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Aktuelles

Foto: Lars Klingbeil
Dirk Bleicker
19.10.2022 | Rede von Lars Klingbeil

Zeitenwende: Sicherheit und Frieden in Europa

SPD-Chef Lars Klingbeil hat sich dafür ausgesprochen, die Haltung zu Russland grundsätzlich zu ändern. „Die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann; dieser Satz hat keinen Bestand mehr“, sagte Klingbeil am Dienstag bei einer Parteiveranstaltung in Berlin. Wir dokumentierten die Rede im Wortlaut.

Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende. Das verändert Vieles sehr grundlegend. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist eine Zäsur für die Friedensordnung in Europa, eine Zäsur für die internationale Ordnung. Und auch eine Zäsur für die deutsche Russlandpolitik.

Die Realität der Zeitenwende anzuerkennen, heißt nicht, dass wir unsere Werte über Bord werfen. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, das Streben nach Frieden – das sind und das bleiben die Ziele sozialdemokratischer Außenpolitik. Gesine Schwan hat das gerade ausgeführt. Diese Werte haben auch die Ostpolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt geprägt, auf die wir als Sozialdemokratie zurecht bis heute stolz sein können.

Wir haben im März den 100. Geburtstag von Egon Bahr gefeiert. Anfang dieses Monats jährte sich der Todestag von Willy Brandt zum 30. Mal. Ihre Verdienste für Frieden und Sicherheit in Europa sind ungebrochen. Wie Bernd Rother in seinem Impuls gezeigt hat, können wir heute viel von der erfolgreichen Außenpolitik von Brandt, Bahr und Schmidt lernen.

Egon Bahr stellte an den Anfang des Handelns immer das Anerkennen der Realität. Die Realität heute ist die Zeitenwende. Definiert durch den 24. Februar und den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine. Der 24. Februar erfordert entschiedenes und konsequentes Handeln. Das zeigt die Bundesregierung in diesen Tagen:

Wir unterstützen die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung. Dafür haben wir mit einem langjährigen Grundsatz gebrochen, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Deutschland ist unter den Top drei Unterstützern der Ukraine. Neben schwerer Artillerie liefern wir auch das modernste Luftabwehrsystem Iris-T. Die militärischen Erfolge der Ukraine sind sichtbar, unsere Unterstützung wird weitergehen.

  • Wir investieren in unsere eigene Sicherheit. Das 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr ist notwendig, damit sie ihre Verantwortung für die Landes- und Bündnisverteidigung ernstnehmen kann. Der NATO-Beitritt von Schweden und Finnland ist richtig, genauso wie eine verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.

  • Wir stellen Europa als geopolitischen Akteur auf. Der Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine und Moldau, die Perspektive für Georgien, sind richtig. Der Start der Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien ist richtig. Und es ist wichtig, dass wir diese Beitrittsverhandlungen politisch auch vorantreiben.

  • Wir bauen neue strategische Partnerschaften auf, um den Multilateralismus zu stärken. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz Staaten wie Indien, Indonesien, Senegal oder Argentinien zum G7-Gipfel eingeladen hat, ist ein wichtiges Zeichen. Diplomatie, Entwicklungspolitik und Handelsabkommen werden für unsere strategischen Partnerschaften eine hohe Bedeutung haben. Das alles sind Reaktionen auf die Realität der Zeitenwende. Das sind teils grundlegende Veränderungen unserer Politik. Sie sind weitreichend, aber notwendig.

Wladimir Putin will, dass die Ukraine von der Landkarte verschwindet. Damit bricht er nicht nur das Völkerrecht, sondern auch sämtliche Verträge und Grundsätze, die im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mühsam verhandelt und die nach dem Ende des Kalten Krieges in der Charta von Paris festgehalten wurden. Die territoriale Integrität hat für Putin keinen Wert. Die Unverrückbarkeit von Grenzen hat für Putin keinen Wert. Die politische Souveränität eines Staates hat für Putin keinen Wert. Und das Gewaltverbot hat für Putin keinen Wert.

Für mich als Sozialdemokrat ist immer klar: Internationales Recht gilt. Die Charta der Vereinten Nationen gilt. Die territoriale Integrität, die politische Souveränität, die Unverrückbarkeit von Grenzen, das Gewaltverbot – all das gilt. Es gilt die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren.
Und doch wird deutlich: Unsere Mittel und Wege für diese Überzeugungen einzutreten, waren nicht ausreichend.

