine Kehrseite: „Wer die kleinen Schritte geht, kann die Richtung aus den Augen verlieren. Wer das Machbare tut, kann das augenblicklich Machbare mit dem grundsätzlich Notwendigen verwechseln.“

Angesichts der neuen sozialen Frage wirke die SPD zu sehr als eine emotional ermüdete Partei im Hamsterrad der Sozialreparatur, so die Analyse Gabriels. Und da stecke auch „die größte Herausforderung für die deutsche aber wohl auch für die europäische und internationale Sozialdemokratie.“

Der Zorn über Ungerechtigkeit hat nicht nur in Deutschland zugenommen. „Europa droht zu zerbrechen an der Massenarbeitslosigkeit von jungen Leuten und an den antieuropäischen Protestbewegungen, die das hervorgerufen hat“, mahnte der Vizekanzler. Und er stellt Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssten: Wie kommt es, dass wachsender Wohlstand mit zunehmender Unsicherheit der Menschen einhergeht? Woher kommt diese Nervosität und Gereiztheit der Bürger, die sich im Internet Bahn bricht und von der rechte Parteien profitieren? Seine Vermutung: „Modernisierungsspannungen und der Innovationsstress haben alle entwickelten Gesellschaften erfasst.“

Kampf gegen die neuen Rechten


Hinzu kommen die internationalen Krisen und Kriege. „Mit dem Zuzug der Flüchtlinge wird uns dramatisch vor Augen geführt, dass wir die Aufgabe der Integration für alle Menschen bestehen müssen“, so die Einschätzung Gabriels. Es sei der große Betrug der Rechtspopulisten, dass sie den Menschen vormachten, die Flüchtlinge seien an der sozialen Frage Schuld. Ursachen und Wirkungen der Ungleichheit habe es vorher schon gegeben – die Situation habe sich durch den Zuzug aber zugespitzt.

Deshalb forderte Gabriel eine umfassende Gesellschaftspolitik der sozialen Integration – ein auf zehn Jahre angelegtes Programm der sozialen Investitionen. Das sei die wahre Entscheidungsfrage im Kampf gegen die neuen Rechten in Europa.

Gestaltungsanspruch in Europa – und darüber hinaus


„Wir brauchen also ein tiefergehendes Verständnis für das, was um uns herum passiert“, so der Appell des SPD-Vorsitzenden. Es gebe einen tiefen Vertrauensverlust, der die SPD ganz besonders hart treffe. „Für die Sozialdemokratie aber sind Gerechtigkeitsfragen konstitutiv.“

Deshalb stellt sich die SPD der Debatte. Der „Wertkongress Gerechtigkeit“ war dafür der Auftakt. Die SPD wird die Gerechtigkeitsfragen, die zugleich Glaubwürdigkeitsfragen an die SPD sind, in den nächsten Wochen und Monaten weiter öffentlich diskutieren.

Und Sigmar Gabriel machte deutlich, dass es ihm und der Partei um weit mehr als die Aussichten für die kommende Bundestagswahl gehe: „Es geht um den Gestaltungsanspruch für unsere Gesellschaften in Europa und darüber hinaus.“

Sigmar Gabriels Rede beim Wertekongress der SPD