Noch vor wenigen Jahren weckte der Arabische Frühling die Hoffnung, das Internet sei ein Motor für die Demokratie. Der Begriff der Facebook-Revolution machte schnell die Runde. Die sozialen Netzwerke schienen das Paradies für Gegenöffentlichkeit und die Mobilisierung demokratischer Proteste zu sein. Mittlerweile hat der Pessimismus vielerorts zugenommen. Ich bleibe aber Optimist. Denn die Digitalisierung bietet nach wie vor große Chancen, die Demokratie voranzubringen. In Zeiten von Fake News, Hate Speech und Cyberangriffen müssen wir aber aktiv dafür sorgen, dass diese Chancen auch genutzt werden.
Das Internet schafft uns ganz neue Möglichkeiten, über Politik zu diskutieren. Wir können uns mit vielen austauschen, Ideen einbringen, uns informieren, Wahlentscheidungen treffen und hinterfragen – unabhängig von Zeit und Ort. Dafür brauchen wir aber eine neue, demokratische Diskussionskultur. Denn im Netz steht alles gleichgewichtig nebeneinander: Fakten und Lügen, Wissen und Meinungen, Reales und Fiktives, Abgewogenes und Hasserfülltes. Alle müssen selbst beurteilen, gewichten und auch argumentieren.
Oft suchen wir einfach die Bestätigung unserer eigenen Meinung in einer Gruppe Gleichgesinnter. Im Internet müssen wir danach nicht lange suchen. Hinzukommt, dass Sprache und Argumentation sich in den Debatten oft enthemmen – denn für das, was man denkt und in die Welt hinausposaunt, muss man meistens nicht persönlich einstehen. Als Folge polarisiert sich der Diskurs im Netz immer mehr und ein gemeinsames Verständnis der Wirklichkeit wird gar nicht erst angestrebt. Aber ohne den Willen zur Verständigung wird politische Meinungsbildung in einer Demokratie unmöglich. Wenn sich eine Gesellschaft in Echokammern abschirmt, hat sie keine Orientierung mehr.
In den vielen Jahren der Merkel-Kanzlerschaft hat unser Land die politische Debatte verlernt. Wir haben die wichtigen Fragen der Zukunft nicht mehr diskutiert. Handlungsalternativen wurden oft als unmöglich dargestellt. Hinzu kommt: Da, wo Diskussionen in sozialen Netzwerken, Foren oder Kommentarspalten stattfinden, gelingt es rechtsextremen und rechtspopulistischen Gruppen und Einzelpersonen immer mehr, die Debatte zu bestimmen. Gegenstimmen werden beschimpft, verächtlich gemacht und so zum Schweigen gebracht. Hate Speech scheint zu sozialen Netzwerken zu gehören wie der Fernsehturm zu Berlin und oft scheint es, als fände ein respektvoller und wertschätzender demokratischer Diskurs im Netz gar nicht mehr statt. In den vergangenen Jahren haben rechte Ideologien weit mehr Einfluss auf die Debatten im Netz genommen als das ihrer politischen Relevanz gemessen an Wahlergebnissen entsprechen würde. Das ist ein zentraler Erfolg der Rechtspopulisten – und damit auch ein Versagen der demokratischen Kräfte.
Rechte Beiträge mit ihrer Mischung aus aufgeladenen Themen, künstlich aufgeblähter Aktivität und einem über lange Zeit gewachsenen Bot-Netzwerk bestimmen oftmals den Diskurs in den sozialen Netzwerken. Wer am lautesten schreit, hat zwar auch im Netz nicht immer recht – aber zumindest die Aufmerksamkeit. Die sozialen Netzwerke belohnen populistische Ansprache mehr als Sachlichkeit. Damit geht der Wert des Ausgleichs, des Kompromisses, des Miteinanders verloren. Alles scheint nur noch schwarz-weiß, 1 oder 0. Populismus ist immer laut. Auch deshalb sind radikale Politiker auf Facebook sichtbarer als Politiker der Mitte. Wenn sich aber die Hass-Rhetorik im Netz normalisiert und Strategien der Einschüchterungen ausbreiten, droht die Gefahr, dass sich niemand mehr gegen den Hass ausspricht. Die lautstarke Minderheit hätte ihr Ziel dann erreicht.
Deshalb müssen wir uns fragen: Wie kann es der demokratischen Zivilgesellschaft gelingen, ihr Engagement auf den digitalen Raum auszudehnen und so das Internet zurückzuerobern? Wie können demokratische Kräfte das Netz wirksamer für sich nutzen? Wie kann Hass im Netz bekämpft werden – zivilgesellschaftlich und rechtstaatlich?
