Wir leben gerade in Corona Zeiten, das heißt das das Leben ganz vieler Menschen gerade gehörig Kopf steht. Überall auf der Welt werden Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus ergriffen, Menschen arbeiten aus dem Homeoffice, viele müssen ihre Kinder zuhause betreuen, manche sind sogar besonderen Belastungen ausgesetzt, weil ihr Job systemrelevant ist. Heiko, du bist Bundesaußenminister, ein großer Teil deines Jobs ist es zu reisen und mit den Menschen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen und zu verhandeln. Wie schwer ist es, europäische Solidarität via Videokonferenz herzustellen?
Heiko Maas: Eigentlich sollte es nicht schwerer sein, denn Solidarität gerade in solchen Zeiten ist ja bitter nötig, gerade auch auf internationaler Ebene. Und eigentlich sollte es egal sein, ob man physisch zusammensitzt oder ob man mit einem Bildschirm an einem Tisch sitzt und sich nur sieht. Aber die ganze Arbeit in der Außenpolitik verändert sich zurzeit, da tatsächlich gar keine Reisen mehr stattfinden. Man schaltet sich zusammen und man telefoniert noch viel mehr. Natürlich sind bei den schwierigen Entwicklungen in Italien und Spanien viele auch mit den eigenen nationalen Maßnahmen beschäftigt. Trotzdem stelle ich fest, dass immer mehr auch auf europäischer Ebene koordiniert wird. Das ist auch bitter nötig, denn das Virus wird man nicht nur national in den Griff kriegen. Dafür braucht man auf internationaler Ebene Koordination und Maßnahmen und das setzt sich jetzt immer mehr durch. Deshalb ist jetzt auch weniger entscheidend, ob man eine Videokonferenz hat oder man sich in Brüssel trifft. Ich glaube es hat jeder den Ernst der Lage erkannt.
Du hast gerade nationale Maßnahmen angesprochen und du hast auch mehrfach davor gewarnt, nationale Egoismen groß werden zu lassen und den Wert der Solidarität auf internationalen Ebenen in dieser Krise betont. Gibt es bereits solidarische Zeichen, von denen du berichten kannst?
Heiko Maas: Ja, die gibt es. Ganz viele – bei allen Schwierigkeiten, die ist sicherlich auch gibt. Wir sind gerade im Auswärtigen Amt dabei, bis zu 200.000 deutsche Staatsbürger aus dem Ausland zurückzuholen, vor allem Touristen, die irgendwo gestrandet sind. Und wir haben innerhalb weniger Tage mit vielen anderen europäischen Staaten eine Lösung gefunden, die auch Rückholaktionen für ihre Bürger gestartet haben. So, dass wir unsere Bürger gegenseitig mitnehmen, wenn im Flieger noch genug Platz ist. Wir nehmen Tschechen oder Niederländer mit und die nehmen unsere Staatsbürger mit, wenn sie gerade einen Flieger dorthin geschickt haben, wo auch unsere Leute sitzen. Das ist schon ein sehr ermutigendes Zeichen, dass das so schnell funktioniert hat. Letztlich ist diese ganze Rückholaktion in wenigen Tagen aus dem Boden gestampft worden. Das ist nichts anderes als Solidarität. Ich glaube auch bei den Anfragen für Schutzausrüstung und für Beatmungsgeräte wird jetzt immer mehr auch nach den Kriterien entschieden, wo die Not am größten ist. Zum Beispiel in Italien oder mittlerweile auch in Spanien. Es gibt sicherlich noch viel zu tun und es könnte auch noch mehr Solidarität geben, aber es gibt auch sehr viele positive Beispiele. Hier kann man sagen, dass die europäische Solidarität funktioniert.
Du hast jetzt diese gigantische Rückholaktion erwähnt, die du auf den Weg gebracht hast. Kannst du uns kurz einen Stand geben, wie viele Leute ihr zurückgeholt habt? Wer sitzt wo noch fest und wie geht es mit denen weiter?
Heiko Maas: Wir haben bisher 158.000 deutsche Reisende zurückgeholt. Teilweise mit ihren Reiseveranstaltern, dort, wo noch geflogen werden durfte. Teilweise aber auch mit den gecharterten Fliegern der Bundesregierung. Das ist in den ersten Tagen einfacher gewesen als es mittlerweile ist. Zuerst sind die Touristen zurückgeholt worden, die sich in den größeren Reisezielen aufgehalten haben wie in Italien oder in Ägypten. Jetzt beschäftigen wir uns mit Ländern, die etwas weiter weg sind: El Salvador, Paraguay, Nepal, Neuseeland. Dort sind auch keine Pauschaltouristen, sondern vor allem Individualtouristen, die über das ganze Land verteilt sind und von da noch zum Flughafen gebracht werden müssen. Das ist deutlich komplizierter und das dauert auch länger. Aber letztlich müssen wir diese Leute zurückholen und das tun wir auch. Wir werden glaube ich noch etwa 2 Wochen brauchen, bis wir auch die Menschen aus entfernten Ländern mit den gecharterten Flugzeugen der Bundesregierung zurückgebracht haben.