Es kann und wird mit Russland keine Rückkehr zum Status Quo vor dem Krieg gegen die Ukraine geben. Die Welt vor dem 24. Februar gibt es nicht mehr. Wir tragen jetzt die Verantwortung, das Neue zu gestalten. Und diese Verantwortung geht weit über die militärische Auseinandersetzung hinaus.

Realität anzuerkennen, heißt für mich auch, sich kritisch zu hinterfragen. In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren einen von weiten Teilen der Gesellschaft getragenen Konsens, dass enge Beziehungen zu Russland gut für uns sind. Gut für Russland sind. Gut für ein friedliches Europa sind. Das war oft die Grundlage unseres Handelns. Dabei haben wir allerdings verkannt, dass die Rahmenbedingungen dieser Beziehung längst verändert wurden. Das russische Regime um Putin war immer repressiver und aggressiver, ja revisionistisch geworden. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten haben wir das Trennende übersehen. Das war ein Fehler.

Ich will, dass wir aus diesen Fehlern lernen und die richtigen Konsequenzen ziehen. Als Vorsitzender trage ich dafür bei der SPD die Verantwortung. Ich weiß, dass diese Debatten gerade heikel sind. Für die einen gehen viele Schritte nicht weit genug. Andere sind jetzt schon überfordert von der Schnelligkeit und Anzahl der Schritte, die wir gehen. Für manche mag es falsch sein, in Zeiten, in denen Russland den Krieg gerade wieder intensiviert, über Fehler und Zukunft unserer Politik nachzudenken. Andere fordern gerade diese grundsätzlichen Debatten ein.

Ich möchte, dass wir die Kraft haben, diese Diskussion zu führen. Die Kommission Internationale Politik ist dafür der richtige Ort. Derzeit erarbeiten wir in der Kommission eine grundlegende Neupositionierung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik. 2023 wird diese Debatte in einen Parteitagsbeschluss münden. Dafür bündeln wir die geballte Expertise unserer Partei, gehen in den Austausch mit nationalen und internationalen Expertinnen und Experten und unseren Mitgliedern. Der Grundwertekommission und dem Geschichtsforum bin ich sehr dankbar, dass wir heute mit der gemeinsamen Veranstaltung dazu einen Betrag leisten.

Ich bin stolz auf die Politik von Willy Brandt. Und ich werde als Vorsitzender nicht zulassen, dass sein Erbe beschädigt wird. Eher im Gegenteil: Wir können in diesen Tagen von Brandt lernen. Seine Außenpolitik war ein erfolgreicher Dreiklang aus erstens Diplomatie, zweitens klarer Haltung mit Blick auf Menschenrechte und internationales Recht – darunter das klare Bekenntnis zur Unverrückbarkeit von Grenzen – und drittens der eigenen militärischen Stärke. Letzteres vergessen wir häufig. Aber es war Willy Brandt, der 1967 als Außenminister die NATO-Doktrin der Kombination von Annäherung und Abschreckung durch militärische Stärke verhandelte.

Helmut Schmidt hat diese Politik fortgeführt. Sowohl bei Brandt, als auch bei Schmidt lag der Verteidigungshaushalt bei über drei Prozent unserer Wirtschaftskraft. Ihre Politik war nie unumstritten. Wir erinnern uns an die hitzigen Debatten rund um den NATO- Doppelbeschluss.

Am Ende öffnete sich durch diese Stärke aber ein Fenster für erfolgreiche Abrüstungsgespräche und die Unterzeichnung des INF- Vertrags 1987. Die sozialdemokratische Ostpolitik war wegweisend für Frieden und Sicherheit in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges. Sie war wegweisend für die Wiedervereinigung. Und sie war wegweisend für die Osterweiterung der EU.

Aber – und auch das gehört zu einer kritischen Reflektion dazu – sie war keinesfalls fehlerfrei. So war es eine Fehleinschätzung, zivilgesellschaftliche Gruppen wie etwa die Solidarnosc in Polen, nicht in ihrem Kampf gegen die repressiven Regime zu unterstützen. Auch das sollte uns eine Lehre sein.

So verstehe ich übrigens auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an belarussische, russische und ukrainische Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer in diesem Jahr: Das ist eine Erinnerung an die Kraft der Zivilgesellschaft für Veränderung. Und es ist eine Erinnerung an unsere Verantwortung, Zivilgesellschaft in diesem Kampf zu unterstützen.

