SPD-Chef Lars Klingbeil sieht im russischen Überfall auf die Ukraine eine „Zeitenwende“ für Europa und die internationale Friedensordnung. „Wir haben mit dem Ausbruch des Krieges eine neue sicherheitspolitische Gewissheit, auf die wir reagieren müssen.“
Der SPD-Vorsitzende betonte im Gespräch mit dem „Spiegel“ die dringende Notwendigkeit einer Waffenruhe und appellierte an den russischen Präsidenten Putin diesen Krieg sofort zu beenden. „Es dürfen keine Schüsse mehr fallen, Menschen dürfen nicht mehr getötet und vertrieben werden.“ Erst dann könne man reden.
Klingbeil erinnerte daran, dass Deutschland gemeinsam mit seinen internationalen Partnern und Verbündeten sehr gezielte Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht habe, um Putin von seinem Kriegskurs abzubringen: drei Sanktionspakete, die auf die Bereiche Finanzen, Transport und Energie zielen. Die wirkten und träfen die russischen Eliten und das Wirtschaftssystem sehr stark. „Das war unser Ziel.“
Möglicher Gas- und Öl-Boykott
Weil die russische Invasion und ihre Folgen uns noch lange beschäftigen werden, sei es wichtig, „dass wir die Konsequenzen unserer Handlungen sorgfältig abwägen. Bei allen Sanktionen steht am Anfang auch die Frage, ob wir selbst in der Lage sind, sie mehrere Jahre durchzuhalten.“
Der SPD-Vorsitzende schloss „in einer solch dramatischen Lage nichts kategorisch aus, auch einen Boykott nicht“. Doch ein solcher Schritt, sofort aus russischem Gas und Öl auszusteigen, müsse durchdacht werden, weil er weitreichende Konsequenzen für das Wirtschaftsleben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt habe.
„Wir ringen mit dieser Frage, das können doch alle sehen“, betonte der SPD-Vorsitzende. „Natürlich wollen wir so schnell wie möglich raus aus der Abhängigkeit von russischem Gas, vom Öl. Die Transformation der Energiepolitik ist auch Sicherheitspolitik, das erleben wir gerade. Aber es geht nicht über Nacht.“
Landesverteidigung stärken
Die Zeitenwende durch Putins Angriffskrieg fordert unsere Fähigkeit heraus, den Schutz unserer Demokratie vor äußerer Bedrohung zu stärken. Deshalb hat Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung angekündigt, dass Deutschland deutlich mehr als bisher in eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr investieren wird. „Die Landes- und Bündnisverteidigung wurde in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Das holen wir jetzt nach“, sagte Klingbeil.
Die SPD sei die Partei von Willy Brandt und von Helmut Schmidt, so Lars Klingbeil. „Beide standen immer für internationalen Dialog und eigene Stärke. Diese eigene Stärke haben wir zu lange vernachlässigt – nicht nur als SPD, sondern insgesamt in der Bundesrepublik. Vieles was richtig war, bleibt auch richtig. Aber was wir jetzt tun, ist die eigene Stärke herzustellen.“
Das Sondervermögen werde die Bundeswehr auf die Höhe der Zeit bringen. Auch Abrüstungsinitiativen würden wichtig bleiben, die Stärkung der Entwicklungshilfe und der Diplomatie. „Es geht jetzt sehr zentral um die Handlungsfähigkeit Europas. Europa muss endlich wieder Geopolitik lernen.“