Ich denke, wir müssen vier Dinge tun, um das Netz wieder zu einem Ort zu machen, der demokratische Werte stärkt:
1. Fit machen für Debatte
Demokratie ist manchmal anstrengend, Demokratie braucht Zeit und sie braucht Kompromisse. Und: Demokratie muss man lernen. Diese Vermittlung geschieht an unseren Schulen aber viel zu wenig. Wie Demokratie in Schulen vermittelt und gelebt werden kann, sollte bei der Ausbildung von Lehrern deshalb einen viel größeren Stellenwert bekommen. Demokratie muss besser in Lehrplänen, aber auch in Leitbildern von Schulen und Bildungseinrichtungen verankert werden. Es geht um ein Werben für politische Kultur, für das Miteinander und eine offene Debatte, die den eigenen Geltungsanspruch nicht an erste Stelle setzt. Debatten müssen wieder bei der Akzeptanz starten, dass der andere mit seiner Sichtweise Recht haben könnte. Ein spezieller Fokus liegt dabei natürlich auf Online-Diskussionen: In Zeiten, in denen massive Informationsströme nach Vereinfachung schreien, müssen wir alle befähigen, Quellen einzuordnen, zu prüfen und zu bewerten.
2. Filterblasen aufbrechen
Wir müssen Räume schaffen, in denen wir mit kontroversen Meinungen konfrontiert werden. Angesichts der Bedeutung, die den sozialen Netzwerken und den Plattformen inzwischen für die gesellschaftliche und öffentliche Kommunikation und auch für die Meinungsbildung zukommt, stellt sich die Frage, wie die Vielfalt hier sichergestellt werden kann. Journalistisch-redaktionelle Inhalte müssen auch in Zukunft diskriminierungsfrei im Netz und auch auf den Plattformen sichtbar sein. Deshalb ist es richtig, in ein zeitgemäßes Medienrecht „Must-be- found“-Regelungen für journalistisch-redaktionelle Inhalte auf den Plattformen zu integrieren. Darüber hinaus müssen wir überlegen, ob es eine weitergehende Privilegierung von Anbietern von journalistisch-redaktionellen Inhalten bedarf, um die Vielfalt auf Social-Media-Plattformen sicherzustellen. Wichtig ist es, Filterblasen aufzubrechen.
3. Engagement fördern
Wir alle müssen raus aus unserer Komfortzone! Falschmeldungen müssen, wo immer sie auftauchen, richtiggestellt werden und Hate-Speech darf nicht unwidersprochen bleiben. Hier ist jeder einzelne gefragt. Es braucht aber auch Vernetzung und Strukturen, damit das Engagement nicht verpufft. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Facebook-Gruppe #IchBinHier. Ihre Mitglieder wollen Diskussionen auf Facebook wieder in geregelte Bahnen lenken. Ihre eigenen Kommentare markieren sie mit dem Hashtag #IchBinHier. Das Ziel der Initiative: Alle sollen an Diskussionen im Netz teilnehmen können, ohne dass sie beleidigt oder Ziel von Hass werden. Gerade solche Aktionen sollten in Zukunft verstärkt öffentliche Förderung erhalten. Das Programm "Demokratie leben" ist hierbei schon ein sehr guter Anfang. Wir müssen aber von Modellprojekten zu einer strukturellen, langfristigen Förderung kommen. Deshalb brauchen wir endlich ein Demokratiefördergesetz, das genau das leistet.
4. Klare Grenzen ziehen
Meinungsfreiheit stößt an ihre Grenzen – wo sie beleidigt, verleumdet, hetzt oder falsche Tatsachen behauptet. Wo diese Grenze zu ziehen ist und wer das tun darf, ist umstritten. Das zeigte auch die Diskussion um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Aber selbst die Plattformbetreiber geben mittlerweile zu, dass mit dem Gesetz positive Verbesserungen angestoßen worden sind. Zumindest YouTube und Twitter haben benutzerfreundliche Lösungen entwickelt, damit Falschmeldungen und Hate Speech gemeldet und gelöscht werden können. Von Zensur und dem befürchteten Overblocking ist nicht viel zu sehen. Da wo Fehlentscheidungen passieren, müssen wir die Nutzerrechte stärken, damit diese Entscheidungen rückgängig gemacht werden. Aber: Nur Löschen reicht bei strafbaren Inhalten nicht. Was wir zusätzlich brauchen, ist eine effektive Strafverfolgung. In Nordrhein-Westfalen wurde deshalb das Modellprojekt „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet“ ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden, Medienhäusern und Medienaufsicht gegen strafrechtlich relevante Hassreden im Netz zu verbessern. Die Erfahrungen dieses Projektes müssen wir auswerten und die Erfolge in ganz Deutschland zur Anwendung bringen.
Das Internet ist ein freier, aber kein rechtsfreier Raum. Allen muss klar sein, dass kein Recht auf Lüge und schon gar nicht auf Beleidigung existiert. Leider ist es durch die unüberschaubare Anzahl von Nutzern und Postings kaum möglich, zu garantieren, dass alle Verstöße erkannt werden und auch Konsequenzen haben. Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat beruht auch hier zum Teil auf Voraussetzungen, die er selbst nicht rechtlich garantieren kann. Deshalb bleibt er immer auf die Entschlossenheit von uns Bürgerinnen und Bürgern angewiesen, Fake News als Lügen zu entlarven und Hate Speech zu ächten. Nur so können wir eine demokratische und respektvolle Diskussionskultur im Netz zurückerkämpfen.