Das gelingt aber nur, wenn wir politische Realität anerkennen. Das ist uns im Umgang mit Russland nicht gelungen.

I. Fehler im Umgang mit Russland

Wir haben geglaubt, eine gute Beziehung mit Russland folge nach dem Ende des Kalten Krieges einer politischen Kontinuität: Auch, wenn es hier und da mal ruckelte, würde es immer besser werden. Dadurch sind blinde Flecken in unserem Umgang mit Russland entstanden. Und das hat zu Fehlern im Umgang mit Russland geführt.

Lassen Sie mich kurz auf vier Fehleinschätzungen eingehen:

Erstens: Deutschland und Russland verbindet eine besondere Geschichte. Wir haben daran geglaubt, dass diese Geschichte uns gegenseitig verpflichtet. Dabei haben wir verkannt, dass Putin das nicht so sieht. Dass Putin anfing, die Geschichtsschreibung zu manipulieren und zu instrumentalisieren, für die autokratische Konsolidierung nach innen und interessengeleitete Großmachtpolitik nach außen. Wir haben dabei an einem Bild von Russland festgehalten, das von der Vergangenheit geprägt war aber schon längst nicht mehr die Gegenwart zeigte.

Persönliche Freundschaften halte ich in der Politik übrigens für bereichernd. Erst recht in der internationalen Politik. Freundschaften sollten allerdings nie den Blick auf die Realität versperren.

Zweitens: Wandel durch Annäherung war das bestimmende Paradigma. Bestimmte Grundannahmen unserer Russlandpolitik haben wir nicht auf ihren Realitätsgehalt geprüft und kritisch reflektiert. Obwohl Russland innenpolitisch repressiver und außenpolitisch aggressiver wurde und sich aus gemeinsamen Institutionen wie dem Europarat und der OSZE immer mehr zurückgezogen hat.

Auch immer engere wirtschaftliche Verflechtungen haben nicht zu einer stabileren europäischen Ordnung beigetragen. Im Fall des Angriffs auf die Ukraine hatten und haben die Interessen der russischen Wirtschaft kein Gewicht auf die brutalen Entscheidungen von Wladimir Putin. Wandel-durch-Handel ohne politische Agenda funktioniert nicht.

Das gilt besonders für die dritte Fehleinschätzung: Deutschland hat sich mit seiner Energiepolitik abhängig von Russland gemacht. Ja, davon haben wir wirtschaftlich über viele Jahre profitiert. Aber diesen Erfolg haben wir uns teuer erkauft. Wir haben uns verletzlich gemacht. Der einseitige Aufbau der Importinfrastruktur mit Russland, der Mangel an Diversifizierung. Die politische Blockade von LNG- Terminals, der schleppende Ausbau Erneuerbarer Energien. Diese Politik war einseitig. Sie war nicht nachhaltig. Wir haben die sicherheitspolitische Dimension unserer Energieversorgung verkannt. Eine solch einseitige Abhängigkeit darf nie wieder passieren.

Viertens haben wir die Interessen und Perspektiven unser ost- und mitteleuropäischen Partner nicht ausreichend berücksichtigt. Das hat zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Gerade in den letzten Jahren, als die russische Politik aggressiver wurde, hätten wir mehr auf unsere Partner hören müssen.
Es gibt sicher weitere blinde Flecken, Fehler die gemacht wurden. Mir ist wichtig, dass wir sie benennen. Vor allem aber ist mir wichtig, dass wir daraus die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen.

II. Der Blick nach vorne

a. Umgang mit Russland

Natürlich ist es gerade zu früh, eine grundsätzliche Politik gegenüber Russland auszubuchstabieren. Gerade geht es darum, die Ukraine im täglichen Kampf gegen den brutalen Krieg Russlands zu unterstützen und die Position der Ukraine für Verhandlungen zu stärken. Die Staats- und Regierungschefs der G7 haben Präsident Selenskyj gerade in der vergangenen Woche den Rücken für mögliche Friedensverhandlungen gestärkt.

Ich werde heute also keine Leitlinien für eine neue Russlandpolitik der SPD vorstellen. Übrigens auch nicht, weil ich es für falsch hielte, diese Debatte nicht grundlegend mit unseren europäischen Partnern zu führen, bevor wir Entscheidungen treffen.

