Zum Internationalen Tag Frauen in der Wissenschaft der UNESCO erklären Maria Noichl, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) und Ulf Daude, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB) in der SPD:
Gleichberechtigung und Chancengleichheit: Das Glas ist halb voll – Füllen wir es endlich ganz!
Wir können feiern, das Glas ist halb voll. Mädchen haben in der Schule die besseren Noten, machen öfter Abitur und beginnen häufiger ein Studium als gleichaltrige Jungen. An den Unis gibt es deswegen mittlerweile so viele Studentinnen wie nie zuvor, über 220.000. Seit dem Jahr 2000 studieren etwa gleich viele Frauen wie Männer, seit 2018 relativ gesehen sogar mehr. Manche Studiengänge, die üblicherweise nicht zu einem Geschlechterklischee zugeordnet werden, wie Medizin und Architektur, sind mittlerweile weiblich dominiert, genauso auch im höheren Lehramt, sogar in den Naturwissenschaften. Viele Unis fragen sich heute bereits: Wie kriegt man Jungs zum Studieren? Es ist aber nicht richtig, bestehende Missverhältnisse einfach umzudrehen; vielmehr kommt es darauf an, dass gleiche Talente und Interessen die gleichen Wege eröffnen. Bei den Promotionen z.B. nähern wir uns in Deutschland der Parität.
Um auf ein Ungleichverhältnis zwischen den Geschlechtern und auf die entscheidende Rolle von Mädchen und Frauen für Wissenschaft und Technologie hinzuweisen, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 22. Dezember 2015 der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft ins Leben gerufen. Er wird jedes Jahr am 11. Februar begangen (www.unesco.de/wissen/wissenschaft/frauen-der-wissenschaft).
Das Glas ist halb leer. Trotz vieler Fördermaßnahmen wie Girls’ Day, oder „catchy names“ für Studiengänge („Bio-Ingenieur“), konnte der Frauenanteil in Ingenieurwissenschaften bislang auf kaum über 10% gesteigert werden. Übliche Werbemaßnahmen scheinen wenig geholfen zu haben, eher die „stärkere Arbeitsmarktorientierung von Frauen über die Zeit“. Am besten wirkt noch das Beispiel: wenn Professorinnen und andere Wissenschaftlerinnen in Universität und Schule zeigen, was und wie sie es tun. Jedoch tut sich die Gender-Schere nach der Promotion richtig wieder auf: Es ist die Zeit der Familienplanung, aber warum treten damit auch alte Rollenklischees wieder in den Vordergrund? Bei Habilitationen findet man noch gut 30% Frauen, bei Professuren sind gerade die 25% überschritten worden.
Was bleibt zu tun, um auch hier Parität zu erreichen? Gut angelaufen ist vor wenigen Jahren das Coaching und Mentoring bei Promotion und Habilitation, das zum Ziel hat, dass sich junge Wissenschaftlerinnen in ihrer Karriereplanung besser präsentieren. Ein ungelöster Dauerbrenner ist die prekäre Stellensituation von jungen Wissenschaftler*innen, Frauen wie Männern: Die Meisten hangeln sich über mehrere befristete 50%- oder 66%-Stellen zum Abschluss und sind dann um die 40. Kommt in der Zeit ein Kind dazu, steht man schnell vor der Entscheidung, ob eine wissenschaftliche Karriere zeitlich und/oder finanziell noch machbar sei. Auch hier bietet sich ein doppelter Ansatz an: Zum Ersten muss der Flickenteppich an finanzieller Frauenförderung zusammengeführt werden. Kaum jemand überblickt alle Töpfe; und wenn der Zeitaufwand für Anträge und Einkommensnachweise so hoch wird, dass er den möglichen finanziellen Erfolg auffrisst, gibt man auf. Erforderlich wäre ein „gutes Erziehungsgeld“ sozialdemokratischer Prägung besonders für Alleinerziehende (auch Männer), das flexibel verwendet werden darf. Es ist nämlich sehr individuell, ob eine Kinderbetreuung für ein paar Stunden in der Woche, ein Wäschetrockner oder ein Auslandsaufenthalt besonders hilfreich ist.
Zum Zweiten sind frühe, verlässliche Dauerstellen erforderlich. Wenigstens ein Elternteil sollte in der Familienplanungszeit beruflich in Sicherheit sein, da die wissenschaftliche Karriere fast immer mehrere Ortswechsel erfordert und traditionsgemäß sehr lange dauert. Um auf wechselnde Anforderungen im familiären Lebenslauf angemessen reagieren zu können, wäre insgesamt ein opt-in / opt-out-Modell einzuführen, bei dem in Abständen von ein paar Jahren individuell entschieden werden kann, ob eher eine leistungsabhängige Bezahlung oder eine automatische Steigerung bevorzugt wird. Hierfür bedürfte es eines ähnlichen sozialdemokratischen Kraftaktes, wie er bei Rentenpunkten für Erziehungszeiten oder der Grundrente schon erfolgreich war.
Solange man auf einfache Weise Erfolg in der Wissenschaft durch Zählen von Publikationen und Patenten misst, werden Mütter in der Wissenschaft stets das Nachsehen haben. Der jüngste wissenschaftliche Nachwuchs, die Babys nämlich, erfordern mehrere Monate Aufmerksamkeit, was nicht als „Ausfallen“ bewertet werden sollte. Vielmehr muss es darum gehen, Qualität von Wissenschaft in Forschung und Lehre zu sehen und den Blick für die Erfolgsmessung zu erweitern, um somit auch Erziehungszeiten als Qualitätsmerkmal für beide Geschlechter zu begreifen.