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Zukunftsaufgabe: große Gesellschaftspolitik
Zukunftsaufgabe: große Gesellschaftspolitik
Rede von Sigmar Gabriel
Am Ende gab es minutenlang stehenden Applaus und Shakehands mit Ehrengästen und Delegierten. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hatte knapp zwei Stunden Stunde lang den SPD-Bundesparteitag auf die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft eingeschworen. Ein Schwerpunkt: große Gesellschaftspolitik.
Sigmar Gabriel hat eine Zukunftsdebatte in der SPD eröffnet – der Weg zum sozialdemokratischen Regierungsprogramm 2017. Es geht um die Sicherung des Friedens in krisenhaften Zeiten, um den Zusammenhalt und die Erneuerung der Europäischen Union, um den Kampf gegen Rechtspopulismus und -extremismus, um die Integration der Flüchtlinge, die Stärkung der sozialen Basis Deutschlands sowie um das Ringen um Chancengerechtigkeit und eine offene Gesellschaft.
Die Zukunft gestalten
Als moderne Partei will sich die SPD mit ihrer Politik an die Mitte der Gesellschaft richten. „Wenn das Zentrum, die Mehrheit der Arbeitsgesellschaft merkt, dass sie im Mittelpunkt der Politik steht, dann ist sie auch bereit, denen zu helfen, die am Rande stehen und die Hilfe bedürfen“, machte Gabriel deutlich.
Die SPD hat in der Bundesregierung alle Ziele, die sie sich vorher gesetzt hatte, umgesetzt: Mindestlohn, Rente nach 45 Versicherungsjahren, 9 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung, mit 20 Milliarden Euro das größte kommunale Entlastungsprogramm und vieles mehr. Aber neue Stärke könne die SPD nur gewinnen, wenn sie darüber hinaus geht, so Gabriel, „wenn wir zeigen, dass wir nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft gestalten wollen und richtige Antworten bereit halten.“
Es geht um die Erneuerung des sozialdemokratischen Versprechens: dass Menschen frei leben können. Gabriel formulierte den Auftrag der Sozialdemokratie: „Bedingungen zu schaffen, dass das Leben nicht von der Hautfarbe abhängt, nicht vom Einkommen der Eltern, nicht von Beziehungen, nicht von Rasse, Geschlecht oder Religion, sondern dass jeder in diesem Land und in Europa etwas aus seinem Leben machen kann.“
Angriff auf das historische Projekt der SPD
Im Erstarken der rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien in vielen Ländern Europas sieht der Parteivorsitzende einen direkten Angriff auf das historische Projekt der Sozialdemokratie, „gemeinsam und im Frieden miteinander ein besseres Leben für alle gestalten zu können.“ Übersteigerter Nationalismus, Intoleranz und Rassismus hätten die Menschen immer ins Chaos und ins Elend geführt, warnte Gabriel. Den Feinden Europas und der Freiheit und Solidarität sagte Gabriel daher den Kampf an: „Das ist die Aufgabe aller Sozialdemokraten.“
Als wirksamstes Mittel gegen Rechtsradikalismus sieht er eine Gesellschaft, in der sich Menschen gut und sicher aufgehoben fühlten und ihre Arbeitsleistung angemessen entlohnt werde.
Die ganze Rede von Sigmar Gabriel im Video
Kurskorrektur bei der Sparpolitik
Wichtig für Europa ist aus Sicht Gabriels eine Kurskorrektur bei der Sparpolitik. Verschuldete Länder bräuchten mehr Spielräume. Angela Merkel warf er vor, mit ihrem strikten Sparvorgaben das Erstarken des rechtspopulistischen Front National in Frankreich gefördert zu haben. „Deutschland muss die Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme einfordern, aber erst, wenn auch Deutschland bereit ist, mehr als bisher in Wachstum und Beschäftigung in Europa zu investieren.“
Dank den „Alltagshelden der Integration“
Die Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen stellt Deutschland vor eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Nach einer beispiellosen Kette von Gewalt, Flucht und Vertreibung, die Deutschland im 20. Jahrhundert verursacht hat, sei es immer noch ein „kleines Wunder“, dass Deutschland zu einem Ort der Hoffnung von Millionen geworden sei, betonte Gabriel.