Klar ist für mich allerdings: Die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann; dieser Satz hat keinen Bestand mehr.

Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren. Russland hat sich aus dem System der gemeinsamen Sicherheit und der gemeinsamen Werteorientierung verabschiedet.

Wir müssen massiv in die eigene Sicherheit investieren. Die eigene Stärke ist die Grundvoraussetzung für Annäherung. Unabhängig vom Verlauf des Krieges muss Europa in Zukunft zu jeder Zeit in der Lage sein, sich zu verteidigen.

Auch wenn wir langfristig am Ziel einer gemeinsamen Sicherheitsordnung festhalten sollten: Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, kann Russland kein seriöser Partner sein. Erst dann kann es auch ein gemeinsames Vorgehen bei Klimafragen oder bei Abrüstung geben. Die Sanktionen gegenüber Russland werden so lange Bestand haben, bis der letzte russische Soldat die Ukraine verlässt.

Und wir werden genau beobachten, wie sich die russische Zivilgesellschaft entwickelt. Noch ist die Unterstützung für den Krieg groß, aber mit der Mobilmachung hat Putin den Deal mit der Gesellschaft aufgekündigt, den Krieg aus dem Alltagsleben der Menschen rauszuhalten. Die russische Gesellschaft wird allmählich aus dem Tiefschlaf gerissen. Dort wo sich kritische Stimmen auftun, müssen sie von uns unterstützt werden.

b. Starkes Europa

Die vielleicht wichtigste Antwort, die wir auf Putins brutalen Angriffskrieg geben müssen, ist ein starkes und souveränes Europa. Die Europäische Integration hat für die Staaten des ehemaligen Ostblocks das Versprechen nach Sicherheit, Wohlstand und Freiheit im Großen und Ganzen eingelöst. Aber wir müssen weitergehen.

Ich habe mich am vergangenen Freitag mit Vertreterinnen und Vertretern der ukrainischen sozialdemokratischen Plattform getroffen. Eine Aussage ihres Vorsitzenden Bohdan Ferens hat mich besonders bewegt. Er sagte: „Im Krieg ist Morgen immer von großer Unsicherheit geprägt. Aber die Perspektive, Teil der Europäischen Union zu werden, gibt den Menschen in der Ukraine Hoffnung für die Zukunft.“

Ich habe mich sehr früh für eine Beitrittsperspektive für die Ukraine ausgesprochen. Weil ich davon überzeugt bin, dass es richtig ist. Die EU muss geopolitisch denken und handeln. Die einstimmige Entscheidung, der Ukraine und Moldau den Kandidatenstatus auszusprechen und Georgien die Perspektive zu eröffnen, ist ein starkes Zeichen. Ebenso der baldige Start von Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien. Darüber habe ich am vergangenen Wochenende auch mit dem albanischen Premierminister Edi Rama und dem Vorsitzenden der georgischen Regierungspartei Irakli Kobachidse in Berlin gesprochen. Deutschland muss als starkes Land in Europa diese Beitrittsverhandlungen vorantreiben.

Das ist nicht mit allen Partnern immer ganz einfach, insbesondere, wenn nebenbei Konflikte um Rechtsstaatlichkeit die Zusammenarbeit herausfordern. Daher ist es mir wichtig, dass wir diese Konflikte nicht miteinander vermengen. Wenn es um die Sicherheit in Europa geht, müssen wir klar an der Seite unserer Partner stehen. Wenn es um die Frage von Rechtstaatlichkeit oder Pressefreiheit geht, ist unsere Haltung ebenso klar. Ich bin fest davon überzeugt: Wir müssen den nächsten Schritt gehen und die Demokratisierung und Resilienz Europas vorantreiben. Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Prager Rede hierzu viele richtige Punkte formuliert.

Wir müssen die EU aufnahmefähig machen. Eine EU der 30 plus Mitgliedstaaten muss handlungs- und entscheidungsfähig bleiben, etwa mit einer Reform hin zu Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheits- oder der Fiskalpolitik. Und die EU muss in der Lage sein, die eigenen Grundsätze zu verteidigen, etwa mit einem stärkeren Mechanismus zur Wahrung der Rechtstaatlichkeit.

