Das Konzept soll in der kommenden Woche bei der Jahresauftaktklausur des SPD-Parteivorstands beschlossen werden. Darum geht es:
Sozialstaat als Partner
Die SPD will einen Kulturwandel des Sozialstaats: Weg von einem Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern misstraut, hin zu einem sorgenden Sozialstaat, der gegen Risiken absichert und Chancen schafft. „Wir wollen, dass der Sozialstaat wieder als Partner der Menschen auftritt – nicht als Kontrolleur oder Bevormunder“, sagt Nahles im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch müsse der Sozialstaat verständlicher werden. Ein „schwarzes Bürokratie-Loch“ führe nur zu Unsicherheiten und Ängsten.
Um das zu erreichen will die SPD die Sozialverwaltung umbauen. „Wir müssen weg vom Prinzip der Zuständigkeiten und hin zu einer modernen Begleitung von Menschen“, fordert Nahles. Betroffene sollen sich künftig nur noch an eine Stelle wenden müssen, wenn sie staatliche Leistungen benötigen. „Mit dem Heiße-Kartoffel-Spiel, bei dem Menschen von Behörde zu Behörde geschickt werden, wäre dann Schluss“, so die SPD-Vorsitzende.
„Wir lassen Hartz IV hinter uns“
Die SPD will die bestehende Grundsicherung durch ein Bürgergeld ersetzen. Anders als bei Hartz IV ist das Bürgergeld aus der Perspektive derer gedacht, die den Sozialstaat brauchen, und nicht derer, die ihn missbrauchen. „Damit korrigieren wir die Sichtweise, die wir vor 16 Jahren eingenommen haben, als noch Massenarbeitslosigkeit herrschte“, erläutert Nahles. „Damals haben unsere Leute ein System aufgebaut, das vor allem auf die Vermeidung von Missbrauch ausgerichtet war und in dem Druck, Misstrauen und Kontrolle eine viel zu große Rolle spielten. Die Folge ist, dass sich Bezieher von Sozialleistungen bis heute viel zu oft als Bittsteller fühlen, obwohl sie einen Rechtsanspruch auf die Leistungen haben.“ Dies will die SPD nun ändern. „Mit der Einführung des Bürgergeldes stellen wir das System und den Geist dahinter wieder vom Kopf auf die Füße“, erklärt die SPD-Vorsitzende.
Bürgergeld für mehr Sicherheit und Respekt
Im Mittelpunkt des Bürgergeldes stehen Anreize, gezielte Hilfen und Ermutigung. „Unsinnige Sanktionen müssen weg“, betont Nahles. „Wenn Sanktionen nichts nützen, sondern nur neue Probleme schaffen, sind sie unsinnig.“ Das gelte für die verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige. Diese führten nur dazu, dass der Staat den Kontakt zu diesen Menschen komplett verliere. Sanktionen dürften auch nie zu 100-Prozent-Streichungen von finanziellen Mitteln führen, die Kosten für Wohnraum etwa sollte der Staat garantieren. „Sanktionen, die Obdachlosigkeit zur Folge haben, werden wir abschaffen.“
Mitwirkungspflichten soll es auch künftig geben. „Das Grundprinzip des Förderns und Forderns bleibt erhalten – aber die Gewichtung verschiebt sich vom Fordern zum Fördern“, erklärt Nahles.
Zuschüsse für Neuanschaffungen
Die SPD will zudem die sogenannten Einmalleistungen aus der früheren Sozialhilfe wieder einführen. „Wenn die Waschmaschine kaputt geht und gleichzeitig die alte Winterjacke aufgetragen ist, brauchen wir auch einmalige Hilfen. Bislang gab es dafür Darlehen. Das Bürgergeld wird für diese Härtefälle eigene Regelungen vorsehen “, erläutert die SPD-Vorsitzende.
Als großen Fehler der Hartz-Reformen vor 16 Jahren sieht Nahles die Verletzung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit. „Menschen, die 30 oder 40 Jahre gearbeitet haben, werden nach einem Jahr genauso behandelt wie Menschen, die wenig oder gar nicht gearbeitet haben“, merkt sie selbstkritisch an. Das will die SPD nun ändern.
Zwei Jahre Übergangsphase durch Bürgergeld
Wer etwa bisher aus dem Bezug von Arbeitslosengeld I falle, bekomme heute sofort die volle Härte der Grundsicherung zu spüren: von der Anrechnung seines Vermögens bis hin zu der Frage, ob seine Wohnung womöglich ein paar Quadratmeter zu groß sei. Diese Ungerechtigkeit will die SPD nun beenden. „Mit dem Bürgergeld wollen wir eine zweijährige Übergangsphase einführen“, sagt Nahles. In dieser Zeit sollen die Menschen in ihren Wohnungen bleiben können und von Sanktionen verschont bleiben. Auch danach solle niemand seine vier Wände verlassen müssen.
Verlängertes Arbeitslosengeld I
In Zukunft sollen je nach Alter und Arbeitsjahren bis zu 33 Monate Arbeitslosengeld I gezahlt werden. In Einzelfällen könne die Bezugsdauer sogar auf drei Jahre steigen, sagt Nahles. Die Mehrkosten könnten aus der Arbeitslosenversicherung gedeckt werden: „Deren Kassen sind voll, das Geld ist da.“
Damit will die SPD auch eine weitere Schieflage in der Arbeitslosenversicherung beheben. Menschen, die seit Jahrzehnten arbeiten und dann arbeitslos werden, werden zurzeit zum Teil schon nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gleichgestellt mit anderen, die wenig oder noch nie gearbeitet haben.
Anerkennung von Lebensleistung
Und: Künftig soll, wer arbeitslos ist und sich weiterbildet, für eine bestimmte Zeit der Qualifizierung länger Arbeitslosengeld I erhalten – Arbeitslosengeld Q (für Qualifizierung) genannt. Die SPD will außerdem ein Recht auf Weiterbildung für alle einführen, die länger als drei Monate arbeitslos sind. „Das kann eine Kurzfristqualifizierung wie ein Gabelstaplerführerschein sein, aber auch eine richtige Umschulung“, so Nahles. Währenddessen soll der Anspruch auf Arbeitslosengeld I erhalten bleiben. „Im besten Fall wird er aber gar nicht benötigt – weil die Qualifizierung zu einem neuen Arbeitsplatz geführt hat“, erklärt die SPD-Vorsitzende.
„Entscheidend ist: Der Staat als Partner sorgt 5 Jahre lang für Halt und Perspektive – vom Arbeitslosengeld I über Qualifizierungsangebote bis zur Übergangsphase beim Bürgergeld“, fasst die SPD-Vorsitzende das SPD-Konzept für einen Sozialstaat der Zukunft zusammen.