Der SPD-Parteivorsitzende bedankte sich ausdrücklich bei den „Alltagshelden der Integration“ – den zehntausenden ehrenamtliche Helferinnen und Helfern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der öffentlichen Verwaltungen, die sich seit Monaten um die Flüchtlinge kümmern. Aber er wies auch darauf hin, dass sich viele in Deutschland zunehmend die Frage stellen, wie es im kommenden Jahr weitergehen solle. Die Menschen erwarteten von der Politik „dass wir nicht so tun, als ob wir jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen können, sondern die Geschwindigkeit der Zuwanderung pro Jahr verringern und dass wir die Kontrolle bei der Zuwanderung zurück gewinnen.“
Zuwanderung besser steuern
Um die Flüchtlingskrise zu meistern müssten die Lebensbedingungen im Libanon, im Irak, in Jordanien und in der Türkei deutlich verbessert werden. Zudem müssten die EU-Außengrenzen gegen Schlepper und Menschenhändler abgesichert werden. Stattdessen sollten Flüchtlingskontingente sicher nach Europa gebracht werden. Deutschland müsse aber hilfsbereit und offen bleiben für Menschen, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Not und Verfolgung fliehen. Das Asylrecht dürfe nicht angetastet werden.
Jahrzehnt der Gesellschaftspolitik
Immer wieder kommt Gabriel auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge zurück. So dürften Flüchtlinge niemals gegen die hier Lebenden ausgespielt werden, so Gabriel. Und darum brauche Deutschland auch keinen Wohnungsbau nur für Flüchtlinge, sondern die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbau für alle, die darauf warteten. Deutschland brauche ein „großes Programm für gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Ein Programm gegen Kinderarmut, für bezahlbaren Wohnraum und für bessere Löhne – denn oft ist eine Arbeitsleistung zum Beispiel bei Verkäuferinnen oder Altenpflegern viel höher als der Lohn. „Es geht also um sehr viel mehr als um Flüchtlingspolitik“, betonte Gabriel. Es gehe um ein Jahrzehnt der Gesellschaftspolitik, um Förderung von Familien, um Bildungsinvestitionen, Städtebau und Arbeitsmarktpolitik . „Es geht um die Sicherung des Sozialstaates genauso wie die Stärkung des Rechtsstaates.“
Bundeswehreinsatz im Krisengebiet des Nahen Ostens
Eine politische Lösung stehe beim Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat im Vordergrund, machte Sigmar Gabriel noch einmal deutlich. Um dem IS-Terror den Boden zu entziehen, stimme aber eben auch, „dass jede politische Lösung zu spät kommt, wenn der IS das Land erobert und dort wirklich einen Terrorstaat einrichtet.“ Auch die Solidarität mit Frankreich war für viele SPD-Abgeordneten ein Beweggrund, im Bundestag dem Mandat zuzustimmen. Gabriel: „ Ich mag mir nicht ausmalen, was es für Europa und für das deutsch-französische Verhältnis beutet hätte, wenn wir diese Unterstützung verweigert hätten.“ Sollten Veränderungen an dem Mandat und eine direkte Beteiligung Deutschlands an Kampfhandlungen in Syrien oder der Region gefordert werden, versprach der Parteivorsitzende, einen Mitgliederentscheid herbeizuführen.
„Gemeinsam!“
Vor seiner Wiederwahl zum Parteivorsitzenden bekräftigte er: „Für mich ist es das stolzeste und ehrenvollste Amt, das man in der demokratischen Politik dieses Landes haben kann.“ Und er formulierte einen klaren Anspruch für 2017. „Wir wollen Deutschland wieder regieren und nicht mitregieren. Natürlich vom Kanzleramt aus“, zeigte sich Gabriel kampfesbereit. „Lasst euch niemals den Kampfgeist nehmen“, schwor er seine Partei auf den Wahlkampf ein. Unter anhaltendem Beifall rief er den Delegierten zu: „Das schaffen wir! Gemeinsam!“
Hier können Sie die Rede herunterladen
Die Rede von Sigmar Gabriel beim Bundesparteitag
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