Zum 100. Jahrestag der Verabschiedung des Jugendgerichtsgesetzes im Reichstag erklären Antje Draheim und Harald Baumann-Hasske, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen:
„Vor 100 Jahren verabschiedete der Reichstag ein neues Gesetz, das erstmals gestattete, den Strafprozess gerade für junge Menschen und Jugendliche so auszugestalten, dass er nicht nur der Vergeltung und Abschreckung diente, sondern vor allem der Erziehung und der Vermeidung künftiger Straftaten. Gustav Radbruch als sozialdemokratischer Reichsjustizminister hatte diesen revolutionären Gedanken gegen erhebliche Widerstände vor allem im konservativen Lager durchsetzen können und leitete damit eine Strafrechtsreform ein, die seither andauert“, so Draheim.
Baumann-Hasske ergänzt: „Jugendtypische Straftaten sind meist in Bereichen absoluter Kleinkriminalität angesiedelt. Wer hat in seiner Jugend nicht mal gegen das Gesetz verstoßen? Oft reicht als Konsequenz eine erzieherische Maßnahme. Das hatte Radbruch erkannt. Arbeitsstunden, Auflagen, Weisungen stehen dem Gericht als Mittel zur Verfügung. Nur in sehr seltenen Fällen ist es tatsächlich nötig, längerfristig erzieherisch im Rahmen des Jugendstrafvollzuges einzuwirken. Der Gesellschaft und den Betroffenen ist am meisten damit gedient, wenn die Betroffenen mit Hilfe einer Sanktion lernen, normale und geordnete Lebensabläufe zu bewältigen und alles zu vermeiden, was sie künftig zu einem Rückfall in die Kriminalität veranlassen könnte. Statistisch sind die erziehenden Maßnahmen und der erziehende Jugendvollzug eine einzige Erfolgsgeschichte: Kriminalität wird dort bekämpft, wo sie entsteht, Vollzug wirkt vor allem vorbeugend.“
Antje Draheim weist darauf hin, dass der Ruf nach härteren Strafen in der Regel populär, aber der Sache nicht dienlich ist. „Wir werden heute sogar mit der Forderung konfrontiert, die Strafmündigkeit schon von Kindern müsse geschaffen werden. Hier wird irrtümlich vorausgesetzt, dass die Kriminalität von sehr jungen Tätern durch Strafdrohung bekämpft werden könnte. Tatsächlich können Jungendbehörden bei Kindern, die sich strafbar verhalten, durchaus eingreifen und erzieherisch tätig werden. Sind die sachlichen und personellen Mittel dafür vorhanden, kann Kriminalität zurückgedrängt werden; sind sie es nicht, helfen Strafverschärfungen jedenfalls auch nicht.“
„Die Erfolge im jugendgerichtlichen Verfahren und im Jugendstrafvollzug sollten uns eine Ermutigung sein, die erzieherischen Ansätze auch in den Vollzug an Erwachsenen noch mehr zu übertragen. Auch erwachsene Straftäterinnen und Straftäter haben die Chance, ihr Leben grundlegend zu verändern und ein Leben ohne Kriminalität und Strafvollzug zu führen. Mehr erzieherische Angebote können sie darin bestärken. Dabei dürfen Opfer von Straftaten nicht vergessen werden. Ihren Anspruch auf Vergeltung nimmt der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols wahr. Vergeltung steht aber einem sinnvollen Strafvollzug nicht entgegen. Wichtiger noch ist, dass Opfer Aussicht auf Ausgleich von Schäden und auf die Sorge des Staates haben, der sich um ihre Belange auch kümmert“, so Baumann-Hasske abschließend.