Du hast gesagt, dass du davon ausgehst, dass der weltweite Passagierverkehr auf absehbare Zeit auf ein sehr niedriges Niveau zurückgeführt wird. Es ist vielleicht nicht die allerwichtigste Frage in der aktuellen Situation, aber viele Leute fragen sich, was jetzt aus ihrem geplanten Urlaub im Mai, Juni, Juli wird? Kannst du da vielleicht eine vorsichtige Einschätzung geben?
Heiko Maas: Für den Moment bin ich vor allen Dingen vorsichtig. Wir haben mit einer Reisewarnung klargemacht, dass es zurzeit nicht verantwortlich ist, in den Urlaub zu fliegen. Das hat zunächst mal die Osterferien betroffen. Denn wenn man da überhaupt noch wegkommt, ist es sehr sehr ungewiss, dass man wieder zurückkommt. Wie sich das zum Sommer hin entwickelt, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt nicht sagen. Das hat etwas damit zu tun, wie erfolgreich wir sein werden mit der Bekämpfung des Coronavirus. Aber nicht nur wir, sondern auch die anderen Länder. Wir stellen fest, dass auch in anderen Ländern die Fälle deutlich zunehmen und immer mehr Probleme bestehen. Deshalb werden wir das in den kommenden Wochen in Echtzeit beobachten und entscheiden, wie lange diese Reisewarnung aufrechterhalten wird. Natürlich wäre es schön, wenn es uns gelingt, das Problem bis zum Sommer in den Griff zu bekommen – nicht nur in Deutschland und Europa, sondern überall auf der Welt. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre ich da sehr zurückhaltend. Die Herausforderungen, mit denen wir es zu tun haben, sind wirklich immens. Ich will da nicht allzu viel Hoffnung machen, wenn es um die Frage geht, wo kann ich im Sommer hin oder muss ich möglicherweise auch dem Sommer zu Hause verbringen.
Am Mittwoch hat ein virtuelles Treffen der G7 Außenminister stattgefunden. Vielleicht kannst du uns einen kurzen Wasserstand geben. Wie sah es da aus? Was sind da Zeichen des Zusammenhalts, die uns Mut machen können?
Heiko Maas: Erstmal ist es ganz wichtig, dass dieses Treffen in Form einer Videokonferenz stattgefunden hat. Und dort ist tatsächlich über viele Themen gesprochen worden, natürlich auch über das Coronavirus. Deutschland und Großbritannien haben zudem ein eigenes Papier vorgelegt, in dem wir Maßnahmen beschrieben haben, wie wir uns international besser koordinieren und abstimmen können. Wir haben aber auch über viele andere Krisen gesprochen: über Syrien, über Lybien, über Afghanistan. Das ist ganz wichtig gewesen, dass auch diese anderen Krisen in der Welt, die wir jetzt nicht vollkommen in den Hintergrund geraten lassen dürfen, besprochen wurden. Wir suchen weiterhin mit unseren internationalen Partnern nach Lösungen für Krisen, Konflikte und Kriege, die es ja schon viel zu lange gibt. Das sind Krisen, unter denen viele viele Menschen zu leiden haben, und zwar ganz existenziell, die müssen wir weiter im Blick haben. Wir müssen verantwortliche Außenpolitik machen, auch in Corona-Zeiten.
Letzte Frage Heiko, die Menschen, die uns jetzt gerade zuhören, können bestimmt auch ein Zeichen der Zuversicht ganz gut gebrauchen. Vielleicht kannst du uns nochmal kurz in wenigen Sätzen sagen, wie hilfst du uns aus der Krise und was macht dir persönlich Mut?
Heiko Maas: Also mir macht erstmal Mut, dass ganz viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland den Ernst der Lage erkannt haben und auch die schwierigen Maßnahmen wie das Zuhause bleiben akzeptiert werden. Viele Menschen leisten einen Beitrag dazu, dass das Virus sich nicht weiterverbreitet und nicht in ein paar Wochen unsere Krankenhäuser völlig überlastet sind. Mir macht auch Mut, dass international bei allen Schwierigkeiten sehr sehr intensiv miteinander gesprochen wird. Wie können wir uns gegenseitig unterstützen, wie kommen wir aus dieser Situation wieder raus? Dass der deutsche Bundestag auch in großer, eigentlich nicht gekannter Einmütigkeit in den letzten Tagen Maßnahmen beschlossen hat – Hilfsprogramme in einem Gegenwert von 146 Milliarden Euro , um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu helfen, auch um Unternehmen zu helfen. Das alles wird uns noch eine Zeit lang beschäftigen und es wird auch einschneidende Veränderungen geben. Im Moment versuchen Viele, ihren Teil dazu beizutragen, dass wir das in Deutschland so gut wie möglich hinbekommen und ich finde das ist auch ein Zeichen von Solidarität in unserer Gesellschaft, das eigentlich jedem Mut machen sollte.