Zur Resilienz gehört auch die Unabhängigkeit in der Energiepolitik und der Kampf gegen die Klimakrise. Wie wichtig das auch für unsere eigene Sicherheit ist, zeigt nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine. Die Einbindung in den European Green Deal wäre auch für die weiteren Beitrittskandidaten ein attraktives Angebot, ihre Resilienz zu stärken.

c. Internationale Ordnung

Generell hat das Thema Energieunabhängigkeit eine enorme Bedeutung, egal mit wem ich spreche: Mit dem spanischen Premierminister Pedro Sanchez, mit meiner schwedischen Amtskollegin Magdalena Andersson, mit dem brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Lula, mit der neuen Regierung in Chile oder mit dem Ministerpräsidenten der Mongolei: Für alle ist eine nachhaltige Energieversorgung ein zentrales Thema. Mit Blick auf energiepolitische Souveränität, mit Blick auf Innovationen, neue Industrien und gute Jobs. Und für alle ist die Europäische Union dabei der zentrale Partner.

Ich sehe ein großes Potential darin, dass wir auf dieser Grundlage neue strategische Partnerschaften aufbauen und damit auch eine Führungsrolle im Kampf gegen die Klimakrise einnehmen können. Wir haben zu lange vernachlässigt, solche Partnerschaften, basierend auf gemeinsamen Interessen mit Ländern außerhalb des klassischen westlichen Bündnisses, aufzubauen.

Im Gegensatz zu Putin, der etwa über die BRICS-Initiative wichtigen Schwellenländern eine Stimme gegeben hat. Das trägt Früchte. Wir erleben, dass viele Staaten der Welt unsere Sanktionen gegenüber Russland nicht unterstützen, weil Russland für sie ein verlässlicher Partner war. Weil sie sich vom „Westen“ nicht ernst genommen fühlten. Putin will eine neue Blockbildung, das dürfen wir nicht zulassen.

Es führt zu nichts, wenn wir uns moralisch über andere Länder erheben und ihnen sagen, auf welcher Seite sie zu stehen haben.

Es ist unsere Aufgabe als Führungsmacht, gemeinsame Interessen auf internationaler Ebene immer wieder herauszuarbeiten. Auch das kann einen Einfluss auf den Verlauf des Kriegs in der Ukraine haben.

Dieser Krieg mag ein europäischer sein, wie viele Länder im Globalen Süden immer wieder betonen. Aber die Frage, ob man mit militärischer Gewalt im 21. Jahrhundert Grenzen verschieben kann, geht uns alle an. Das ist eine globale Frage.

Und dass der russische Völkerrechtsbruch auch international geächtet wird, hat die überwältigende Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in der Generalversammlung vergangene Woche gezeigt. Ein System der regelbasierten Ordnung findet nach wie vor hohe Zustimmung. Daran sollten wir anknüpfen.

Es ist auch ein globales Interesse, Putins Versuch politische Ziele durchzusetzen, indem er mit Atomwaffen droht, auf das Schärfste zu verurteilen. Wenn das Drohen mit Atomwaffen einmal gelingt, werden es andere nachmachen. Dann sind jegliche Bemühungen, die Verbreitung nuklearer Waffen zu verhindern, auf Jahre erschwert. Gerade bei diesem Thema wünsche ich mir noch eine viel stärkere Rolle der Vereinten Nationen.

d. Unsere Verantwortung als Führungsmacht

Wir sollten als Deutschland eine tragende Rolle spielen, wenn es darum geht, eine neue Friedensordnung in Europa zu schaffen und eine regelbasierte Ordnung in einer Welt im Umbruch aufrechtzuerhalten.

In meiner Rede zur Zeitenwende, die ich am 21. Juni bei der Friedrich-Ebert-Stiftung gehalten habe, habe ich davon gesprochen, dass Deutschland als Führungsmacht mehr Verantwortung übernehmen sollte. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Der ehemalige polnische Außenminister Radosław Sikorski hat schon 2011 ausgedrückt, was er von Deutschland erwartet: „Ich fürchte die deutsche Macht weniger als die deutsche Untätigkeit. Sie sind Europas unverzichtbar Nation geworden. Sie dürfen bei der Führung nicht versagen. Nicht dominieren, sondern bei Reformen führen.“

Genau darum geht es: Vorangehen und andere mitnehmen. Verantwortung übernehmen. Das ist das, was andere von uns erwarten. Und das ist unser Beitrag für ein starkes Europa und eine stabile internationale Ordnung.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussion! Vielen Dank.