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Pressemitteilung

07.11.2023 | 158/23

Es bleibt dabei! Ne bis in idem: Niemand darf wegen derselben Straftat mehrfach verfolgt werden! (Art. 103 Abs. 3 GG)

Die ASJ begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Reform der Wiederaufnahme zuungunsten eines rechtskräftig Freigesprochenen (§ 362 Nr. 5 StPO)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Oktober 2023 ist eine grundlegende, das rechtsstaatliche Strafverfahren stärkende Entscheidung und enthält wegweisende Ausführungen zum Wert der materiellen Rechtskraft, der Unschuldsvermutung, zum Vertrauensschutz und zur Rechtssicherheit.

Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen hat stets ablehnend zu dieser Änderung der StPO Stellung bezogen und bereits im Gesetzgebungsverfahren ihre verfassungsrechtliche Kritik nachdrücklich artikuliert, so etwa durch den Beschluss „ne bis in idem nicht antasten“ der Bundeskonferenz 2021. Die Fraktionen von SPD und CDU hatten zum Ende der letzten Legislaturperiode ermöglichen wollen, auch rechtskräftig Freigesprochene der Wiederaufnahme unterziehen zu können, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel dringend nahelegen, dass der Freigesprochene wegen Mordes, Völkermordes oder bestimmter Kriegsverbrechen verurteilt werden könnte.

Mit uns hatte auch das Bundesministerium der Justiz massive verfassungsrechtliche Bedenken. Die Initiative zur Ausarbeitung des „Gesetzes zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit“ war alleine von den die Große Koalition tragenden Bundestagsfraktionen ausgegangen. Auch Bundespräsident Steinmeier äußerte verfassungsrechtliche Zweifel bei der Ausfertigung des Gesetzes. Unsere Kritik hat sich nun bestätigt, das Gesetz wurde einstimmig wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 3 i.V.m Art. 20 Abs. 3 GG) sowie mit 6:2 Stimmen wegen Verstoßes gegen das Mehrfachverfolgungsverbot (Art. 103 Abs. 3 GG) für verfassungswidrig erklärt.

Prozedurale Grundrechte wie das Verbot der Selbstbelastung als Beschuldigter, das Verbot, durch Zwang, Täuschung und Drohung auf die Willensfreiheit des Beschuldigten einzuwirken oder das Institut der materiellen Rechtskraft, das es verbietet, Strafprozesse immer weiter „ad infinitum“ zu führen, haben sich über Jahrhunderte seit der Aufklärung entwickelt, sind aber gerade in Anbetracht eines Tatverdachts bzgl. massiver Straftaten wie Mord, Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch mitunter schwer verständlich. Das Grundgesetz hat hier gerade vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft strikte grundrechtsgleiche Prozessgrundrechte statuiert und der staatlichen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren klare Grenzen gezogen. Bzgl. des Verbots der Mehrfachverfolgung- und -bestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr mehrheitlich bestätigt, dass es sich um ein absolutes und abwägungsfestes Verbot handelt. Die Gegenauffassung kann gewichtige Gründe anführen, hat die Mehrheit des Senats aber nicht zu überzeugen vermocht.

Der der Entscheidung zugrundeliegende Fall einer ermordeten 17jährigen Schülerin ist von unendlicher Tragik geprägt, den Schmerz der Angehörigen eines Tötungsdelikts kann niemand auch nur annähernd nachfühlen. Ihnen gebührt unsere tiefe Anteilnahme. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Korrektur eines Strafurteils mit dem Ziel, eine inhaltlich „richtigere“ und damit materiell gerechtere Entscheidung herbeizuführen, sich mit der von Art. 103 Abs. 3 GG getroffenen unbedingten Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit nicht vereinbaren lässt.